selbst und ihr Pferd.
Gar manchen hab' ich zur Tränke führen, vor der Schmiede halten
sehen. Was aber den sonderbarsten Kontrast mit diesem demütigen
Beginnen hervorrief, war ein großer, mit Kutschen und Reisewagen
aller Art überladener Wiesenraum. Sie waren mit Frau und Liebchen,
Kindern und Verwandten zu gleicher Zeit eingerückt, als wenn sie den
innern Widerspruch ihres gegenwärtigen Zustandes recht wollten zur
Schau tragen.
Da ich einige Stunden hier unter freiem Himmel auf Postpferde warten
musste, konnt' ich noch eine andere Bemerkung machen. Ich saß vor
dem Fenster des Posthauses, unfern von der Stelle, wo das Kästchen
stand, in dessen Einschnitt man die unfrankierten Briefe zu werfen
pflegt. Einen ähnlichen Zudrang hab' ich nie gesehen: zu Hunderten
wurden sie in die Ritze gesenkt. Das grenzenlose Bestreben, wie man
mit Leib, Seel' und Geist in sein Vaterland durch die Lücke des
durchbrochenen Dammes wieder einzuströmen begehre, war nicht
lebhafter und aufdringlicher vorzubilden.
Vor Langeweile und aus Lust, Geheimnisse zu entwickeln oder zu
supplieren, dacht' ich mir, was in dieser Briefmenge wohl enthalten
sein möchte? Da glaubt' ich denn eine Liebende zu spüren, die mit
Leidenschaft und Schmerz die Qual des Entbehrens in solcher
Trennung heftigst ausdrückte; einen Freund, der von dem Freund in der
äußersten Not einiges Geld verlangte; ausgetriebene Frauen mit
Kindern und Dienstanhang, deren Kasse bis auf wenige Geldstücke
zusammengeschmolzen war; feurige Anhänger der Prinzen, die, das
Beste hoffend, sich einander Lust und Mut zusprachen; andere, die
schon das Unheil in der Ferne witterten und sich über den
bevorstehenden Verlust ihrer Güter jammervoll beschwerten -- und ich
denke, nicht ungeschickt geraten zu haben.
Über manches klärte der Postmeister mich auf, der, um meine
Ungeduld nach Pferden zu beschwichtigen, mich vorsätzlich zu
unterhalten suchte. Er zeigte mir verschiedene Briefe mit Stempeln aus
entfernten Gegenden, die nun den Vorgerückten und Vorrückenden
nachirren sollten. Frankreich sei an allen seinen Grenzen mit solchen
Unglücklichen umlagert, von Antwerpen bis Nizza; dagegen stünden
ebenso die französischen Heere zur Verteidigung und zum Ausfall
bereit. Er sagte manches Bedenkliche; ihm schien der Zustand der
Dinge wenigstens sehr zweifelhaft.
Da ich mich nicht so wütend erwies wie andere, die nach Frankreich
hineinstürmten, hielt er mich blad für einen Republikaner und zeigte
mehr Vertrauen; er ließ mich die Unbilden bedenken, welche die
Preußen von Wetter und Weg über Koblenz und Trier erlitten, und
machte eine schauderhafte Beschreibung, wie ich das Lager in der
Gegend von Longwy finden würde; von allem war er gut unterrichtet
und schien nicht abgeneigt, andere zu unterrichten. Zuletzt suchte er
mich aufmerksam zu machen, wie die Preußen beim Einmarsch ruhige
und schuldlose Dörfer geplündert, es sei nun durch die Truppen
geschehen oder durch Packknechte und Nachzügler; zum Schein habe
man's bestraft, aber die Menschen im Innersten gegen sich aufgebracht.
Da musste mir denn jener General des Dreißigjährigen Kriegs einfallen,
welcher, als man sich über das feindselige Betragen seiner Truppen in
Freundesland höchlich beschwerte, die Antwort gab: "Ich kann meine
Armee nicht im Sack transportieren," überhaupt aber konnte ich
bemerken, dass unser Rücken nicht sehr gesichert sei.
Longwy, dessen Eroberung mir schon unterwegs triumphierend
verkündigt war, ließ ich auf meiner Fahrt rechts in einiger Ferne und
gelangte den 27. August nachmittags gegen das Lager von Praucourt.
Auf einer Fläche geschlagen, war es zu übersehen, aber dort
anzulangen nicht ohne Schwierigkeit. Ein feuchter, aufgewühlter
Boden war Pferden und Wagen hinderlich; daneben fiel es auf, dass
man weder Wachen noch Posten noch irgendjemand antraf, der sich
nach den Pässen erkundigt und bei dem man dagegen wieder einige
Erkundigung hätte einziehen können. Wir fuhren durch eine Zeltwüste,
denn alles hatte sich verkrochen, um vor dem schrecklichen Wetter
kümmerlichen Schutz zu finden. Nur mit Mühe erforschten wir von
einigen die Gegend, wo wir das herzoglich weimarische Regiment
finden könnten, erreichten endlich die Stelle, sahen bekannte Gesichter
und wurden von Leidensgenossen gar freundlich aufgenommen.
Kämmerier Wagner und sein schwarzer Pudel waren die ersten
Begrüßenden; beide erkannten einen vieljährigen Lebensgesellen, der
abermals eine bedenkliche Epoche mit durchkämpfen sollte. Zugleich
erfuhr ich einen unangenehmen Vorfall: des Fürsten Leibpferd, der
Amaranth, war gestern nach einem grässlichen Schrei niedergestürzt
und tot geblieben.
Nun musste ich von der Situation des Lagers noch viel Schlimmeres
gewahren und vernehmen, als der Postmeister mir vorausgesagt. Man
denke sich's auf einer Ebene am Fuß eines sanft aufsteigenden Hügels,
an welchem ein von alters her gezogener Graben Wasser von Feldern
und Wiesen abhalten sollte; dieser aber wurde so schnell als möglich
Behälter alles Unrats, aller Abwürflinge: der Abzug stockte, gewaltige
Regengüsse durchbrachen nachts den Damm und führten das
widerwärtigeste Unheil unter die Zelte. Da ward nun, was die Fleischer
an Eingeweiden, Knochen und sonst beiseite geschafft, in die ohnehin
feuchten und ängstlichen Schlafstellen getragen.
Mir sollte gleichfalls ein zelt eingeräumt werden, ich zog aber vor,
mich des Tags über bei Freunden und Bekannten aufzuhalten und
nachts in dem großen Schlafwagen der Ruhe zu pflegen,
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