Jenseits der Schriftkultur, vol 3 | Page 8

Mihai Nadin
abstrakter Begriff als eine Wirklichkeit ist) und in strengen Formen der Planwirtschaft sind die Beziehungen zwischen den drei Elementen variabel, nicht aber die Elemente selbst. In einem konkreten Zusammenhang kann der Interpretationsproze? nachhaltig durch die Assoziationen zwischen einem Produkt und seinen Darstellungsformen beeinflu?t werden.
Zahlreiche Dokumente der Sprachgeschichte zeugen von den Handelsbeziehungen des Menschen, von den einfachen bis zu den sehr komplexen Formen. Besitzverh?ltnisse und Besitzmerkmale werden ebenso versprachlicht wie die Ver?nderungen von Wechselkursen und des sich durch die Marktabl?ufe stets erweiternden Lebenshorizonts. Aus diesem Zusammenhang sind die ersten schriftlichen Dokumente ��berliefert; sie unterst��tzen unsere These, da? die f��r eine begrenzte Skala des Werteaustausches charakteristischen Marktabl?ufe die Wiege f��r Notation, Schrift und Schriftkultur darstellten.
Die enorme Komplexit?t der Marktmaschinerie ist durch eine Dynamik gekennzeichnet, die ab einem bestimmten Entwicklungsstadium nicht mehr durch die Gesetze und Erwartungen der Schriftkultur in den Griff zu bekommen war. Marktabl?ufe unterliegen einer Form der Selbstorganisation, die durch viele Parameter gesteuert wird; einige von ihnen k?nnen wir kontrollieren, andere entziehen sich unserem direkten Einflu?. Zunehmend wird diese Dynamik von spezialisierten Sondersprachen unterst��tzt, die den praktischen Kontext f��r neue Typen der Transaktion liefern. Netconomy war urspr��nglich ein aus net, network und economy zusammengesetztes Modewort. In weniger als einem Jahr setzte es sich als gel?ufiger Begriff f��r eine neue Form des Marktes durch, der mit einer au?erordentlichen Effizienz immer gr??ere Teile der Weltwirtschaft f��r sich vereinnahmte. Die Folgen dieser Netconomy wirken sich auch jeweils vor Ort aus. Traditionelle Distributionskan?le k?nnen sich er��brigen, Wirtschaftszyklen werden beschleunigt und Preise gesenkt. In den virtuellen Gesch?ften der Netconomy werden heute schon Computer, Autos, Software und juristische Dienstleistungen in gro?em Umfang abgewickelt.
Wir wollen uns nun dem Marktproze? als Zeichenproze? in allen seinen Aspekten zuwenden. Indem die Menschen Waren darbieten, so hatten wir gesagt, bieten sie sich selber dar. Die verschiedenen Eigenschaften des Produktes (Farbe, Geruch, Textur, Stil, Design usw.) wie auch die Qualit?ten seiner Darbietung (Werbung, Verpackung, ?hnlichkeit zu anderen Produkten) und damit zusammenh?ngende Eigenschaften (Prestige, Ideologie) geh?ren zu den Komponenten dieses Vorgangs. Bisweilen ist der Gegenstand an sich--ein neues Kleidungsst��ck, Werkzeug, Haus, Getr?nk--weniger wichtig als das "Image", das er besitzt. Sekund?re Funktionen wie Sch?nheit, Vergn��gen oder Anpassung ��berlagern die prim?re Funktion der Bed��rfnisbefriedigung. Im Zeichenproze? des Marktes erweist sich eine derart motivierte Sehnsucht nach einem Produkt als mindestens ebenso wichtig wie das tats?chliche Bed��rfnis. In einem gro?en Teil unserer Welt ist Selbstkonstituierung nicht mehr l?nger eine Frage des ��berlebenstriebs, sondern eine Frage des Vergn��gens. Je h?her in einem Kontext des dekadenten ��berflusses die semiotische Ebene des Marktes liegt, desto bedeutungsloser wird das Marktgesetz der lebensnotwendigen Bed��rfnisbefriedigung.
Die auf Lebenserhaltung abzielende menschliche T?tigkeit unterscheidet sich erheblich von jenen T?tigkeiten, die zu einem ��berschu? f��hren und dementsprechend f��r den Handel auf dem Markt zur Disposition stehen. ��berschu? und Tausch, die durch die landwirtschaftliche T?tigkeit erm?glicht wurden, hatten die Skala der menschlichen T?tigkeiten erweitert und Zeichen, Zeichensysteme und schlie?lich Sprache erforderlich gemacht. ��bersch��sse k?nnen vielf?ltig genutzt werden. Hierf��r waren Zeichen und sp?ter die Differenzierungsformen der Sprache n?tig. Rituale, Schmuck, Krieg, Religion, Akkumulationstechniken und Mittel der ��berredung sind Beispiele f��r solche Ausdifferenzierungen. Alle diese Verwendungen sind charakteristisch f��r Interaktionsformen zwischen Menschen, die sich als Siedler niedergelassen haben, und sie brachten Produkte hervor, die mehr waren als materielle Konsumg��ter. Sie waren allesamt Projektionen individueller Selbstkonstituierung.
Jedes Produkt geht aus einem Zyklus von Entwicklung, Herstellung, Handel und dem daran gekn��pften Verst?ndnis von N��tzlichkeit und Dauerhaftigkeit hervor. Als die rudiment?ren Formen von Schreiben und Lesen, sp?ter die hochentwickelten Formen der Schriftkultur am Markt teilhatten, waren die M?glichkeiten daf��r geschaffen, die ��ber die unmittelbaren Bed��rfnisse der Lebenserhaltung hinausgehenden Produkte so zu verwenden, da? weitere ��bersch��sse erzeugt werden konnten. Der Markt der Handelsg��ter, der Dienstleistungen, der Sklaven und der Ideen wurde erg?nzt durch den Markt der bezahlten Arbeitskr?fte, die sich, wie die r?mischen Soldaten, das Geld f��r ihren Lebensunterhalt verdienten. Diese neue Kategorie Mensch setzt sich in einen pragmatischen Handlungsrahmen, in dem Produktion (Arbeit) und die Produktionsmittel voneinander getrennt waren. Eine ?hnliche Differenzierung vollzog sich mit der Sprache, mit der diese Arbeiter sich konstituierten. In dem Ma?e, in dem die Arbeit vom letztendlichen Produkt der Arbeit entfremdet wurde, entstand auch eine Sprache des Produktes.
Die Sprache der Produkte
Der ausschlie?lich auf die Notwendigkeiten des Lebens bezogene Warenaustausch entsprach einer Skala, die Zusammenhang und Homogenit?t garantierte. In dieser ��berschaubaren kleinen Welt bedurfte es keiner Gebrauchsanweisungen f��r die im Tauschhandel erworbenen Produkte. Der langsame Rhythmus der Produktionszyklen blieb auf den nat��rlichen Lebensrhythmus bezogen. Dieser begrenzte Markt war Teil eines sozialen Mechanismus, der alle Individuen in die gleiche begrenzte Erfahrung einband und sie an ihr teilhaftig werden lie?.
Die heutigen M?rkte sind durch sehr komplexe Vermittlungsmechanismen gekennzeichnet und stellen daher kein Umfeld mehr f��r eine allen Menschen gemeinsame Erfahrung dar. Im Gegenteil sind die heutigen M?rkte eher Rahmen, innerhalb derer verschiedene Formen menschlicher Erfahrung in Konkurrenz zueinander treten. Das bedarf noch einiger Erl?uterungen. Produkte verk?rpern nicht nur Materialien, Design und Fertigkeiten,
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