J. W. v. Goethes Biographie | Page 3

H. Doering
Lehrern eingeschlagene Methode nicht geeignet war, ihm ein
besonderes Interesse an wissenschaftlichen Gegenständen einzuflößen.
Ueberdieß beschränkte sich jener Unterricht fast nur auf die Erklärung
des Cornelius Nepos und auf das Neue Testament.
Durch das Lesen deutscher Dichter bemächtigte sich seiner, wie er in
spätern Jahren gestand, "eine unbeschreibliche Reim- und Versewuth."
In dem Kreise seiner Jugendfreunde fanden seine poetischen Versuche
großen Beifall. Um so mehr fand sich seine jugendliche Eitelkeit
gekränkt, als einer seiner Mitschüler durch höchst mittelmäßige Verse
ihm seinen Dichterruhm streitig zu machen suchte. Darüber entrüstet,
stockte seine poetische Fruchtbarkeit ziemlich lange, bis ihn sein
erwachtes Selbstgefühl und eine von seinen Lehrern mit Beifall
aufgenommene Probearbeit über seine Anlagen und Fähigkeiten
beruhigte.
Reiche Nahrung für seine Wißbegierde fand Goethe in dem Orbus
pictus, in Merians Kupferbibel, in der Acerra philologica und ähnlichen
Werken, die damals die Stelle einer noch nicht vorhandenen
Kinderbibliothek vertraten. Ovids Metamorphosen machten ihn mit der
Mythologie bekannt. Seine Phantasie ward dadurch vielfach angeregt
zu allerlei poetischen Entwürfen. Eine wohlthätige Wirkung auf sein
Gemüth verdankte er den moralischen Schilderungen in Fenelon's
Telemach. Unterhaltung und Belehrung schöpfte er ais Robinson
Crusoe und aus der Insel Felsenburg. Aus dem romantischen Gebiet
ward er wieder in die Wirklichkeit zurückgeführt durch die
anziehenden Schilderungen in Anton's Reise um die Welt. Ein Zufall

verhalf ihm in dem Laden eines Antiquars zum Besitz einer Reihe
mannigfacher Schriften. Darunter befanden sich der Eulenspiegel, die
vier Haimonskinder, die schöne Magelone, der Kaiser Octavian,
Fortunatus und ähnliche Volksbücher.
Dieser anmuthigen Lectüre mußte Goethe, als sie kaum begonnen,
wieder entsagen. Er ward von den Blattern befallen, und brachte unter
einem heftigen Fieber mehrere Tage beinahe blind zu. Die Aeußerung
einer seiner Tanten: "Ach, Wolfgang, wie häßlich bist Du geworden?"
kränkte ihn um so mehr, da die Blattern auf seinem Gesicht durchaus
keine Spur zurückgelassen hatten. Auch von den Masern blieb er nicht
verschont, und hatte dadurch Gelegenheit, sich im Stoicismus zu üben.
Einigen Trost gewährte es ihm, daß er auf seinem Krankenlager an
seinem jüngern Bruder Jacob, der in der Blüthe seiner Jahre starb, einen
Leidensgefährten hatte.
Seines Vaters Strenge nöthigte ihn, durch verdoppelte
Unterrichtsstunden das während der Krankheit Versäumte wieder
nachzuholen. Die Wohnung seiner Großeltern und ein daran stoßender
Garten in der Friedberger Straße bot ihm dann und wann einen
Zufluchtsort, sich seinen Lectionen zu entziehen. Besonders angenehm
war ihm auch der Aufenthalt in dem Laden seiner Tante, Maria Melber,
der Gattin eines Gewürzhändlers, die ihn mit allerlei Naschwerk
beschenkte. Ihre Schwester war mit dem Pfarrer und Consistorialrath
Stark verheiratet, in dessen Bibliothek ein anderer geistiger Genuß sich
ihm darbot. In der Büchersammlung jenes gelehrten Mannes fand
Goethe eine prosaische Uebersetzung des Homer. Dieser Dichter und
bald nachher Virgil machten einen tiefen und bleibenden Eindruck auf
das poetisch gestimmte Gemüth des Knaben.
Weniger befriedigte sein Herz die trockene Moral, die ihm der bisher
ertheilte Religionsunterricht gepredigt hatte. Er ward irre an den
christlichen Dogmen. Entzweit mit seinen religiösen Begriffen, kam
ihm der sonderbare Gedanke, nach dem Beispiel der Separatisten,
Herrnhuter und anderer Secten, mit dem höchsten Wesen, das er aus
seinem Walten in der Natur längst erkannt, sich in eine Art von
unmittelbarer Verbindung zu setzen, und demselben nach
alttestamentlicher Weise einen Altar zu errichten. Dazu benutzte er ein
rothlakirtes, mit goldnen Blumen verziertes Musikpult, auf welchem er
mehrere Räucherkerzen anzündete. Das Andachtsopfer stieg empor,

mißlang jedoch bei der Wiederholung durch einen unglücklichen Zufall
so gänzlich, daß die damit verbundene Feuersgefahr ihn warnte, in
solcher Weise wieder dem höchsten Wesen sich zu nähern.
Aus den friedlichen und ruhigen Zuständen, in denen Goethe seine
Kindheit verlebt hatte, ward er aufgeschreckt durch den Ausbruch des
siebenjährigen Krieges im Jahr 1756. Er war damals acht Jahre alt. Was
er von Friedrich II und seiner Persönlichkeit erzählen gehört,
begeisterte ihn. Er schrieb sich die Kriegslieder ab, durch welche Gleim
unter der Maske eines preußischen Grenadiers die Heldenthaten des
großen Königs verherrlichte. Seinen Lieblingshelden verkleinern zu
hören, war ihm ein unerträgliches Gefühl. Als sich nach einigen Jahren
durch die Theilnahme Frankreichs der Kriegsschauplatz bis in die Nähe
Frankfurts zu ziehen drohte, hatte dieß für Goethe die Folge, daß er
weniger, als bisher, das elterliche Haus verlassen durfte.
Unter mannichfachen Beschäftigungen griff er wieder nach den
Figuren des Puppenspiels, das er von seiner Großmutter zum Geschenk
erhalten hatte. Mit Hülfe einiger Jugendgespielen ward das frühere
Drama, für welches die Puppen hinreichten, mehrmals vorgestellt. Die
Garderobe und die Decorationen nach und nach zu verändern, war eine
Lieblingsbeschäftigung des Knaben. Sein Versuch, größere Stücke
ufzuführen [aufzuführen], scheiterte jedoch an dem beschränkten
Schauplatz. Unter diesen Umständen leistete ihm ein Bedienter seines
Vaters wesentliche Dienste, indem er ihm Panzer und Rüstungen
verfertigen half. Goethe und seine Gespielen ergötzten sich eine
Zeitlang an den gegenseitigen Parteiungen und Gefechten, die mitunter
in ernsthafte Händel ausarteten, bei denen es ohne derbe Schläge nicht
abging.
Durch einen andern Zeitvertreib, durch
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