Iphigenie auf Tauris | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem Raeuber auf der
Spur zu jagen hofften;
Und dann wir Abends an der weiten See
Uns
aneinander lehnend ruhig sassen,
Die Wellen bis zu unsern Fuessen
spielten,
Die Welt so weit, so offen vor uns lag;
Da fuhr wohl Einer
manchmal nach dem Schwert,
Und kuenft'ge Thaten drangen wie die
Sterne
Rings um uns her unzaehlig aus der Nacht.
Pylades.
Unendlich ist das Werk, das zu vollfuehren
Die Seele
dringt. Wir moechten jede That
So gross gleich thun, als wie sie
waechs't und wird,
Wenn Jahre lang durch Laender und Geschlechter

Der Mund der Dichter sie vermehrend waelzt.
Es klingt so schoen
was unsre Vaeter thaten,
Wenn es in stillen Abendschatten ruhend

Der Juengling mit dem Ton der Harfe schluerft;
Und was wir thun ist,
wie es ihnen war,
Voll Mueh' und eitel Stueckwerk!
So laufen wir
nach dem, was vor uns flieht,
Und achten nicht des Weges den wir
treten,

und sehen neben uns der Ahnherrn Tritte
Und ihres
Erdelebens Spuren kaum.
Wir eilen immer ihrem Schatten nach,


Der goettergleich in einer weiten Ferne
Der Berge Haupt auf goldnen
Wolken kroent.
Ich halte nichts von dem, der von sich denkt
Wie
ihn das Volk vielleicht erheben moechte.
Allein, o Juengling, danke
du den Goettern,
Dass sie so frueh durch dich so viel gethan.
Orest.
Wenn sie dem Menschen frohe That bescheren
Dass er ein
Unheil von den Seinen wendet,
Dass er sein Reich vermehrt, die
Graenzen sichert,
Und alte Feinde fallen oder fliehn;
Dann mag er
danken! denn ihm hat ein Gott
Des Lebens erste, letzte Lust gegoennt.

Mich haben sie zum Schlaechter auserkoren,
Zum Moerder meiner
doch verehrten Mutter,
Und, eine Schandthat schaendlich raechend,
mich
Durch ihren Wink zu Grund' gerichtet. Glaube,
Sie haben es
auf Tantals Haus gerichtet,
Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos,
soll
Nicht ehrenvoll vergehn.
Pylades.
Die Goetter raechen
Der Vaeter Missethat nicht an dem Sohn;
Ein
jeglicher, gut oder boese, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner That
hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
Orest.
Uns fuehrt ihr Segen, duenkt mich, nicht hierher.
Pylades.
Doch wenigstens der hohen Goetter Wille.
Orest.
So ist's ihr Wille denn, der uns verderbt.
Pylades.
Thu' was sie dir gebieten und erwarte.
Bringst du die
Schwester zu Apollen hin,
Und wohnen beide dann vereint zu Delphi,

Verehrt von einem Volk das edel denkt;
So wird fuer diese That
das hohe Paar
Dir gnaedig sein, sie werden aus der Hand
Der
Unterird'schen dich erretten. Schon
In diesen heil'gen Hain wagt
keine sich.
Orest.
So hab' ich wenigstens geruh'gen Tod.

Pylades.
Ganz anders denk' ich, und nicht ungeschickt
Hab' ich das
schon Geschehne mit dem Kuenft'gen
Verbunden und im stillen
ausgelegt.
Vielleicht reift in der Goetter Rath schon lange
Das
grosse Werk. Diana sehnet sich
Von diesem rauhen Ufer der
Barbaren
Und ihren blut'gen Menschenopfern weg.
Wir waren zu
der schoenen That bestimmt,
Uns wird sie auferlegt, und seltsam sind

Wir an der Pforte schon gezwungen hier.
Orest.
Mit seltner Kunst flichtst du der Goetter Rath
Und deine
Wuensche klug in Eins zusammen.
Pylades.
Was ist des Menschen Klugheit, wenn sie nicht
Auf Jener
Willen droben achtend lauscht?
Zu einer schweren That beruft ein
Gott
Den edeln Mann, der viel verbrach, und legt
Ihm auf was uns
unmoeglich scheint zu enden.
Es siegt der Held, und buessend dienet
er
Den Goettern und der Welt, die ihn verehrt.
Orest.
Bin ich bestimmt zu leben und zu handeln,
So nehm' ein Gott
von meiner schweren Stirn
Den Schwindel weg, der auf dem
schluepfrigen,
Mit Mutterblut besprengten Pfade fort
Mich zu den
Todten reisst. Er trockne gnaedig
Die Quelle, die, mir aus der Mutter
Wunden
Entgegen sprudelnd, ewig mich befleckt.
Pylades.
Erwart' es ruhiger! Du mehrst das uebel
Und nimmst das
Amt der Furien auf dich.
Lass mich nur sinnen, bleibe still! Zuletzt,

Bedarf's zur That vereinter Kraefte, dann
Ruf' ich dich auf, und
beide schreiten wir
Mit ueberlegter Kuehnheit zur Vollendung.
Orest.
Ich hoer' Ulyssen reden.
Pylades.
Spotte nicht.
Ein jeglicher muss seinen Helden waehlen,
Dem er die
Wege zum Olymp hinauf
Sich nacharbeitet. Lass es mich gestehn:

Mir scheinen List und Klugheit nicht den Mann
Zu schaenden, der

sich kuehnen Thaten weiht.
Orest.
Ich schaetze den, der tapfer ist und g'rad.
Pylades.
Drum hab' ich keinen Rath von dir verlangt.
Schon ist ein
Schritt gethan. Von unsern Waechtern
Hab' ich bisher gar vieles
ausgelockt.
Ich weiss, ein fremdes, goettergleiches Weib
Haelt
jenes blutige Gesetz gefesselt;
Ein reines Herz und Weihrauch und
Gebet
Bringt sie den Goettern dar. Man ruehmet hoch
Die Guetige;
man glaubet, sie entspringe
vom Stamm der Amazonen, sei geflohn,

Um einem grossen Unheil zu entgehn.
Orest.
Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft
Durch des
Verbrechers Naehe, den der Fluch
Wie eine breite Nacht verfolgt und
deckt.
Die fromme Blutgier loes't den alten Brauch
Von seinen
Fesseln los, uns zu verderben.
Der wilde Sinn des Koenigs toedtet
uns;
Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zuernt.
Pylades.
Wohl uns, dass es ein Weib ist! denn ein Mann,
Der beste
selbst, gewoehnet seinen Geist
An Grausamkeit und macht sich auch
zuletzt
Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz,
Wird aus
Gewohnheit hart und fast unkenntlich.
Allein ein Weib bleibt staet
auf Einem Sinn
Den sie gefasst. Du rechnest sicherer
Auf sie im
Guten wie im Boesen.--Still!
Sie kommt; lass uns allein. Ich darf
nicht gleich
Ihr unsre Namen nennen, unser Schicksal
Nicht ohne
Rueckhalt ihr vertraun. Du gehst,
Und eh' sie mit dir spricht, treff' ich
dich noch.
Zweiter Auftritt.
Iphigenie. Pylades.
Iphigenie.
Woher du seist und
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