Kampagne in Frankreich | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
waren, hatte man eine hölzerne Rinne
geführt, die das nötige Wasser einer jenseits stechenden
oberschlächtigen Mühle zubrachte. Man hätte denken sollen, die Höhe
des Gestells wäre doch wenigstens auf einen Heuwagen berechnet
gewesen. Wie dem aber auch sei, das Fuhrwerk war so unmäßig
obenauf bepackt, Kistchen und Schachteln pyramidalisch übereinander
getürmt, dass die Rinne dem weiteren Fortkommen ein
unüberwindliches Hindernis entgegensetzte.
Hier ging nun erst das Fluchen und Schelten der Postillione los, die
sich um so viel Zeit aufgehalten sahen; wir aber erboten uns freundlich,
halfen abpacken und an der anderen Seite des träufelnden Schlagbaums
wieder aufpacken. Die junge, gute, nach und nach entschüchterte Frau
wusste nicht, wie sie sich dankbar genug benehmen sollte; zugleich
aber wuchs ihre Hoffnung auf uns immer mehr und mehr. Sie schrieb
den Namen ihres Mannes und bat inständig, da wir doch früher als sie
nach Trier kommen müssten, ob wir nicht am Tor den Aufenthalt des
Gatten schriftlich niederzulegen geneigt wären? Bei dem besten Willen
verzweifelten wir an dem Erfolg wegen Größe der Stadt, sie aber ließ
nicht von ihrer Hoffnung.
In Trier angelangt, fanden wir die Stadt von Truppen überlegt, von
allerlei Fuhrwerk überfahren, nirgends ein Unterkommen; die Wagen
hielten auf den Plätzen, die Menschen irrten auf den Straßen; das
Quartieramt, von allen Seiten bestürmt, wusste kaum Rat zu schaffen.
Ein solches Gewirr jedoch ist wie eine Art Lotterie, der Glückliche
zeiht irgendeinen Gewinn; und so begegnete mir Leutnant von Fritsch
von des Herzogs Regiment und brachte mich, nach freundlichstem
Begrüßen, zu einem Kanonikus, dessen großes Haus und weitläufiges
Gehöft mich und meine kompendiöse Equipage freundlich und
bequemlich aufnahm, wo ich denn sogleich einer genugsamen
Erholung pflegte. Gedachter junge militärische Freund, von Kindheit

auf mir bekannt und empfohlen, war mit einem kleinen Kommando in
Trier zu verweilen beordert, um für die zurückgelassenen Kranken zu
sorgen, die nachziehenden Maroden, verspätete Bagagewagen und
dergleichen aufzunehmen und sie weiter zu befördern; wobei denn auch
mir seine Gegenwart zugute kam, ob er gleich nicht gern im Rücken
der Armee verweilte, wo für ihn, als einen jungen strebenden Mann,
wenig Glück zu hoffen war.
Mein Diener hatte kaum das Notwendigste ausgepackt, als er sich in
der Stadt umzusehen Urlaub erbat; spät kam er wieder, und des anderen
Morgens trieb eine gleiche Unruhe ihn aus dem Haus. Mir war diese
seltsame Benehmen unerklärlich, bis das Rätsel sich löste: die schönen
Französinnen hatten ihn nicht ohne Anteil gelassen, er spürte sorgfältig
und hatte das Glück, sie auf dem großen Platz, mitten unter hundert
Wagen haltend, an der Schachtelpyramide zu erkennen, ohne jedoch
ihren Gemahl aufgefunden zu haben.
Auf dem Weg von Trier nach Luxemburg erfreute mich bald das
Monument in der Nähe von Igel. Da mir bekannt war, wie glücklich die
Alten ihre Gebäude und Denkmäler zu setzen wussten, warf ich in
Gedanken sogleich die sämtlichen Dorfhütten weg, und nun stand es an
dem würdigsten Platz. Die Mosel fließt unmittelbar vorbei, mit welcher
sich gegenüber ein ansehnliches Wasser, die Saar, verbindet; die
Krümmung der Gewässer, das Auf- und Absteigen des Erdreichs, eine
üppige Vegetation geben der Stelle Lieblichkeit und Würde.
Das Monument selbst könnte man einen architektonisch-plastisch
verzierten Obelisk nennen. Er steigt in verschiedenen, künstlerisch
übereinander gestellten Stockwerken in die Höhe, bis er sich zuletzt in
einer Spitze endigt, die mit Schuppen ziegelartig verziert ist und mit
Kugel, Schlange und Adler in der Luft sich abschloss.
Möge irgendein Ingenieur, welchen die gegenwärtigen Kriegsläufe in
diese Gegend führen und vielleicht eine Zeitlang festhalten, sich die
Mühe nicht verdrießen lassen, das Denkmal auszumessen, und, insofern
er Zeichner ist, auch die Figuren der vier Seiten, wie sie noch kenntlich
sind, uns überliefern und erhalten!

Wie viel traurige bildlose Obelisken sah ich nicht zu meiner Zeit
erreichten, ohne dass irgendjemand an jenes Monument gedacht hätte!
Es ist freilich schon aus einer spätern Zeit, aber man sieht immer noch
die Lust und Liebe, seine persönliche Gegenwart mit aller Umgebung
und den Zeugnissen von Tätigkeit sinnlich auf die Nachwelt zu bringen.
Hier stehen Eltern und Kinder gegeneinander, man schmaust im
Familienkreis; aber damit der Beschauer auch wisse, woher die
Wohlhäbigkeit komme, ziehen beladene Saumrosse einher, Gewerb'
und Handel wird auf mancherlei Weise vorgestellt. Denn eigentlich
sind es Kriegskommissarien, die sich und den Ihrigen dies Monument
errichteten, zum Zeugnis, dass damals wie jetzt an solcher Stelle
genugsamer Wohlstand zu erringen sei.
Man hatte diesen ganzen Spitzbau aus tüchtigen Sandquadern roh
übereinander getürmt und alsdann, wie aus einem Felsen, die
architektonisch-plastischen Gebilde herausgehauen. Die so manchem
Jahrhunderte widerstehende Dauer dieses Monuments mag sich wohl
aus einer so gründlichen Anlage herschreiben.
* * * * *
Diesen angenehmen und furchtbaren Gedanken konnte ich mich nicht
lange hingeben: denn ganz nahe dabei, in Grevenmachern, war mir das
modernste Schauspiel bereitet. Hier fand ich das Korps Emigrierte, das
aus lauter Edelleuten, meist Ludwigsrittern, bestand. Sie hatten weder
Diener noch Reitknechte, sondern besorgten sich
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