junge Menschen in Asien, Afrika und den
ehemaligen Ostblockstaaten, Minderheiten in den USA, Arbeitslose auf
der ganzen Welt--jede dieser Gruppen steht vor Problemen, die sich aus
ihrer Andersartigkeit ergeben. Einwanderer sind nicht immer
willkommen, und wenn sie aufgenommen werden, wird von ihnen
erwartet, daß sie sich anpassen. Gastarbeiter müssen Arbeiten
verrichten, an denen sich die Bürger des Gastlandes nicht die Finger
schmutzig machen möchten. Die junge Menschen sollen nach
Möglichkeit in die Fußstapfen ihrer Eltern treten. Die Empfänger von
Sozialhilfe sollen sich diese verdienen und jeden angebotenen
Arbeitsplatz annehmen. Schriftlichkeit impliziert Erwartungen von
Homogenität. Einwanderer mußten und müssen heute noch die Sprache
des jeweiligen Gastlandes erlernen, um ganz normale Bürger zu werden.
Von Gastarbeitern, definiert durch ihre Funktion auf dem Arbeitsmarkt,
erwartet man eine reibungslose Rückkehr in ihr Heimatland.
Jugendliche wurden durch ein einheitliches Bildungssystem geschleust,
und Arbeitslose sollten nach einer kurzen Phase der Umschulung von
der Maschine Volkswirtschaft wieder geschluckt werden.
Historisch hat sich das Phänomen Gemeinschaft folgendermaßen
entwickelt: Individuen nehmen "lockere" Beziehungen zum
herrschenden Adel auf. Im nächsten Schritt werden individuelle
Überlebensgemeinschaften gebildet. Es folgt die Übertragung
individueller Eigenschaften (Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit)
auf die Gemeinschaft, und schließlich kommt es zur Aufgabenteilung,
zur Dezentralisation. Jeder Schritt ist durch das Ausmaß der optimalen
Leistung des Individuums definiert: von sehr hoher individueller
Leistungsfähigkeit als Voraussetzung für das Überleben zu geteilten
Verantwortungsbereichen bis hin zur Übertragung der individuellen
Verantwortung auf die Gesellschaft. Die liberale Demokratie zelebriert
das Paradoxon eines sozialisierten Individualismus. In dieser Hinsicht
beendet dies die Zeit politischer Kämpfe (und auch der Geschichte, wie
man uns weismachen will), und läutet die Zeit des Wohlstands ein. Die
kommerzielle Demokratie ist weder das Ergebnis politischen Handelns,
noch ist sie Ausdruck einer Ideologie. Innerhalb ihres Bereiches sind
die Grenzen zwischen Individuum und einer aus dem Gleichgewicht
gebrachten Gemeinschaft ein ständiger Konfliktherd. Moralischer
Individualismus siegt oder verliert in einer Welt feindlicher
menschlicher Beziehungen. Da moralischer Individualismus den
Liberalismus sozusagen untermauert--"Sei dir selbst der Nächste"--ist
die vom Liberalismus angestrebte Freiheit eine Freiheit des
Wettbewerbs um den Zugang zum Wohlstand. Sozialisierter
Individualismus akzeptiert den Staat nur als Lieferanten von Rechten
und Möglichkeiten (sofern der Hegelsche Gedanke von der Priorität des
Staates vor dem Individuum de facto akzeptiert wird), nicht aber als
moralische Instanz.
Definitorisch für diese Prozesse ist der Übergang zu einer Lebenspraxis,
in der angesichts zahlreicher Koordinierungsmechanismen individuelle
Leistung marginal wird. Die relative Bedeutung von
Funktionsstörungen--Zusammenbrüche des Rechts- und Sozialsystems
etwa--als Momente der Selbsterkenntnis und des Neuanfangs, die durch
die Notwendigkeit einer Überholung veralteter Praktiken ausgelöst
werden, ist in jedem der erwähnten Stadien eine andere.
Gleiches gilt für die Chance des Wandels und der Erneuerung.
Kreativität ist in der heutigen Praxis weniger eine Angelegenheit des
einzelnen als das Ergebnis orchestrierter Bemühungen innerhalb eines
großen Interaktionsnetzes. Die zugrundeliegende Struktur einer Kultur
jenseits der Schriftkultur unterstützt eine Praxis, die durch
Heterogenität, verteilte Aufgaben und Vernetzung gekennzeichnet ist.
Die Selbstkonstituierung des Menschen erzeugt nicht mehr Uniformität,
sondern Mannigfaltigkeit. Dauerhaftigkeit, stabile Hierarchien und
Zentralismus sind irrelevant geworden. Wir stehen vor neuen
Problemen. Ihre schriftkulturelle Formulierung wäre irreführend; die
Herausforderung, die sie im neuen Kontext der Schriftlosigkeit
darstellen, ist von bislang unbekannter Größe. Deshalb müssen wir uns
damit befassen.
Das Sein in der Sprache
Die zwei Aspekte der menschlichen Selbstkonstituierung durch
Sprache--Individuum und Gemeinschaft (Gesellschaft)--ergeben sich
aus der Grundfrage nach den sozialen Beziehungen. Die Sprache des
Einzelnen existiert nicht unabhängig von der Sprache der Gesellschaft,
obwohl sich innerhalb einer Gesellschaft Menschen durch
offensichtliche Besonderheiten in Sprache, Schrift, Lektüre und
Gesprächsverhalten identifizieren. Die biologische Struktur des
Menschen beinhaltet Elemente, die sprachrelevant sind. Sprache
entwickelt sich jedoch nicht von innen heraus wie die Sinne, sondern
wird schrittweise erworben. Ungeachtet des jeweiligen Stadiums des
Spracherwerbs dominiert die Sprache die Sinne. Das menschliche
Wesen projiziert sich durch Sprache in die Kultur, die es selbst
kontinuierlich verändert und innerhalb welcher sie sich gegenseitig
identifizieren. Natur und Sprache bilden eine immer wechselnde
Einheit.
Während die Natur ein relativ stabiles Bezugssystem ist, verändert sich
die Kultur mit den Menschen. In einer Sprache zu sein, wie es alle
Menschen sind, und in einer Gemeinschaft zu sein, bedeutet, am Prozeß
individueller Integration und sozialer Koordination teilzuhaben.
Individueller Sprachgebrauch und Sprachgebrauch der Gesellschaft
sind nicht identisch. Individuen konstituieren sich anders als
Gemeinschaften. Daß jede Gemeinschaft Merkmale aufweist, die den
diese Gemeinschaft konstituierenden Individuen gemeinsam sind,
besagt lediglich, daß die Summe individueller Sprachhandlungen sich
von der für die soziale Erfahrung charakteristischen Sprache
unterscheidet. Der Unterschied zwischen der Sprache des Individuums
und der Sprache der Gemeinschaft zeigt soziale Beziehungen an. Eine
allgemeinere These soll hier angeführt werden: Die Natur und die
Vielfalt menschlicher Interaktionen bei der Selbstkonstituierung durch
Sprache beschreiben die Komplexität des pragmatischen Rahmens.
Diese Interaktionen sind Teil des ständigen Identifikationsprozesses
des Einzelnen oder der Gruppe im Verlauf der Identitätsfindung als
besondere Gattung.
Anerkannte Beziehungsformen im Rahmen von Arbeitsplatz, Familie,
Leben, Magie, Ritual, Mythos, Religion, Kunst, Wissenschaft oder
Bildung werden durch ihre jeweiligen Muster dargelegt. Solche
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