Italienische Reise, vol 2 | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
die Gesellschaft war, sondern
ging am Meer spazieren zwischen den Steinen, worunter sich sehr
wunderliche befanden, besonders vieles durch Meerinsekten
durchlöchert, deren einige aussahen wie ein Schwamm.
Hier begegnete mir auch etwas recht Vergnügliches: ein Ziegenhirt
trieb an den Strand des Meeres; die Ziegen kamen in das Wasser und
kühlten sich ab. Nun kam auch der Schweinehirt dazu, und unter der
Zeit, daß die beiden Herden sich in den Wellen erfrischten, setzten sich
beide Hirten in den Schatten und machten Musik; der Schweinehirt auf
einer Flöte, der Ziegenhirt auf dem Dudelsack. Endlich ritt ein
erwachsener Knabe nackend heran und ging so tief in das Wasser, so
tief, daß das Pferd mit ihm schwamm. Das sah nun gar schön aus, wenn
der wohlgewachsene Junge so nah ans Ufer kam, daß man seine ganze
Gestalt sah, und er sodann wieder in das tiefe Meer zurückkehrte, wo
man nichts weiter sah als den Kopf des schwimmenden Pferdes, ihn
aber bis an die Schultern.
Um drei Uhr nachmittags fuhren wir weiter, und als wir Capua drei
Meilen hinter uns gelassen hatten, es war schon eine Stunde in der

Nacht, zerbrachen wir das Hinterrad unsres Wagens. Das hielt uns
einige Stunden auf, um ein andres an die Stelle zu nehmen. Da aber
dieses geschehen war und wir abermals einige Meilen zurückgelegt
hatten, brach die Achse. Hierüber wurden wir sehr verdrießlich; wir
waren so nah bei Neapel und konnten doch unsre Freunde nicht
sprechen. Endlich langten wir einige Stunden nach Mitternacht daselbst
an, wo wir noch so viele Menschen auf der Straße fanden, als man in
einer andern Stadt kaum um Mittag findet.
Hier hab' ich nun alle unsre Freunde gesund und wohl angetroffen, die
sich alle freuten, dasselbe von Ihnen zu hören. Ich wohne bei Herrn
Hackert im Hause; vorgestern war ich mit Ritter Hamilton zu Pausilipo
auf seinem Lusthause. Da kann man denn freilich nichts Herrlicheres
auf Gottes Erdboden schauen. Nach Tische schwammen ein Dutzend
Jungen in dem Meere, das war schön anzusehen. Die vielen Gruppen
und Stellungen, welche sie in ihren Spielen machten! Er bezahlt sie
dafür, damit er jeden Nachmittag diese Lust habe. Hamilton gefällt mir
außerordentlich wohl; ich sprach vieles mit ihm, sowohl hier im Haus,
als auch da wir auf dem Meer spazierenfuhren. Es freute mich
außerordentlich, so viel von ihm zu erfahren, und hoffe noch viel Gutes
von diesem Manne. Schreiben Sie mir doch die Namen Ihrer übrigen
hiesigen Freunde, damit ich auch sie kennen lernen und grüßen kann.
Bald sollen Sie mehreres von hier vernehmen. Grüßen Sie alle Freunde,
besonders Angelika und Reiffenstein.
N. S. Ich finde es in Neapel sehr viel heißer als in Rom, nur mit dem
Unterschied, daß die Luft gesünder ist und auch beständig etwas
frischer Wind weht, aber die Sonne hat viel mehr Kraft; die ersten Tage
war es mir fast unerträglich. Ich habe bloß von Eis--und Schneewasser
gelebt.
Später, ohne Datum.
Gestern hätt' ich Sie in Neapel gewünscht: einen solchen Lärmen, eine
solche Volksmenge, die nur da war, um Eßwaren einzukaufen, hab' ich
in meinem Leben nicht gesehen; aber auch so viele dieser Eßwaren
sieht man nie wieder beisammen. Von allen Sorten war die große
Straße Toledo fast bedeckt. Hier bekommt man erst eine Idee von

einem Volk, das in einer so glücklichen Gegend wohnt, wo die
Jahreszeit täglich Früchte wachsen läßt. Denken Sie sich, daß heute 500
000 Menschen im Schmausen begriffen sind und das auf Neapolitaner
Art. Gestern und heute war ich an einer Tafel, wo gefressen ist worden,
daß ich erstaunt bin; ein sündiger überfluß war da. Kniep saß auch
dabei und übernahm sich so, von allen den leckern Speisen zu essen,
daß ich fürchtete, er platze; aber ihn rührte es nicht, und er erzählte
dabei immer von dem Appetit, den er auf dem Schiff und in Sizilien
gehabt habe, indessen Sie für Ihr gutes Geld, teils aus übelbefinden,
teils aus Vorsatz, gefastet und so gut als gehungert.
Heute ist schon alles aufgefressen worden, was gestern verkauft wurde,
und man sagt, morgen sei die Straße wieder so voll, als sie gestern war.
Toledo scheint ein Theater, wo man den überfluß zeigen will. Die
Butiken sind alle ausgeziert mit Eßwaren, die sogar über die Straße in
Girlanden hinüberhängen, die Würstchen zum Teil vergoldet und mit
roten Bändern gebunden; die welschen Hahnen haben alle eine rote
Fahne im Hintern stecken, deren sind gestern dreißigtausend verkauft
worden, dazu rechne man die, welche die Leute im Hause fett machen.
Die Zahl der Esel mit Kapaunen beladen sowie der andern mit kleinen
Pomeranzen belastet, die großen auf dem Pflaster aufgeschütteten
Haufen solcher Goldfrüchte erschreckten einen. Aber am schönsten
möchten doch die Butiken sein, wo grüne Sachen verkauft werden, und
die, wo Rosinentrauben, Feigen und Melonen ausgesetzt sind: alles so
zierlich zur Schau geordnet, daß es Auge und Herz erfreut. Neapel ist
ein Ort, wo Gott häufig
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