Japanische Märchen | Page 3

Karl Alberti
Wunder aber wurde erwähnt, daß Juki immer jung
aussah, immer blühend und in voller Kraft war und man keinerlei
Spuren des Alterns bei ihr wahrnehmen konnte. So vergingen die Jahre,
als eines Abends im Winter, als das Paar im traulichen Zwiegespräch
beisammensaß, wieder einmal ein furchtbarer Schneesturm losbrach.
Der Mann erschauerte, indem er seines Erlebnisses in der Hütte des
Fährmannes gedachte und sinnend betrachtete er seine Frau, die ihm
schöner als je erschien und plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht eine
Ähnlichkeit mit der Schneefrau zu entdecken, die ihm damals vor
vielen Jahren das Leben schenkte. Diese Ähnlichkeit trat immer
deutlicher hervor, so daß er den Ausruf nicht zurückhalten konnte:
»Nein, du bist schöner!«
Juki wurde aufmerksam und fragte, was diese Worte bedeuten sollten;
ohne zu zögern, halb im Traum, erzählte er ihr nun sein Abenteuer, das
er mit der Schneefrau hatte und schloß seine Erzählung mit den Worten:
»Sie war schön, aber geisterhaft schön; du aber bist menschlich,
natürlich schön!«
Da erhob sich Juki und erschreckt sah der Mann, wie sie größer und
größer wurde, wie ihr Gesicht sich verklärte, die Kleidung sich in
lichtes Weiß verwandelte und sie endlich so vor ihm stand, wie damals
die Schneefrau. Er stürzte zu Boden, streckte die Arme aus und rief:

»Ja du bist es doch, verzeih, verzeih!«
Sie aber schüttelte das Haupt und herrschte ihn an:
»Ja ich bin es! Konntest du den Mund nicht halten, nachdem du
solange geschwiegen hast? Ich könnte dich jetzt töten; ein Hauch aus
meinem Munde würde deine Glieder erstarren lassen, das wäre die
gerechte Strafe, daß du nicht nur dein, sondern auch mein Glück
zerstört hast! Denn sieh!« -- hier nahm ihre Stimme einen milden
Klang an -- »als ich dich damals in jener Hütte als blühenden hübschen
Jüngling so hilflos vor mir sah, da tatest du mir leid, aber nicht nur leid;
ich fühlte den Wunsch in mir, auch einmal Menschenglück zu genießen,
anstatt stets zu zerstören. Ja, ich liebte dich und nahte mich dir in
menschlicher Gestalt, ich genoß an deiner Seite Jahre ungetrübten
Glücks. Jetzt hast du es selbst zerstört und ich muß zurück in mein
kaltes Reich und du? -- Ich gedenke des Glücks, das ich genossen und
der armen dort ruhenden Kinder, denen ich neben der Mutter nicht auch
den Vater rauben will. Mögest du drum leben; bleibe den Kindern ein
guter Vater und suche dadurch dein heutiges Unrecht zu sühnen!«
Damit drückte sie ihm einen Kuß auf die Stirne, der, obgleich eiskalt,
wie Feuer brannte; die Tür sprang auf, ein wirbelnder Schneeschauer
durchtobte das Haus und entführte Juki-onna, den Mann einsam
zurücklassend.
Von diesem Tage an blieb er, der sonst stets heiter und guter Dinge war,
ernst und kein fröhliches Wort kam mehr über seine Lippen; er lebte
nur seinen Kindern, zog sie zu tüchtigen, braven Menschen auf und als
nach vielen Jahren wieder einmal ein Schneesturm brauste, nahm dieser
die Seele des Mannes mit und führte sie seiner »Juki-onna« zu.
Die Leute aber sagten, als sie ihn am andern Morgen tot fanden, er sei
erfroren.
[Abbildung]
[Anmerkung 1: Juki = Schnee, onna = Frau, Juki-onna = Schneefrau.]

[Anmerkung 2: Sprich Nishikase.]

Der weiße Fuchs.
[Abbildung]
Vor vielen Jahren jagte einmal im Walde von Shimoda[1] der Sohn
eines Fürsten. Er hatte das seltene Glück einen schneeweißen Fuchs
weiblichen Geschlechts zu fangen. Er wollte das Tier töten, aber
Yasuna, der Sohn eines Tempelaufsehers, der sich an der Jagd
beteiligte, bat es ihm zu schenken, weil er wußte, daß solche Füchse
mit weißem Fell Zauberkräfte besitzen, mehrere tausend Jahre alt
werden und sich in jede beliebige Gestalt verwandeln können. Aber der
Sohn des Fürsten wollte das schöne Fell des Tieres für sich haben,
schlug Yasuna die Bitte ab und befahl seinen Leuten die Füchsin zu
töten. Yasuna aber bemächtigte sich dieser mit Gewalt, indem er mit
den Jägern kämpfte und obgleich aus vielen Wunden blutend, konnte er
doch mit dem Tiere flüchten. Nachdem er eine Weile gelaufen war,
brach er erschöpft zusammen; er mußte die Füchsin loslassen, die
schnell im Walde verschwand. Seltsamerweise kam plötzlich seine
Verlobte Kuzunoha daher, die, als sie seine Wunden sah, sie ihm
verband und ihn nach Hause geleitete.
Yasuna war erstaunt seine Verlobte bei sich zu sehen, die er bei ihren
Eltern, die in der Kumamoto-Provinz[2], weit entfernt von Shimoda,
wohnten, vermutete, und fragte daher, wie es komme, daß sie sich jetzt
hier befinde und ihn im Walde gefunden habe.
Kuzunoha aber antwortete: »Frage mich jetzt nicht, noch ist es nicht
Zeit, dir dies zu erklären. Ist es an der Zeit, so wirst du alles erfahren!«
Damit beruhigte sich Yasuna, der glücklich war, seine Braut bei sich zu
haben. Er zögerte nicht lange, sondern machte einige Tage darauf mit
ihr Hochzeit. Einige Jahre lebten beide glücklich und zufrieden und ein
herziger Knabe, den Kuzunoha ihm geschenkt hatte,
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