Iphigenie auf Tauris | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
Staunen und mit Bangigkeit?Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,?Als haette der Olymp sich aufgethan?Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt?Zum Schrecken Ilions herabgesendet,?Und Agamemnon war vor allen herrlich!?O sage mir! Er fiel, sein Haus betretend,?Durch seiner Frauen und aegisthens Tuecke?
Orest.?Du sagst's!
Iphigenie.
Weh dir, unseliges Mycen!?So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch?Mit vollen wilden Haenden ausgesaet!?Und gleich dem Unkraut, wueste Haeupter schuettelnd?Und tausendfaelt'gen Samen um sich streuend,?Den Kindeskindern nahverwandte Moerder?Zur ew'gen Wechselwuth erzeugt! Enthuelle,?Was von der Rede deines Bruders schnell?Die Finsterniss des Schreckens mir verdeckte.?Wie ist des grossen Stammes letzter Sohn,?Das holde Kind, bestimmt des Vaters Raecher?Dereinst zu sein, wie ist Orest dem Tage?Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geschick?Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen??Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?
Orest.?Sie leben.
Iphigenie.
Goldne Sonne, leihe mir?Die schoensten Strahlen, lege sie zum Dank?Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und stumm.
Orest.?Bist du gastfreundlich diesem Koenigs-Hause,?Bist du mit naehern Banden ihm verbunden,?Wie deine schoene Freude mir verraeth:?So baendige dein Herz und halt' es fest!?Denn unertraeglich muss dem Froehlichen?Ein jaeher Rueckfall in die Schmerzen sein.?Du weisst nur, merk' ich, Agamemnons Tod.
Iphigenie.?Hab' ich an dieser Nachricht nicht genug?
Orest.?Du hast des Graeuels Haelfte nur erfahren.
Iphigenie.?Was fuercht' ich noch? Orest, Elektra leben.
Orest.?Und fuerchtest du fuer Klytaemnestren nichts?
Iphigenie.?Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.
Orest.?Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab.
Iphigenie.?Vergoss sie reuig wuethend selbst ihr Blut?
Orest.?Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.
Iphigenie.?Sprich deutlicher, dass ich nicht laenger sinne.?Die Ungewissheit schlaegt mir tausendfaeltig?Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.
Orest.?So haben mich die Goetter ausersehn?Zum Boten einer That, die ich so gern?In's klanglos-dumpfe Hoehlenreich der Nacht?Verbergen moechte? Wider meinen Willen?Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf?Auch etwas Schmerzlichs fordern und erhaelt's.?Am Tage, da der Vater fiel, verbarg?Elektra rettend ihren Bruder: Strophius,?Des Vaters Schwaeher, nahm ihn willig auf,?Erzog ihn neben seinem eignen Sohne,?Der, Pylades genannt, die schoensten Bande?Der Freundschaft um den Angekommnen knuepfte.?Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele?Die brennende Begier des Koenigs Tod?Zu raechen. Unversehen, fremd gekleidet,?Erreichen sie Mycen, als braechten sie?Die Trauernachricht von Orestens Tode?Mit seiner Asche. Wohl empfaenget sie?Die Koenigin; sie treten in das Haus.?Elektren gibt Orest sich zu erkennen;?Sie blaes't der Rache Feuer in ihm auf,?Das vor der Mutter heil'ger Gegenwart?In sich zurueckgebrannt war. Stille fuehrt?Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel,?Wo eine alte leichte Spur des frech?Vergoss'nen Blutes oftgewaschnen Boden?Mit blassen ahndungsvollen Streifen faerbte.?Mit ihrer Feuerzunge schilderte?Sie jeden Umstand der verruchten That,?Ihr knechtisch elend durchgebrachtes Leben,?Den uebermuth der gluecklichen Verraether,?Und die Gefahren, die nun der Geschwister?Von einer stiefgewordnen Mutter warteten.--?Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf,?Der schon in Tantals Hause grimmig wuethete,?Und Klytaemnestra fiel durch Sohnes Hand.
Iphigenie.?Unsterbliche, die ihr den reinen Tag?Auf immer neuen Wolken selig lebet,?Habt ihr nur darum mich so manches Jahr?Von Menschen abgesondert, mich so nah?Bei euch gehalten, mir die kindliche?Beschaeftigung, des heil'gen Feuers Gluth?Zu naehren aufgetragen, meine Seele?Der Flamme gleich in ew'ger frommer Klarheit?Zu euern Wohnungen hinaufgezogen,?Dass ich nur meines Hauses Graeuel spaeter?Und tiefer fuehlen sollte? Sage mir?Vom Ungluecksel'gen! sprich mir von Orest!--
Orest.?O, koennte man von seinem Tode sprechen!?Wie gaehrend stieg aus der Erschlagnen Blut?Der Mutter Geist?Und ruft der Nacht uralten Toechtern zu:?"Lasst nicht den Muttermoerder entfliehn!?Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!"?Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick?Mit der Begier des Adlers um sich her.?Sie ruehren sich in ihren schwarzen Hoehlen,?Und aus den Winkeln schleichen ihre Gefaehrten,?Der Zweifel und die Reue, leis herbei.?Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron;?In seinen Wolkenkreisen waelzet sich?Die ewige Betrachtung des Geschehnen?Verwirrend um des Schuld'gen Haupt umher?Und sie, berechtigt zum Verderben, treten?Der gottbesaeten Erde schoenen Boden,?Von dem ein alter Fluch sie laengst verbannte.?Den Fluechtigen verfolgt ihr schneller Fuss;?Sie geben nur um neu zu schrecken Rast.
Iphigenie.?Unseliger, du bist in gleichem Fall,?Und fuehlst was er, der arme Fluechtling, leidet!
Orest.?Was sagst du mir? was waehnst du gleichen Fall?
Iphigenie.?Dich drueckt ein Brudermord wie jenen; mir?Vertraute diess dein juengster Bruder schon.
Orest.?Ich kann nicht leiden, dass du grosse Seele?Mit einem falschen Wort betrogen werdest.?Ein luegenhaft Gewebe knuepf' ein Fremder?Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt,?Zur Falle vor die Fuesse; zwischen uns?Sei Wahrheit!?Ich bin Orest! und dieses schuld'ge Haupt?Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod;?In jeglicher Gestalt sei er willkommen!?Wer du auch seist, so wuensch' ich Rettung dir?Und meinem Freunde; mir wuensch' ich sie nicht.?Du scheinst hier wider Willen zu verweilen;?Erfindet Rath zur Flucht und lasst mich hier.?Es stuerze mein entseelter Leib vom Fels,?Es rauche bis zum Meer hinab mein Blut,?Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!?Geht ihr, daheim im schoenen Griechenland?Ein neues Leben freundlich anzufangen.
(Er entfernt sich.)
Iphigenie.?So steigst du denn, Erfuellung, schoenste Tochter?Des groessten Vaters, endlich zu mir nieder!?Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!?Kaum reicht mein Blick dir an die Haende, die?Mit Furcht und Segenskraenzen angefuellt?Die Schaetze des Olympus niederbringen.?Wie man den Koenig an dem uebermass?Der Gaben kennt: denn ihm muss wenig scheinen?Was Tausenden schon Reichthum ist; so kennt?Man euch, ihr Goetter, an gesparten, lang?Und weise zubereiteten Geschenken.?Denn ihr allein wisst was uns
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