das Talent, Mährchen zu
erzählen, die er meist selbst erfunden, empfahl sich Goethe seinen
Jugendfreunden. Eins dieser Mährchen, "der neue Paris" betitelt, hat
sich in Goethe's gesammelten Werken erhalten. Er bediente sich dabei
des Kunstgriffs, in eigner Person zu sprechen, wodurch die von ihm
geschilderten abenteuerlichen Ereignisse den Anschein bekamen, als
wären sie ihm selbst begegnet. Durch die Localitäten, die er in seine
Mährchen verwebte, erhöhte er ihre Wirkung auf seine Zuhörer, die
unter lautem Beifall sich beeilten, den in dem Mährchen "der neue
Paris" erwähnten Ort mit den Nußbäumen, der Tafel und dem Brunnen
aufzusuchen, in ihren Berichten über das, was sie gefunden, jedoch sehr
variirten. Erhalten hat sich noch aus jener Zeit (1757) in einem alten
Exercitienheft Goethe's ein von ihm verfaßtes Gespräch, "Wolfgang
und Maximilian" überschrieben. In diesem Dialog, dem ersten
dramatischen Versuch des achtjährigen Knaben trat besonders die
Naivität hervor, womit Goethe, durch seinen Vornamen Wolfgang
bezeichnet, seinem Schulcameraden Maximilian gegenüber, sich als
den Soliden und Wohlerzogenen geschildert hatte.
Einen tiefen Eindruck auf Goethe's poetisch gestimmtes Gemüth
machte um diese Zeit (1757) Klopstocks Messias. Er mußte dies
berühmte Epos heimlich lesen, denn sein Vater, durch Canitz,
Hagedorn, Gellert und andere Dichter an den Reim gewöhnt, äußerte
die entschiedenste Abneigung gegen den Hexameter, oder, wie er sich
ausdrückte, gegen Verse, die eigentlich gar keine Verse wären. Goethe
und seine Schwester Cornelia benutzten jede Freistunde, um in irgend
einem Winkel verborgen, die zartesten und ergreifendsten Stellen der
Messiade sich einzuprägen, nächst Portia's Traum besonders das
verzweiflungsvolle Gespräch zwischen Satan und Adramelech im
zehnten Gesange der Klopstockschen Dichtung. Als jene geistlichen
Verwünschungen, die sie schon oft recitirt, einst ziemlich laut hinter
dem Ofen, wo sie sich verborgen hatten, hervorschollen, ließ der
Barbier, der eben Goethe's Vater rasirte, vor Schreck das Seifenbecken
fallen, wodurch der Alte, über und über beschüttet, doch nicht von
seiner Abneigung gegen die Hexameter, denen er jenes Unheil beimaß,
geheilt ward.
Goethe's Kunstsinn ward geweckt und genährt, als der französische
Königslieutenant Graf Thorane, ein enthusiastischer Freund und
Kenner von Gemälden, bald nach der Besitznahme Frankfurts durch die
französischen Truppen, in Goethe's elterlichem Hause einquartirt ward.
Das Mansardzimmer, welches Goethe bisher bewohnt hatte, war dem
Grafen zu einem Atelier eingeräumt worden, in welchem er mehrere
Frankfurter Künstler für sich arbeiten ließ. Für Goethe, der ihn dort oft
besuchte, ging daraus noch der Vortheil hervor, daß er in der
französischen Sprache, die er bisher sehr vernachlässigt, sich immer
mehr vervollkommnete. Mangelhaft blieb jedoch seine Kenntniß des
Französischen, da er sie nicht auf dem Wege eines grammatikalischen
Unterrichts erlangt hatte.
Dies ward ihm besonders fühlbar, als ein Freibillet ihm den Eintritt in
das französische Theater verschaffte, das damals in Franfurt errichtet
worden war. Da er, besonders im Lustspiel, wo sehr schnell gesprochen
ward, nur wenig von den Reden der Schauspieler verstand, richtete er
seine Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die Bewegung der
auftretenden Personen und auf ihre Mimik. Er gelangte dadurch zu
einer, wenn auch nur oberflächlichen Kenntniß des französischen Lust-
und Trauerspiels, und ward einigermaßen vertraut mit den
dramatischen Regeln der französischen Bühne. Der abgemessene
Schritt, in dem sich die Tragödie bewegte, der gleichmäßige Tact der
Alexandriner machte auf ihn einen wunderbaren Eindruck. Aus
Racine's Trauerspielen, die er in seines Vaters Bibliothek fand, recitirte
er mehrere auswendig gelernte Stellen nach Art und Weise der
französischen Schauspieler, deren Ton und Accent sich seinem Ohr
scharf eingeprägt hatte. Fast noch mehr als die Tragödie, behagten ihm
die damals sehr beliebten Lustspiele von Destouches, Marivaux, la
Chaussée und andern französischen Dichtern. Auch mehrere Opern und
Schäferspiele sagten seinem damaligen Geschmacke zu, und noch
lange nachher erinnerte er sich mit Vergnügen einzelner Scenen und
der darin auftretenden Personen.
Seinem Wunsch, auch mit der innern Einrichtung des Theaters bekannt
zu werden, kam ein französischer Knabe, Derones mit Namen, zuvor,
der ihn auf die Bühne und in die Garderobe führte. Der Uebermuth und
die Prahlerei seines jungen Freundes ward ihm jedoch bald so lästig,
daß zwischen beiden ein sehr gespanntes Verhältniß eintrat, welches
sogar eine Herausforderung und ein Duell in ächt theatralischer Weise,
dann aber wieder eine aufrichtige Versöhnung zur Folge hatte.
Erleichtert ward ihm dadurch sein häufiger Theaterbesuch, den aber
sein Vater sehr lebhaft mißbilligte. Die Bühne, meinte er, habe
durchaus keinen Nutzen. Goethe bot seinen ganzen Scharfsinn auf, ihn
vom Gegentheil zu überzeugen. Lessing's Trauerspiel, Miß Sara
Sampson, der Kaufmann von London und ähnliche Stücke lieferten ihm
die Beweise, wie das Laster im Glück, die Tugend im Unglück durch
die poetische Gerechtigkeit wieder ausgeglichen werde. Dieser
Behauptung, gegen die er nichts einzuwenden vermochte, stellte
Goethes Vater den Einwurf entgegen, daß die in die theatralischen
Vorstellungen oft verwebten Schelmstreiche und Betrügereien auf das
unverdorbene Gemüth der Jugend nicht anders als nachtheilig wirken
könnten. Wenn ihn irgend etwas mit der Bühne versöhnen konnte, so
war es die Bemerkung, daß sein Sohn dadurch seine französischen
Sprachkenntnisse vermehrte.
Diese Kenntnisse benutzte
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