Italienische Reise, vol 1 | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe

Harfnermädchen hier auch nachgefragt hätte?
Die Pflanzen betreffend, fühl' ich noch sehr meine Schülerschaft. Bis
München glaubt' ich wirklich nur die gewöhnlichen zu sehen. Freilich
war meine eilige Tag--und Nachtfahrt solchen feinern Beobachtungen
nicht günstig. Nun habe ich zwar meinen Linné bei mir und seine
Terminologie wohl eingeprägt, wo soll aber Zeit und Ruhe zum
Analysieren herkommen, das ohnehin, wenn ich mich recht kenne,
meine Stärke niemals werden kann? Daher schärf' ich mein Auge aufs
Allgemeine, und als ich am Walchensee die erste Gentiana sah, fiel mir
auf, daß ich auch bisher zuerst am Wasser die neuen Pflanzen fand.
Was mich noch aufmerksamer machte, war der Einfluß, den die
Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu haben schien. Nicht nur neue Pflanzen
fand ich da, sondern Wachstum der alten verändert; wenn in der tiefern
Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen
näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden höher
ins Gebirg hinauf Zweige und Stengel zarter, die Augen rückten
auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum
stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte
dies bei einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es
nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee bemerkte
ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande.
Die Kalkalpen, welche ich bisher durchschnitten, haben eine graue
Farbe und schöne, sonderbare, unregelmäßige Formen, ob sich gleich
der Fels in Lager und Bänke teilt. Aber weil auch geschwungene Lager

vorkommen und der Fels überhaupt ungleich verwittert, so sehen die
Wände und Gipfel seltsam aus. Diese Gebirgsart steigt den Brenner
weit herauf. In der Gegend des oberen Sees fand ich eine Veränderung
desselben. An dunkelgrünen und dunkelgrauen Glimmerschiefer, stark
mit Quarz durchzogen, lehnte sich ein weißer, dichter Kalkstein, der an
der Ablösung glimmerig war und in großen, obgleich unendlich
zerklüfteten Massen anstand. Über demselben fand ich wieder
Glimmerschiefer, der mir aber zärter als der vorige zu sein schien.
Weiter hinauf zeigt sich eine besondere Art Gneis oder vielmehr eine
Granitart, die sich dem Gneis zubildet, wie in der Gegend von Elbogen.
Hier oben, gegen dem Hause über, ist der Fels Glimmerschiefer. Die
Wasser, die aus dem Berge kommen, bringen nur diesen Stein und
grauen Kalk mit.
Nicht fern muß der Granitstock sein, an den sich alles anlehnt. Die
Karte zeigt, daß man sich an der Seite des eigentlichen großen Brenners
befindet, von dem aus die Wasser sich ringsum ergießen.
Vom äußern des Menschengeschlechts habe ich so viel aufgefaßt. Die
Nation ist wacker und gerade vor sich hin. Die Gestalten bleiben sich
ziemlich gleich, braune, wohlgeöffnete Augen und sehr gut gezeichnete
schwarze Augenbraunen bei den Weibern; dagegen blonde und breite
Augenbraunen bei den Männern. Diesen geben die grünen Hüte
zwischen den grauen Felsen ein fröhliches Ansehn. Sie tragen sie
geziert mit Bändern oder breiten Schärpen von Taft mit Franzen, die
mit Nadeln gar zierlich aufgeheftet werden. Auch hat jeder eine Blume
oder eine Feder auf dem Hut. Dagegen verbilden sich die Weiber durch
weiße, baumwollene, zottige, sehr weite Mützen, als wären es
unförmliche Mannesnachtmützen. Das gibt ihnen ein ganz fremdes
Ansehn, da sie im Auslande die grünen Mannshüte tragen, die sehr
schön kleiden.
Ich habe Gelegenheit gehabt zu sehen, welchen Wert die gemeinen
Leute auf Pfauenfedern legen, und wie überhaupt jede bunte Feder
geehrt wird. Wer diese Gebirge bereisen wollte, müßte dergleichen mit
sich führen. Eine solche am rechten Orte angebrachte Feder würde statt
des willkommensten Trinkgeldes dienen.

Indem ich nun diese Blätter sondere, sammele, hefte und dergestalt
einrichte, daß sie meinen Freunden bald einen leichten überblick
meiner bisherigen Schicksale gewähren können, und daß ich mir
zugleich, was ich bisher erfahren und gedacht, von der Seele wälze,
betrachte ich dagegen mit einem Schauer manche Pakete, von denen
ich ein kurz und gutes Bekenntnis ablegen muß: sind es doch meine
Begleiter, werden sie nicht viel Einfluß auf meine nächsten Tage
haben!
Ich hatte nach Karlsbad meine sämtlichen Schriften mitgenommen, um
die von Göschen zu besorgende Ausgabe schließlich
zusammenzustellen. Die ungedruckten besaß ich schon längst in
schönen Abschriften von der geschickten Hand des Sekretär Vogel.
Dieser wackere Mann begleitete mich auch diesmal, um mir durch
seine Fertigkeit beizustehen. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt,
die vier ersten Bände unter der treusten Mitwirkung Herders an den
Verleger abzusenden, und war im Begriff, mit den vier letzten das
gleiche zu tun. Diese bestanden teils aus nur entworfenen Arbeiten, ja
aus Fragmenten, wie denn meine Unart, vieles anzufangen und bei
vermindertem Interesse liegen zu lassen, mit den Jahren,
Beschäftigungen und Zerstreuungen allgemach zugenommen hatte.
Da ich nun diese Dinge sämtlich mit mir führte, so gehorchte ich gern
den Anforderungen der Karlsbader geistreichen Gesellschaft und las ihr
alles vor, was bisher unbekannt geblieben, da man sich denn jedesmal
über das Nichtvollbringen derjenigen Dinge, an denen man sich gern
länger unterhalten hätte, bitterlich beschwerte.
Die Feier meines Geburtstages
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