Kampagne in Frankreich

Johann Wolfgang von Goethe
Kampagne in Frankreich

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Title: Kampagne in Frankreich
Author: Johann Wolfgang von Goethe
Release Date: February 2, 2006 [EBook #17664]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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KAMPAGNE IN FRANKREICH ***

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Kampagne in Frankreich
Johann Wolfgang von Goethe

Den 23. August 1792.

Gleich nach meiner Ankunft in Mainz besuchte ich Herrn von Stein den
Älteren, königlich preußischen Kammerherrn und Oberforstmeister, der
eine Art Residentenstelle daselbst versah und sich im Hass gegen alles
Revolutionäre gewaltsam auszeichnete. Er schilderte mir mit flüchtigen
Zügen die bisherigen Fortschritte der verbündeten Heere und versah
mich mit einem Auszug des topographischen Atlas von Deutschland,
welchen Jäger zu Frankfurt unter dem Titel "Kriegstheater"
veranstaltet.
Mittags bei ihm zur Tafel fand ich mehrere französische Frauenzimmer,
die ich mit Aufmerksamkeit zu betrachten Ursache hatte; die eine --
man sagte, es sei die Geliebte des Herzogs von Orleans -- eine stattliche
Frau, stolzen Betragens und schon von gewissen Jahren, mit
rabenschwarzen Augen, Augenbraunen und Haar; übrigens im
Gespräch mit Schicklichkeit freundlich. Eine Tochter, die Mutter
jugendlich darstellend, sprach kein Wort. Desto munterer und reizender
zeigte sich die Fürstin Monaco, entschiedene Freundin des Prinzen von
Condé, die Zierde von Chantilly in guten Tagen. Anmutiger war nichts
zu sehen als diese schlanke Blondine: jung, heiter, possenhaft; kein
Mann, auf den sie's anlegte, hätte sich verwahren können. Ich
beobachtete sie mit freiem Gemüt und wunderte mich, Philinen, die ich
hier nicht zu finden glaubte, so frisch und munter ihr Wesen treibend
mir abermals begegnen zu sehen. Sie schien weder so gespannt noch
aufgeregt als die übrige Gesellschaft, die denn freilich in Hoffnung,
Sorgen und Beängstigung lebte. In diesen Tagen waren die Alliierten in
Frankreich eingebrochen. Ob sich Longwy sogleich ergeben, ob es
widerstehen werde, ob auch republikanisch-französische Truppen sich
zu den Alliierten gesellen und jedermann, wie es versprochen worden,
sich für die gute Sache erklären und die Fortschritte erleichtern werde,
das alles schwebte gerade in diesem Augenblick in Zweifel. Kuriere
wurden erwartet; die letzten hatten nur das langsame Vorschreiten der
Armee und die Hindernisse grundloser Wege gemeldet. Der gepresste
Wunsch dieser Personen ward nur noch bänglicher, als sie nicht
verbergen konnten, dass sie die schnellste Rückkehr ins Vaterland
wünschen mussten, um von den Assignaten, der Erfindung ihrer Feinde,
Vorteil ziehen, wohlfeiler und bequemer leben zu können.

Sodann verbracht' ich mit Sömmerrings, Huber, Forsters und andern
Freunden zwei muntere Abende: hier fühlt' ich mich schon wieder in
vaterländischer Luft. Meist schon frühere Bekannte, Studiengenossen,
in dem benachbarten Frankfurt wie zu Hause -- Sömmerrings Gattin
war eine Frankfurterin -- sämtlich mit meiner Mutter vertraut, ihre
genialen Eigenheiten schätzend, manches ihrer glücklichen Worte
wiederholend, meine große Ähnlichkeit mit ihr in heiterem Betragen
und lebhaften Reden mehr als einmal beteuernd: was gab es da nicht
für Anlässe, Anklänge, in einem natürlichen, angebornen und
angewöhnten Vertrauen! Die Freiheit eines wohlwollenden Scherzes
auf dem Boden der Wissenschaft und Einsicht verlieh die heiterste
Stimmung. Von politischen Dingen war die Rede nicht, man fühlte,
dass man sich wechselseitig zu schonen habe: denn wenn sie
republikanische Gesinnungen nicht ganz verleugneten, so eilte ich
offenbar, mit einer Armee zu ziehen, die eben diesen Gesinnungen und
ihrer Wirkung ein entschiedenes Ende machen sollte.
Zwischen Mainz und Bingen erlebt' ich eine Szene, die mir den Sinn
des Tages alsobald weiter aufschloss. Unser leichtes Fuhrwerk erreichte
schnell einen vierspännigen, schwer bepackten Wagen; der ausgefahrne
Hohlweg aufwärts am Berge her nötigte uns, auszusteigen, und da
fragten wir denn die ebenfalls abgestiegenen Schwäger, wer vor uns
dahinfahre? Der Postillion jenes Wagens erwiderte darauf mit
schimpfen und Fluchen, dass es Französinnen seien, die mit ihrem
Papiergeld durchzukommen glaubten, die er aber gewiss noch
umwerfen wolle, wenn sich einigermaßen Gelegenheit fände. Wir
verwiesen ihm seine gehässige Leidenschaft, ohne ihn im Mindesten zu
bessern. Bei sehr langsamer Fahrt trat ich hervor an den Schlag der
Dame und redete sie freundlich an, worauf sich ein junges, schönes,
aber von ängstlichen Zügen beschattetes Gesicht einigermaßen
erheiterte.
Sie vertraute sogleich, dass sie dem Gemahl nach Trier folge und von
da baldmöglichst nach Frankreich zu gelangen wünsche. Da ich ihr nun
diesen Schritt als sehr voreilig schilderte, gestand sie, dass außer der
Hoffnung, ihren Gemahl wieder zu finden, die Notwendigkeit, wieder
von Papier zu leben, sie hierzu bewege. Ferner zeigte sie ein solches

Zutrauen zu den verbündeten Streitkräften der Preußen, Österreicher
und Emigrierten, dass man, wär' auch Zeit und Ort nicht hinderlich
gewesen, sie schwerlich zurückgehalten hätte.
Unter diesen Gesprächen fand sich ein sonderbarer Anstoß; über den
Hohlweg, worin wir befangen
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