Kater Martinchen | Page 3

Ernst Moritz Arndt
mehr. Diese Frau muß an einem Karfreitage gerade um
die Mittagszeit, als die Frau zu Stein ward, mit ihren sieben Söhnen in
den Busch kommen und sich auf den Stein setzen. Und wenn sie sich
auf den Stein setzt, so wird der Stein lebendig und wird wieder in einen
Menschen verwandelt, und dann steht die Bauerfrau wieder da,
leibhaftig und in eben den Kleidern, die sie getragen, als sie den
Mäusen nachgelaufen zu diesem Mausewinkel. Und die sieben bunten
Mäuse werden wieder zu sieben kleinen Mädchen in bunten Röcken
und mit roten Mützen auf dem Kopf. Und jedes kleine Mädchen geht
zu dem kleinen Knaben hin, der sein Alter hat, und sie werden Braut
und Bräutigam. Und wann sie groß werden, so halten sie Hochzeit an
einem Tage und tanzen ihre Kränze ab. Und es sollen die schönsten
Jungfrauen werden auf der ganzen Insel, sagen die Leute, und auch die
glücklichsten und reichsten, denn alle diese Güter und Höfe hier umher
sollen ihnen gehören. Aber ach, du lieber Gott, wann werden sie
verwandelt werden?

Prinzessin Svanvithe
Du hast wohl von der Sage gehört, daß hier bei Garz, wo jetzt der Wall
über dem See ist, vor vielen tausend Jahren ein großes und schönes
Heidenschloß gewesen ist mit herrlichen Häusern und Kirchen, worin
sie ihre Götzen gehabt und angebetet haben. Dieses Schloß haben vor
langer, langer Zeit die Christen eingenommen, alle Helden
totgeschlagen und ihre Kirchen umgeworfen und die Götzen, die darin
standen, mit Feuer verbrannt; und nun ist nichts mehr übrig von all der
großen Herrlichkeit als der alte Wall und einige Leuschen, welche die
Leute sich erzählen, besonders von dem Mann mit Helm und Panzer
angetan, der auf dem weißen Schimmel oft über die Stadt und den See
hinreitet. Einige, die ihn nächtlich gesehen haben, erzählen, es sei der
alte König des Schlosses, und er habe eine güldene Krone auf. Das ist
aber alles nichts. Daß es aber um Weihnachten und Johannis in der
Nacht aus dem See klingt, als wenn Glocken in den Kirchen geläutet
werden, das ist wahr, und viele Leute haben es gehört, und auch mein
Vater. Das ist eine Kirche, die in den See versunken ist, andere sagen,

es ist der alte Götzentempel. Das glaub' ich aber nicht; denn was sollten
die Helden an christlichen Festtagen läuten? Aber das Klingen und
Läuten im See ist dir gar nichts gegen das, was im Wall vorgeht, und
davon will ich dir eine Geschichte erzählen. Da sitzt eine
wunderschöne Prinzessin mit zu Felde geschlagenen Haaren und
weinenden Augen und wartet auf den, der sie erlösen soll; und dies ist
eine sehr traurige Geschichte.
In jener alten Zeit, als das Garzer Heidenschloß von den Christen
belagert ward und die drinnen in großen Nöten waren, weil sie sehr
gedrängt wurden, als schon manche Türme niedergeworfen waren und
sie auch nicht recht mehr zu leben hatten und die armen Leute in der
Stadt hin und wieder schon vor Hunger starben, da war drinnen ein
alter, eisgrauer Mann, der Vater des Königs, der auf Rügen regierte.
Dieser alte Mann war so alt, daß er nicht recht mehr hören und sehen
konnte; aber es war doch seine Lust, unter dem Golde und unter den
Edelsteinen und Diamanten zu kramen, welche er und seine Vorfahren
im Reiche gesammelt hatten und welche tief unter der Erde in einem
schönen, aus eitel Marmelsteinen und Kristallen gebauten Saale
verwahrt wurden. Davon waren dort ganz große Haufen aufgeschüttet,
viel größere als die Roggen- und Gerstenhaufen, die auf deines Vaters
Kornboden aufgeschüttet sind. Als nun das Schloß zu Garz von den
Christen in der Belagerung so geängstet ward und viele der tapfersten
Männer und auch der König, des alten Mannes Sohn, in dem Streite auf
den Wällen und vor den Toren der Stadt erschlagen waren, da wich der
Alte nicht mehr aus der marmornen Kammer, sondern lag Tag und
Nacht darin und hatte die Türen und Treppen, die dahin führten, dicht
vermauern lassen; er aber wußte noch einen kleinen heimlichen Gang,
der unter der Erde weglief, viele hundert Stufen tiefer als das Schloß,
und jenseits des Sees einen Ausgang hatte, den kein Mensch wußte als
er, und wo er hinausschlüpfen und sich draußen bei den Menschen
Speise und Trank kaufen konnte. Als nun das Schloß von den Christen
erobert und zerstört ward und die Männer und Frauen im Schlosse
getötet und alle Häuser und Kirchen verbrannt wurden, daß kein Stein
auf dem andern blieb, da fielen die Türme und Mauern übereinander,
und die Türe der Goldkammer ward gar verschüttet; auch blieb kein
Mensch lebendig, der wußte, wo der tote König seine Schätze gehabt

hatte. Der alte König aber saß drunten bei seinen Haufen Goldes und
hatte seinen heimlichen Gang offen und hat noch viele hundert Jahre
gelebt, nachdem das Schloß zerstört war; denn sie sagen, die Menschen,
welche sich zu
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