J. W. v. Goethes Biographie | Page 5

H. Doering
Goethe zum Entwurf eines dramatischen
Products, in welchem meistens allegorische Personen, wie Jupiter,
Merkur und andere Götter mit ihren bekannten Attributen auftraten.
Das Stück bestand größtentheils in Reminiscenzen aus Ovid's
Metamorphosen. Seine Autoreitelkeit fühlte sich jedoch gekränkt, als
der unlängst erwähnte französische Knabe, welchem er sein Product
mitgetheilt und ihn um sein Urtheil gebeten, sich erlaubte, mehrere
Stellen, ja ganze Scenen zu streichen. Für Goethe hatte dies Verfahren
den Nutzen, daß er mit der französischen Dramaturgie, gegen deren
Regeln er gefehlt haben sollte, sich näher bekannt machte. Zu diesem
Zweck las er Corneille's Abhandlung über die Aristotelische dreifache
Einheit, und studirte Racine's Werke, die ihm zum Theil schon bekannt
waren, da er einige Jahre früher auf einem Kindertheater in dem
Trauerspiel Brittannicus den Nero gespielt hatte. Bei seiner immer noch
sehr mangelhaften Kenntniß des Französischen förderten ihn jedoch
diese Studien äußerst wenig, und er gab sie wieder auf, als er nicht
ohne Mühe die Vorreden gelesen hatte, in denen Corneille und Racine
sich gegen die Kritiker und das Publikum vertheidigten.
Entschieden regte sich in dem Knaben der in spätern Jahren wachsende
Trieb, mancherlei Naturgegenstände, deren innere Beschaffenheit sich
dem Auge entzog, näher kennen zu lernen. Er zerpflückte Blumen, um
zu sehen, wie die Blätter in ihren Kelch eingefügt waren. Seine
jugendliche Neugier und Forschungslust beschäftigte sich mit den
verschiedenartigsten Gegenständen. Er bewunderte die geheime
Anziehungskraft des Magnet's, und ermüdete nicht, jene ihm
unerklärliche Wirkung an Feilspänen und Nähnadeln zu erproben. Mit
Hülfe eines alten Spinnrades und einiger Arzneigläser versuchte er
fruchtlos den Effect einer Electrisirmaschine hervorzubringen. Weniger
aus eigner Neigung, als aus Gefälligkeit gegen seinen Vater, unterzog
er sich dann und wann der Wartung und Pflege der im elterlichen
Garten gehegten Seidenwürmer.
Dieser geschäftige Müssiggang behagte ihm mehr, als der Unterricht
im Englischen, zu welchem er von seinem Vater mit Strenge

angehalten ward. Indeß gelangte er durch Fleiß in kurzer Zeit zu einer
ziemlichen Fertigkeit im Englischen. Auch seine übrigen Sprachstudien
vernachlässigte er nicht ganz. Seinem Wunsche, hebräisch zu lernen,
um das Alte Testament in der Ursprache lesen zu können, gab Goethe's
Vater seine Zustimmung. Durch den Magister Albrecht in der
genannten Sprache unterrichtet, machte er darin ziemlich rasche
Fortschritte.
Wichtig und einflußreich wurden Goethe's Bibelstudien besonders
dadurch, daß sie ihn zu einem epischen Gedicht begeisterten. Den Stoff
dazu fand er in der Geschichte Josephs. Ueber die Form jedoch war er
lange Zeit mit sich nicht einig. Nach reiflicher Ueberlegung wählte er
die Prosa. Von jenem Gedicht, das einen ziemlichen Umfang gewann,
hat sich nicht einmal ein Fragment erhalten. Auch manche lyrische
Poesien, unter andern mehrere Gedichte in Anakreons Manier, gingen
verloren. Einigen geistlichen Oden und andern religiösen Dichtungen,
unter andern einer "Höllenfahrt Christi", zollte Goethe's Vater
besondern Beifall. Auch durch mehrere Predigtauszüge, die er
Sonntags in einem verborgnen Kirchstuhl entwarf, empfahl Goethe sich
seinem Vater, zog sich jedoch seine lebhafte Mißbilligung zu, als er
jene Arbeit wieder saumseliger betrieb und zuletzt gänzlich unterließ.
Seinen Sohn zu einem tüchtigen Juristen zu bilden, war ein väterlicher
Lieblingswunsch. Goethe erhielt von seinem Vater ein in catechetischer
Form abgefaßtes Büchlein. Dadurch sollte ihm das Studium des Corpus
Juris erleichtert werden. Er erlangte auch ziemliche Gewandtheit im
Aufschlagen einzelner Stellen, vermochte jedoch, als er später das
Struvische Compendium erhielt, der Rechtswissenschaft keinen
sonderlichen Geschmack abzugewinnen. Damit es ihm nicht an der
nöthigen körperlichen Bewegung fehlen möchte, ließ sein Vater ihn das
Fechten, späterhin auch die Reitkunst lernen. Es war im Herbst 1761,
als er auf die Reitbahn geschickt ward. Seines Lehrers pedantische
Methode war jedoch nicht geeignet, ihn für die Reitkunst besonders zu
interessiren.
Der Dichtkunst war Goethe nicht untreu geworden. Eine für einen
Jugendfreund geschriebene poetische Epistel, die sich leider nicht
erhalten hat, empfahl sich durch ihre innere Wahrheit und Naivität, und
hob jeden Zweifel, der über sein poetisches Talent noch obwalten
konnte. Sein Product in mehreren Händen zu sehen, schmeichelte

seiner jugendlichen Eitelkeit. Er theilte es daher mehreren jungen
Leuten mit, die er zufällig kennen gelernt hatte. Die nähere Berührung,
in die er mit ihnen trat, ward um so entscheidender für ihn, da sich
daran ein Liebeshandel mit einem jungen Mädchen knüpfte, deren
Namen er späterhin in seinem "Faust" verewigte. Seinem Stande nicht
angemessen und für seine sittlichen Grundsätze von keinem
wohlthätigen Einflusse war der Kreis, in den er eingetreten war, und
der ihn von seiner geregelten Lebensweise entfernte und zu manchen
Abentheuern und jugendlichen Uebereilungen verlockte. Nach seinen
eignen Aeußerungen in spätern Jahren bestand jener Kreis aus jungen
Menschen, sämmtlich älter als er, die der mittlern und niedern
Volksklasse angehörend, mit oberflächlichen Schulkenntnissen, durch
Abschreiben, durch Besorgung kleiner Geschäfte für die Kaufleute und
Mäkler sich einen nothdürftigen Erwerb sicherten. Ihr zweideutiger Ruf
war ihm unbekannt, und ein Licht darüber ging ihm erst auf, als seine
Eltern ihn über den gewählten Umgang und seinen jugendlichen
Leichtsinn die bittersten Vorwürfe machten. Ein tiefes Gefühl von
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