J. W. v. Goethes Biographie | Page 7

H. Doering
ihm nicht blos romantisch, sondern auch ehrenvoll. Er dachte an
seinen Landsmann Griesbach, der einen ähnlichen Weg einschlagen
und sich als gelehrter Theolog und Schriftsteller einen allgemein
geachteten Namen erworben hatte.
Immer näher rückte indeß die Zeit, wo Goethe Frankfurt verlassen
sollte. Begleitet von den Glückwünschen seiner Eltern und Freunde,
fuhr er im October 1765 nach Leipzig. Seine Reisegenossen waren der

in Frankfurt ansässige Buchhändler Fleischer und dessen Gattin, eine
Tochter des damals geschätzten Dichters Triller, die ihren Vater in
Wittenberg besuchen wollte. Die Jahreszeit, in der Goethe seine Reise
antrat, war höchst unfreundlich. Durch den fast ununterbrochenen
Regen waren die Wege fast unfahrbar geworden, und in der Gegend
von Auerstadt blieb der Wagen völlig stecken. Es war die Zeit der
Messe, als er in Leipzig ankam. In der sogenannten Feuerkugel,
zwischen der Universitätsstraße und dem Neumarkt, bezog Goethe
zwei nach dem Hofe hinaus gelegene Zimmer, die er während der
Messe gemeinschaftlich mit seinem Reisegefährten, dem Buchhändler
Fleischer, später jedoch allein bewohnte.
In dem Hause des Professors Böhme, der Geschichte und Staatsrecht
lehrte, fand Goethe, nachdem er seine Empfehlungsbriefe abgegeben,
eine freundliche Aufnahme. Als er jedoch seine Abneigung gegen die
Jurisprudenz sich merken ließ, und mit dem Plan hervortrat, sich den
alten Sprachen und schönen Wissenschaften widmen zu wollen,
mißbilligte Böhme, der die Dichter, selbst den allgemein gefeierten
Gellert nicht leiden konnte, dies übereilte Vorhaben. Dringend empfahl
er das Studium der römischen Alterthümer und der Rechtsgeschichte,
und schloß seine Ermahnungen mit der Bitte, den gefaßten Entschluß
reiflich zu überlegen. Seine Ueberredung wirkte. Goethe gab seinen
Plan auf, und entschied sich für die Jurisprudenz. Nach Böhme's Rath
sollte er zuerst Philosophie, Rechtsgeschichte und die Institutionen
hören. Er ließ sich jedoch, ungeachtet der Abneigung Böhme's gegen
Gellert, nicht abhalten, auch dessen Auditorium zu besuchen, besonders
die Collegien über Literaturgeschichte, die jener hochgefeierte Mann
nach Stockhausens bekanntem Compendium las. Nach der Schilderung,
welche Goethe in spätern Jahren von Gellert entwarf, war er von
Gestalt nicht groß, schwächlich, doch nicht hager. Er hatte sanfte, fast
traurige Augen, eine sehr schöne Stirn, eine nicht übertriebene
Habichtsnase, einen feinen Mund und ein gefälliges Oval des Gesichts,
was, verbunden mit der Freundlichkeit in seinem Benehmen, einen
angenehmen Eindruck machte.
Durch die Vorlesungen, die Goethe, wenigstens anfangs, sehr
regelmäßig besuchte, ward er nicht sonderlich gefördert. In den
philosophischen Collegien fand er nicht die gehofften Aufschlüsse über
einzelne, ihm dunkle Materien. Er ward bald nachlässig im

Nachschreiben seiner Hefte. Sie wurden immer unvollständiger,
besonders in den philosophischen Collegien, die der Professor Winkler
las. Auch die juristischen Vorlesungen behagten ihm nicht lange. Was
durch ein wissenschaftliches System in enge, schroffe Grenzen, in
dürre Begriffe ohne Leben eingeschlossen worden war, konnte seinem
poetisch gestimmten Gemüth nicht zusagen.
Zu diesem Zwiespalt mit dem starren Facultätswesen und dem Geiste
der akademischen Vorlesungen gesellten sich noch kleine
Unannehmlichkeiten des Lebens, die ihm, verbunden mit seinen
unbefriedigten Erwartungen, den Aufenthalt in Leipzig verleideten. Er
mußte hier und da manchen Spott hören über seine altmodische
Kleidung, die er aus dem elterlichen Hause mitgebracht hatte. Diese
Kleidung mit einer andern zu vertauschen, die den Anforderungen der
Mode mehr entsprach, ward Goethe erst veranlaßt, als er in einem
damals sehr beliebten Lustspiel von Destouches den Herrn von
Masuren in einem ähnlichen Tressenkleide, wie er selbst es trug,
auftreten sah. Auch sein fremder Dialekt ward ein Gegenstand des
Spotts. Unmuthig darüber, blieb er aus geselligen Cirkeln weg, in die er
eingeführt worden war. Die Gattin des Professors Böhme, eine
vielseitig gebildete Frau, in der er eine zweite Mutter fand, machte ihm
seine Verstöße gegen die feine Lebensart bemerklich. Auch auf seinen
ästhetischen Geschmack übte sie, wenn auch nur negativ, einen
wohlthätigen Einfluß aus, indem sie dazu beitrug, ihm Gottsched's und
seiner Anhänger Poesie zu verleiden. Ihr scharfes Urtheil über
talentvolle Dichter, unter andern ihren bittern Tadel des von Weiße
geschriebenen Lustspiels: "die Poeten nach der Mode," konnte Goethe,
dem dieß Stück sehr gefiel, ihr nicht verzeihen. Seine eigene
Autoreitelkeit fühlte sich verletzt durch ihre Aeußerungen über einige
seiner lyrischen Gedichte, die er ihr anonym mittheilte.
Kaum seinen Ohren traute Goethe, als er hörte, wie Gellert in einem
seiner Collegien seine Zuhörer vor der Dichtkunst warnte, und sie zu
prosaischen Ausarbeitungen aufforderte. Demungeachtet wagte Goethe,
ihm einige seiner poetischen Versuche zu zeigen, die er, wie alle
übrigen, mit rother Dinte corrigirte und die zu große
Leidenschaftlichkeit in Styl und Darstellung, mitunter auch einige
psychologische Verstöße tadelte. Eine scharfe Rüge, die seinen
Lieblingsdichter Wieland traf, machte ihn so irre an seinem poetischen

Talent, daß er in seinem Unmuth eines Tages alles, was er in Versen
und Prosa geschrieben, den Flammen übergab. Ihn in seinem
poetischen Streben zu fördern war der damalige Zustand der schönen
Literatur in Deutschland nicht sonderlich geeignet. Aus den Dichtern,
die Goethe sich hätte zum Muster nehmen können, aus Gellert, Lessing,
Klopstock, Wieland u. A. blickte eine zu entschiedene Individualität
hervor.
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