Iphigenie auf Tauris | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
Pflicht, ich werde meine thun.
Zwei Fremde, die
wir in des Ufers Hoehlen
Versteckt gefunden, und die meinem Lande

Nichts Gutes bringen, sind in meiner Hand.
Mit diesen nehme
deine Goettin wieder
Ihr erstes, rechtes, lang entbehrtes Opfer!
Ich
sende sie hierher; du weisst den Dienst.
Vierter Auftritt.
Iphigenie (allein).
Du hast Wolken, gnaedige Retterin,
Einzuhuellen
unschuldig Verfolgte,
Und auf Winden dem ehrnen Geschick sie

Aus den Armen, ueber das Meer,
ueber der Erde weiteste Strecken

Und wohin es dir gut duenkt zu tragen.
Weise bist du und siehest das
Kuenftige;
Nicht vorueber ist dir das Vergangne,
Und dein Blick
ruht ueber den Deinen
Wie dein Licht, das Leben der Naechte,

ueber der Erde ruhet und waltet.
O enthalte vom Blut meine Haende!

Nimmer bringt es Segen und Ruhe;
Und die Gestalt des zufaellig
Ermordeten
Wird auf des traurig-unwilligen Moerders
Boese
Stunden lauern und schrecken.
Denn die Unsterblichen lieben der
Menschen
Weit verbreitete gute Geschlechter,
Und sie fristen das
fluechtige Leben
Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne
Ihres
eigenen, ewigen Himmels
Mitgeniessendes froehliches Anschaun

Eine Weile goennen und lassen.
Zweiter Aufzug.
Erster Auftritt.
Orest. Pylades.
Orest.
Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt
wird meine Seele stiller.
Als ich Apollen bat, das graessliche
Geleit
der Rachegeister von der Seite
Mir abzunehmen, schien er Huelf' und
Rettung
Im Tempel seiner vielgeliebten Schwester,
Die ueber

Tauris herrscht, mit hoffnungsreichen
Gewissen Goetterworten zu
versprechen;
Und nun erfuellet sich's, dass alle Noth
Mit meinem
Leben voellig enden soll.
Wie leicht wird's mir, dem eine
Goetterhand
Das Herz zusammendrueckt, den Sinn betaeubt,
Dem
schoenen Licht der Sonne zu entsagen.
Und sollen Atreus Enkel in
der Schlacht
Ein siegbekroentes Ende nicht gewinnen;
Soll ich wie
meine Ahnen, wie mein Vater,
Als Opferthier im Jammertode bluten:

So sei es! Besser hier vor dem Altar,
Als im verworfnen Winkel,
wo die Netze
Der nahverwandte Meuchelmoerder stellt.
Lasst mir
so lange Ruh, ihr Unterird'schen,
Die nach dem Blut ihr, das von
meinen Tritten
Hernieder traeufelnd meinen Pfad bezeichnet,
Wie
losgelass'ne Hunde spuerend hetzt.
Lasst mich, ich komme bald zu
euch hinab;
Das Licht des Tags soll euch nicht sehn, noch mich.

Der Erde schoener gruener Teppich soll
Kein Tummelplatz fuer
Larven sein. Dort unten
Such' ich euch auf: dort bindet alle dann

Ein gleich Geschick in ew'ge matte Nacht.
Nur dich, mein Pylades,
dich, meiner Schuld
Und meines Banns unschuldigen Genossen,

Wie ungern nehm' ich dich in jenes Trauerland
Fruehzeitig mit! Dein
Leben oder Tod
Gibt mir allein noch Hoffnung oder Furcht.
Pylades.
Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit,
In jenes
Schattenreich hinabzugehn.
Ich sinne noch, durch die verworrnen
Pfade,
Die nach der schwarzen Nacht zu fuehren scheinen,
Uns zu
dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn'
und horche,
Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht
Die Goetter
Rath und Wege zubereiten.
Der Tod, gefuerchtet oder ungefuerchtet,

Kommt unaufhaltsam. Wenn die Priesterin
Schon, unsre Locken
weihend abzuschneiden,

Die Hand erhebt, soll dein' und meine
Rettung
Mein einziger Gedanke sein. Erhebe
Von diesem Unmuth
deine Seele; zweifelnd
Beschleunigest du die Gefahr. Apoll
Gab
uns das Wort: im Heiligthum der Schwester
Sei Trost und Huelf' und
Rueckkehr dir bereitet.
Der Goetter Worte sind nicht doppelsinnig,

Wie der Gedrueckte sie im Unmuth waehnt.

Orest.
Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter schon mir um
das zarte Haupt,
Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters,
und es war mein stummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem
Buhlen.
Wie oft, wenn still Elektra, meine Schwester,
Am Feuer in
der tiefen Halle sass,
Draengt' ich beklommen mich an ihren Schoos,

Und starrte, wie sie bitter weinte, sie
Mit grossen Augen an. Dann
sagte sie
Von unserm hohen Vater viel: wie sehr
Verlangt' ich ihn
zu sehn, bei ihm zu sein!
Mich wuenscht' ich bald nach Troja, ihn
bald her.
Es kam der Tag--
Pylades.
O lass von jener Stunde
Sich Hoellengeister naechtlich unterhalten!

Uns gebe die Erinnrung schoener Zeit
Zu frischem Heldenlaufe
neue Kraft.
Die Goetter brauchen manchen guten Mann
Zu ihrem
Dienst auf dieser weiten Erde.
Sie haben noch auf dich gezaehlt; sie
gaben
Dich nicht dem Vater zum Geleite mit,
Da er unwillig nach
dem Orcus ging.
Orest.
O, waer' ich, seinen Saum ergreifend, ihm
Gefolgt!
Pylades.
So haben die, die dich erhielten,
Fuer mich gesorgt: denn was ich
worden waere,
Wenn du nicht lebtest, kann ich mir nicht denken;

Da ich mit dir und deinetwillen nur
Seit meiner Kindheit leb' und
leben mag.
Orest.
Erinnre mich nicht jener schoenen Tage,
Da mir dein Haus
die freie Staette gab,
Dein edler Vater klug und liebevoll
Die
halberstarrte junge Bluethe pflegte;
Da du ein immer munterer
Geselle,
Gleich einem leichten bunten Schmetterling
Um eine
dunkle Blume, jeden Tag
Um mich mit neuem Leben gaukeltest,

Mir deine Lust in meine Seele spieltest,
Dass ich, vergessend meiner
Noth, mit dir

In rascher Jugend hingerissen schwaermte.

Pylades.
Da fing mein Leben an, als ich dich liebte.
Orest.
Sag: meine Noth begann, und du sprichst wahr.
Das ist das
aengstliche von meinem Schicksal,
Dass ich, wie ein verpesteter
Vertriebner,
Geheimen Schmerz und Tod im Busen trage;
Dass, wo
ich den gesund'sten Ort betrete,
Gar bald um mich die bluehenden
Gesichter
Den Schmerzenszug langsamen Tod's verrathen.
Pylades.
Der Naechste waer' ich diesen Tod zu sterben,
Wenn je
dein Hauch, Orest, vergiftete.
Bin ich nicht immer noch voll Muth
und Lust?
Und Lust und Liebe sind die Fittige
Zu grossen Thaten.
Orest.
Grosse Thaten? Ja,
Ich weiss die Zeit, da wir sie vor uns sahn!

Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg' und Thaeler
rannten und dereinst
An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich

Mit Keul'
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