Iphigenie auf Tauris | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
kommst, o Fremdling, sprich!
Mir
scheint es, dass ich eher einem Griechen
Als einem Scythen dich
vergleichen soll.

(Sie nimmt ihm die Ketten ab.)
Gefaehrlich ist die Freiheit, die ich
gebe;
Die Goetter wenden ab was euch bedroht!
Pylades.
O suesse Stimme! Vielwillkommner Ton
Der
Muttersprach' in einem fremden Lande!
Des vaeterlichen Hafens
blaue Berge
Seh' ich Gefangner neu willkommen wieder
Vor
meinen Augen. Lass dir diese Freude
Versichern, dass auch ich ein
Grieche bin!
Vergessen hab' ich einen Augenblick,
Wie sehr ich
dein bedarf, und meinen Geist
Der herrlichen Erscheinung
zugewendet.
O sage, wenn dir dein Verhaengniss nicht
Die Lippe
schliesst, aus welchem unsrer Staemme
Du deine goettergleiche
Herkunft zaehlst.
Iphigenie.
Die Priesterin, von ihrer Goettin selbst
Gewaehlet und
geheiligt, spricht mit dir.
Das lass dir g'nuegen; sage, wer du seist

Und welch unselig-waltendes Geschick
Mit dem Gefaehrten dich
hierher gebracht.
Pylades.
Leicht kann ich dir erzaehlen, welch ein uebel
Mit
lastender Gesellschaft uns verfolgt.
O koenntest du der Hoffnung
frohen Blick
Uns auch so leicht, du Goettliche, gewaehren!
Aus
Kreta sind wir, Soehne des Adrasts:
Ich bin der juengste, Cephalus
genannt,
Und er Laodamas, der aelteste
Des Hauses. Zwischen uns
stand rauh und wild
Ein mittlerer, und trennte schon im Spiel
Der
ersten Jugend Einigkeit und Lust.
Gelassen folgten wir der Mutter
Worten,
So lang des Vaters Kraft vor Troja stritt;
Doch als er
beutereich zuruecke kam
Und kurz darauf verschied, da trennte bald

Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister.
Ich neigte mich
zum aelt'sten. Er erschlug
Den Bruder. Um der Blutschuld willen
treibt
Die Furie gewaltig ihn umher.
Doch diesem wilden Ufer
sendet uns
Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu.
Im Tempel
seiner Schwester hiess er uns
Der Huelfe segensvolle Hand erwarten.

Gefangen sind wir und hierher gebracht,
Und dir als Opfer
dargestellt. Du weisst's.

Iphigenie.
Fiel Troja? Theurer Mann, versichr' es mir.
Pylades.
Es liegt. O sichre du uns Rettung zu!
Beschleunige die
Huelfe, die ein Gott
Versprach. Erbarme meines Bruders dich.
O
sag' ihm bald ein gutes holdes Wort;
Doch schone seiner wenn du mit
ihm sprichst,
Das bitt' ich eifrig: denn es wird gar leicht
Durch
Freud' und Schmerz und durch Erinnerung
Sein Innerstes ergriffen
und zerruettet.
Ein fieberhafter Wahnsinn faellt ihn an,
Und seine
schoene freie Seele wird
Den Furien zum Raube hingegeben.
Iphigenie.
So gross dein Unglueck ist, beschwoer' ich dich,
Vergiss
es, bis du mir genug gethan.
Pylades.
Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre
Dem ganzen Heer
der Griechen widerstand,
Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder
auf.
Doch manche Graeber unsrer Besten heissen
Uns an das Ufer
der Barbaren denken.
Achill liegt dort mit seinem schoenen Freunde.
Iphigenie.
So seid ihr Goetterbilder auch zu Staub!
Pylades.
Auch Palamedes, Ajax Telamons,
Sie sahn des
Vaterlandes Tag nicht wieder.
Iphigenie.
Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht
Mit den
Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch!
Ich werd' ihn sehn! O hoffe, liebes
Herz!
Pylades.
Doch selig sind die Tausende, die starben
Den
bittersuessen Tod von Feindes Hand!
Denn wueste Schrecken und ein
traurig Ende
Hat den Rueckkehrenden statt des Triumphs
Ein
feindlich aufgebrachter Gott bereitet.
Kommt denn der Menschen
Stimme nicht zu euch?
So weit sie reicht, traegt sie den Ruf umher

Von unerhoerten Thaten die geschahn.
So ist der Jammer, der
Mycenens Hallen
Mit immer wiederholten Seufzern fuellt,
Dir ein
Geheimniss? Klytaemnestra hat

Mit Huelf' aegisthens den Gemahl

berueckt,
Am Tage seiner Rueckkehr ihn ermordet!--
Ja, du
verehrest dieses Koenigs Haus!
Ich seh' es, deine Brust bekaempft
vergebens
Das unerwartet ungeheure Wort.
Bist du die Tochter
eines Freundes? bist
Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?

Verbirg es nicht und rechne mir's nicht zu,
Dass ich der Erste diese
Graeuel melde.
Iphigenie.
Sag' an, wie ward die schwere That vollbracht?
Pylades.
Am Tage seiner Ankunft, da dir Koenig
Vom Bad erquickt
und ruhig, sein Gewand
Aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg,

Warf die Verderbliche ein faltenreich
Und kuenstlich sich
verwirrendes Gewebe
Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;

Und da er wie von einem Netze sich
Vergebens zu entwickeln strebte,
schlug
aegisth ihn, der Verraether, und verhuellt
Ging zu den
Todten dieser grosse Fuerst.
Iphigenie.
Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworne?
Pylades.
Ein Reich und Bette, das er schon besass.
Iphigenie.
So trieb zur Schandthat eine boese Lust?
Pylades.
Und einer alten Rache tief Gefuehl.
Iphigenie.
Und wie beleidigte der Koenig sie?
Pylades.
Mit schwerer That, die, wenn Entschuldigung
Des Mordes
waere, sie entschuldigte.
Nach Aulis lockt' er sie und brachte dort,

Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt
Mit ungstuemen Winden
widersetzte,
Die aelt'ste Tochter, Iphigenien,
Vor den Altar Dianens,
und sie fiel
Ein blutig Opfer fuer der Griechen Heil.
Diess, sagt
man, hat ihr einen Widerwillen
So tief in's Herz gepraegt, dass sie
dem Werben
aegisthens sich ergab und den Gemahl
Mit Netzen des
Verderbens selbst umschlang.

Iphigenie (sich verhuellend).
Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn.
Pylades (allein).
Von dem Geschick des Koenigs-Hauses scheint

Sie tief geruehrt. Wer sie auch immer sei,
So hat sie selbst den
Koenig wohl gekannt
Und ist, zu unserm Glueck, aus hohem Hause

Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz,
Und lass dem Stern der
Hoffnung, der uns blinkt,
Mit frohem Muth uns klug entgegen
steuern.
Dritter Aufzug.
Erster Auftritt.
Iphigenie. Orest.
Iphigenie.
Ungluecklicher, ich loese deine Bande
Zum Zeichen
eines schmerzlichern Geschicks.
Die Freiheit, die das Heiligthum
gewaehrt,
Ist, wie der letzte lichte Lebensblick
Des schwer
Erkrankten, Todesbote. Noch
Kann ich es mir und darf es mir nicht
sagen,
Dass ihr verloren seid! Wie koennt' ich euch
Mit
moerderischer Hand dem Tode weihen?
Und niemand, wer es sei,
darf euer Haupt,
So lang ich Priesterin Dianens bin,
Beruehren.
Doch verweigr' ich
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