Jenseits der Schriftkultur, vol 3 | Page 7

Mihai Nadin
wenn auch nicht immer auf angemessene Weise. Dem Gegenstand des Zeichenprozesses entspricht das Produkt, sei es ein hergestellter Gegenstand, ein Gedanke, eine Handlung, ein Ablauf oder ein Gesch?ft. Wenn wir einmal vom unmittelbaren Tauschhandel absehen, ist jeder Marktgegenstand durch einige der oben aufgelisteten Eigenschaften repr?sentiert. Da? diese Darstellungselemente keinen unmittelbar einsichtigen Bezug zum Gegenstand haben m��ssen, zeigt nur, wie viele Vermittlungseinheiten auf dem Markt wirksam sind.
Nichts ist ein Zeichen, solange es nicht als Zeichen interpretiert wird. Wir verstehen diesen Interpretanten als einen Ablauf, denn Interpretationen k?nnen ad infinitum fortlaufen. Ein Beispiel: Brot ist ein Nahrungsmittel; ein akademischer Titel bezeugt die Tatsache, da? ein Studium erfolgreich beendet wurde; Computer k?nnen als verbesserte Schreibmaschinen oder f��r die Hervorbringung von Daten verwendet werden. Als Zeichen aber kann Brot f��r alles stehen, was es verk?rpert: unser t?gliches Brot; eine bestimmte Ern?hrungskultur; das Wissen, das in den Getreideanbau und in die Getreideverarbeitung, in die Hefeherstellung und in den Ofenbau, in die Kontrolle des Backvorgangs eingeht. Selbst symbolische, auf Mythos oder Religion bezogene Interpretationen geh?ren zur Interpretation des Brotes als Zeichen. Ganz ?hnlich verh?lt es sich mit akademischen Titeln, die auf einen allgemeinen Bildungshintergrund, auf ein berufliches Umfeld, auf eine Funktion und auf bestimmte Zukunftserwartungen hinweisen. Und ganz ?hnlich k?nnen Computer ��ber ihre Funktionen hinaus auf die Art der Anbindung an die Welt, auf die Art der Vernetzung, auf den finanziellen Hintergrund seines Besitzers verweisen.
Aus der Voraussetzung, da? ein Zeichen nur durch Interpretation zu einem solchen wird, ergibt sich, da? die Interpretation gleichbedeutend ist mit der Selbstkonstituierung des Menschen als Zeichen: Der Mensch wird re-pr?sentiert durch seine Produkte. Die N��tzlichkeit wird einem Produkt abgelesen; ein Produkt kann auf Wohlwollen oder Ablehnung treffen; es kann Bed��rfnisse und Erwartungen wecken. Die sich selbst konstituierenden Individuen erfahren durch ihr Handeln eine Selbstwertung (Erfolg oder Mi?erfolg), die durch das Produkt (Ergebnis) ihrer Handlungsweise repr?sentiert wird; dabei kann es sich um ein greifbares oder immaterielles Ergebnis handeln, einen konkreten Gegenstand, einen Ablauf (auch Vermittlungsprozesse) oder einen Gedankenhandel. Diese Lesarten geh?ren ebenfalls zum Interpretationsvorgang. Das Konglomerat aller Lesarten ist das Portrait des abstrakten Konsumenten, der all diejenigen verk?rpert, die ihre Individualit?t in den Transaktionen konstituieren, die den Markt ausmachen. Ein Gebrauchtwagenh?ndler oder ein Computerverk?ufer, ein Einzelh?ndler oder ein Universit?tsprofessor identifizieren sich jeweils auf ihre Weise im Markt und durch den Markt. Jeder wird durch einige charakteristische Merkmale seiner Arbeit dargestellt. Jeder wird auf dem Markt, jeweils mit Blick auf den lebenspraktischen Zusammenhang der Transaktion, als zuverl?ssig, kompetent oder kreativ usw. interpretiert. Die Interpretationsformen des Marktes sind sehr unterschiedlich; sie reichen von der einfachen Beobachtung des Marktes bis zur unmittelbaren Eingebundenheit in die Marktmechanismen durch Produkte, Warentausch oder Gesetzgebung.
Der Markt ist der Ort, an dem die drei Elemente des Zeichenprozesses--das, was vermarktet wird (Gegenstand), die Sprache oder Zeichensysteme der Vermarktung (Representamen), die Interpretation (abgeschlossene oder nicht vollzogene Transaktion)--zusammentreffen. Der Markt kann unmittelbar oder vermittelt sein, wirklich oder symbolisch, geschlossen oder offen, frei oder reguliert. Wochenmarkt, Supermarkt, Direktverkauf der Hersteller oder eine Einkaufszeile sind Beispiele f��r reale M?rkte. Der Markt gewinnt vermittelte oder symbolische Z��ge in solchen F?llen, wo das Produkt nicht unmittelbar in seiner dreidimensionalen Realit?t dargeboten, sondern durch ein Bild, eine Beschreibung oder ein Versprechen pr?sentiert wird. Hierher geh?ren Versandh?user oder Aktien- und Termingesch?fte, die allerdings aus den direkten, realen M?rkten abgeleitet sind. Fr��her einmal war die Wall Street von zahlreichen M?rkten umgeben: Sie boten vielf?ltige exotische Produkte feil, die die Schiffe aus aller Welt herangetragen hatten. Heute ist die Wall Street ein System von Ger?ten und H?ndlern, die auf Bestellzetteln oder Computerbildschirmen Zeichen entschl��sseln, die sich auf Handelsprodukte beziehen, von denen sie nichts verstehen.
Die B?rse ist heute ein Datenverarbeitungszentrum. Nur so konnten die Erwartungen an eine optimale Markteffizienz erf��llt werden. Dennoch m��ssen die Zeichenprozesse dieses neuen Marktes in Echtzeit stattfinden, die so real und notwendig ist wie die Zeit, die beim Tauschhandel oder bei pers?nlichen Verhandlungen ��ber Produkte im Spiel war. Nur ver?ndert die neue Praxis des Marktes die Dauer von Marktzyklen und die Geschwindigkeit gesch?ftlicher Transaktionen. Das Feilschen auf einem Basar erfordert Zeit, digitale Transaktionen mit Hilfe von entsprechenden Programmen sind abgeschlossen, bevor irgend jemand ihre Folgen kalkulieren kann. Regulierungsmechanismen k?nnen die Dynamik solcher Vermittlungsabl?ufe beeinflussen.
Die Sprache des Marktes
Zeichen vermitteln zwischen dem auf dem Markt repr?sentierten Gegenstand und dem Interpretant bzw. dem Interpretationsvorgang--den Menschen also, die sich im Interpretationsproze?, Bed��rfniserf��llung eingeschlossen, konstituieren. Jeder Markt, gleich welchen Typus, ist ein Vermittlungsraum. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Markttypen (Tauschhandel, Wochenm?rkte und Lebensmittelmessen, stark regulierte M?rkte, sogenannte freie M?rkte, Untergrundm?rkte) liegen nicht so sehr im Produkt oder im Produktionsproze?, sondern im jeweiligen Vermittlungstypus. Dabei spielt die jeweilige dynamische Struktur des Marktes eine besondere Rolle.
Gegenst?nde (Sachen, Geld, Gedanken, Abl?ufe), die Sprache, in der der Gegenstand ausgedr��ckt wird, und die zum Abschlu? oder Mi?erfolg f��hrende Interpretation sind die drei strukturalen Invariablen, die jedem sozio?konomischen Umfeld zu eigen sind. Im sogenannten freien Markt (der mehr ein
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