Kampagne in Frankreich | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
sonderte und z?hlte die einzelnen Herden. Sorge und Frucht, doch mit einiger Hoffnung, schwebte auf den Gesichtern der t��chtigen M?nner. Als sich aber dieses Verfahren dahin aufl?ste, dass man die Herden unter Regimenter und Kompanien verteilte, den Besitzern hingegen ganz h?flich auf Ludwig XVI. gestellte Papiere ��berreichte, indessen ihre wolligen Z?glinge von den ungeduldigen, fleischlustigen Soldaten vor ihren F��?en ermordet wurden, so gesteh' ich wohl: es ist mir nicht leicht eine grausamere Szene und ein tieferer m?nnlicher Schmerz in allen seinen Abstufungen jemals vor Augen und zur Seele gekommen. Die griechischen Trag?dien allein haben so einfach tief Ergreifendes.

Den 30. August.
Vom heutigen Tag, der uns gegen Verdun bringen sollte, versprachen wir uns Abenteuer, und sie blieben nicht aus. Der auf- und abw?rts gehende Weg war schon besser getrocknet, das Fuhrwerk zog ungehinderter dahin, die Reiter bewegten sich leichter und vergn��glich.
Es hatte sich eine muntere Gesellschaft zusammengefunden, die, wohl beritten, so weit vorging, bis sie einen Zug Husaren antraf, der den eigentlichen Vortrab der Hauptarmee machte. Der Rittmeister, ein gesetzter Mann, schon ��ber die mittleren Jahre, schien unsere Ankunft nicht gerne zu sehen. Die strengste Aufmerksamkeit war ihm empfohlen: alles sollte mit Vorsicht geschehen, jede unangenehme Zuf?lligkeit kl��glich beseitigt werden. Er hatte seine Leute kunstm??ig verteilt, sie r��ckten einzeln vor in gewissen Entfernungen, und alles begab sich in der gr??ten Ordnung und Ruhe. Menschenleer war die Gegend, die ?u?erste Einsamkeit ahnungsvoll. So waren wir, H��gel auf H��gel ab, ��ber Mangiennes, Damvillers, Wawrille und Ormont gekommen, als auf einer H?he, die eine sch?ne Aussicht gew?hrte, rechts in den Weinbergen ein Schuss fiel, worauf die Husaren sogleich zufuhren, die n?chste Umgebung zu untersuchen. Sie brachten auch wirklich einen schwarzhaarigen, b?rtigen Mann herbei, der ziemlich wild aussah und bei dem man ein schlechtes Terzerol gefunden hatte. Er sagte trotzig, dass er die V?gel aus seinem Weinberg verscheuche und niemand etwas zuleide tue. Der Rittmeister schien, bei stiller ��berlegung, diesen Fall mit seinen gemessenen Orders zusammenzuhalten und entlie? den bedrohten Gefangenen mit einigen Hieben, die der Kerl so eilig mit auf den Weg nahm, dass man ihm seinen Hut mit gro?em Lustgeschrei nachwarf, den er aber aufzunehmen keinen Beruf empfand.
Der Zug ging weiter, wir unterhielten uns ��ber die Vorkommenheiten und ��ber manches, was zu erwarten sein m?chte. Nun ist zu bemerken, dass unsere kleine Gesellschaft, wie sie sich den Husaren aufgedrungen hatte, zuf?llig zusammengekommen, aus den verschiedensten Elementen bestand; meistens waren es gradsinnige, jeder nach seiner Weise dem Augenblick gewidmete Menschen. Einen jedoch muss ich besonders auszeichnen, einen ernsten, sehr achtbaren Mann von der Art, wie sie zu jener Zeit unter den preu?ischen Kriegsleuten ?fter vorkamen, mehr ?sthetisch als philosophisch gebildet, ernst mit einem gewissen hypochondrischen Zug, still in sich gekehrt und zum Wohltun mit zarter Leidenschaft aufgelegt.
Als wir so weiter vor uns hinr��ckten, trafen wir auf eine so seltsame als angenehme Erscheinung, die eine allgemeine Teilnahme erregte. Zwei Husaren brachten ein einsp?nniges zweir?driges W?gelchen den Berg herauf, und als wir uns erkundigten, was unter der ��bergespannten Leinwand wohl befindlich sein m?chte, so fand sich ein Knabe von etwa zw?lf Jahren, der das Pferd lenkte, und ein wundersch?nes M?dchen oder Weibchen, das sich aus der Ecke hervorbeugte, um die vielen Reiter anzusehen, die ihren zweir?drigen Schirm umzingelten. Niemand blieb ohne Teilnahme, aber die eigentlich t?tige Wirkung f��r die Sch?ne mussten wir unserm empfindenden Freund ��berlassen, der von dem Augenblick an, als er das bed��rftige Fuhrwerk n?her betrachtet, sich zur Rettung unaufhaltsam hingedr?ngt f��hlte. Wir traten in den Hintergrund; er aber fragte genau nach allen Umst?nden, und es fand sich, dass die junge Person, in Samogneux wohnhaft, dem bevorstehenden Bedr?ngnis seitw?rts zu entfernteren Freunden auszuweichen willens, sich eben der Gefahr in den Rachen gefl��chtet habe; wie in solchen ?ngstlichen F?llen der Mensch w?hnt, es sei ��berall besser als da, wo er ist. Einstimmig ward ihr nun auf das freundlichste begreiflich gemacht, dass sie zur��ckkehren m��sse. Auch unser Anf��hrer, der Rittmeister, der zuerst eine Spionerei hier wittern wollte, lie? sich endlich durch die herzliche Rhetorik des sittlichen Mannes ��berreden, der sie denn auch, zwei Husaren an der Seite, bis an ihren Wohnort einigerma?en getr?stet zur��ckgebrachte, woselbst sie uns, die wir in bester Ordnung und Mannszucht bald nachher durchzogen, auf einem M?uerchen unter den Ihrigen stehend, freundlich und, weil das erste Abenteuer so gut gelungen war, hoffnungsvoll begr��?te.
Es gibt dergleichen Pausen mitten in den Kriegsz��gen, wo man durch augenblickliche Mannszucht sich Kredit zu verschaffen sucht und eine Art von gesetzlichem Frieden mitten in der Verwirrung beordert. Diese Momente sind k?stlich f��r B��rger und Bauern und f��r jeden, dem das dauernde Kriegsunheil noch nicht allen Glauben an Menschlichkeit geraubt hat.
Ein Lager diesseits Verdun wird aufgeschlagen, und man z?hlt auf einige Tage Rast.
Den 31. morgens war ich im Schlafwagen, gewiss der trockensten, w?rmsten und erfreulichsten Lagerst?tte, halb erwacht, als ich etwas an den Ledervorh?ngen ruaschen h?rte und bei Er?ffnung derselben den
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