Immensee | Page 8

Theodor W. Storm
den Postwagen erreicht; es war noch eben Zeit genug. Noch einmal nahm Reinhard ihre Hand. ?Leb wohl!" sagte er, ?leb wohl, Elisabeth! Vergi? es nicht!"
Sie sch��ttelte mit dem Kopf. ?Leb wohl!" sagte sie. Reinhard stieg hinein, und die Pferde zogen an. Als der Wagen um die Stra?enecke rollte, sah er noch einmal ihre liebe Gestalt, wie sie langsam den Weg zur��ckging.
* * * * *
EIN BRIEF
Fast zwei Jahre nachher sa? Reinhard vor seiner Lampe zwischen B��chern und Papieren in Erwartung eines Freundes, mit welchem er gemeinschaftliche Studien ��bte. Man kam die Treppe herauf. ?Herein!" Es war die Wirtin. ?Ein Brief f��r Sie, Herr Werner!" Dann entfernte sie sich wieder.
Reinhard hatte seit seinem Besuch in der Heimat nicht an Elisabeth geschrieben und von ihr keinen Brief mehr erhalten. Auch dieser war nicht von ihr; es war die Hand seiner Mutter.
Reinhard brach und las, und bald las er folgendes:
?In Deinem Alter, mein liebes Kind, hat noch fast jedes Jahr sein eigenes Gesicht: denn die Jugend l??t sich nicht ?rmer machen. Hier ist auch manches anders geworden, was Dir wohl erstan weh tun wird, wenn ich Dich sonst recht verstanden habe.
?Erich hat sich gestern endlich das Jawort von Elisabeth geholt, nachdem er in dem letzten Vierteljahr zweimal vergebens angefragt hatte. Sie hatte sich immer nicht dazu entschlie?en k?nnen; nun hat sie es endlich doch getan; sie ist auch noch gar zu jung. Die Hochzeit wird bald sein, und die Mutter wird dann mit ihnen fortgehen."
* * * * *
IMMENSEE
Wiederum waren Jahre vor��ber.--Auf einem abw?rts f��hrenden schattigen Waldwege wanderte an einem warmen Fr��hlingsnachmittage ein junger Mann mit kr?ftigem, gebr?untem Antlitz.
Mit seinen ernsten dunkeln Augen sah er gespannt in die Ferne, als erwarte er endlich eine Ver?nderung des einf?rmigen Weges, die jedoch immer nicht eintreten wollte. Endlich kam ein Karrenfuhrwerk langsam von unten herauf.
?Hollah! guter Freund!" rief der Wanderer dem nebengehenden Bauer zu, ?geht's hier recht nach Immensee?"
?Immer gerad' aus," antwortete der Mann, und r��ckte an seinem Rundhute.
?Hat's denn noch weit dahin?"
?Der Herr ist dicht davor. Keine halbe Pfeif' Tabak, so haben's den See; das Herrenhaus liegt hart daran."
Der Bauer fuhr vor��ber; der andere ging eiliger unter den B?umen entlang. Nach einer Viertelstunde h?rte ihm zur Linken pl?tzlich der Schatten auf; der Weg f��hrte an einen Abhang, aus dem die Gipfel hundertj?hriger Eichen nur kaum hervorragten.
��ber sie hinweg ?ffnete sich eine weite, sonnige Landschaft. Tief unten lag der See, ruhig, dunkelblau, fast ringsum von gr��nen, sonnenbeschienenen W?ldern umgeben; nur an einer Stelle traten sie auseinander und gew?hrten eine tiefe Fernsicht, bis auch diese durch blaue Berge geschlossen wurde.
Quer gegen��ber, mitten in dem gr��nen Laub der W?lder, lag es wie Schnee dar��ber her; das waren bl��hende Obstb?ume, und daraus hervor auf dem hohen Ufer erhob sich das Herrenhaus, wei? mit roten Ziegeln. Ein Storch flog vom Schornstein auf und kreiste langsam ��ber dem Wasser.
?Immensee!" rief der Wanderer.
Es war fast, als h?tte er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht, denn er stand unbeweglich und sah ��ber die Gipfel der B?ume zu seinen F��?en hin��ber ans andere Ufer, wo das Spiegelbild des Herrenhauses leise schaukelnd auf dem Wasser schwamm. Dann setzte er pl?tzlich seinen Weg fort.
Es ging jetzt fast steil den Berg hinab, so da? die unten stehenden B?ume wieder Schatten gew?hrten, zugleich aber die Aussicht auf den See verdeckten, der nur zuweilen zwischen den L��cken der Zweige hindurchblitzte.
Bald ging es wieder sanft empor, und nun verschwand rechts und links die Holzung; statt dessen streckten sich dichtbelaubte Weinh��gel am Wege entlang; zu beiden Seiten desselben standen bl��hende Obstb?ume voll summender w��hlender Bienen. Ein stattlicher Mann in braunem ��berrock kam dem Wanderer entgegen. Als er ihn fast erreicht hatte, schwenkte er seine M��tze und rief mit heller Stimme:
?Willkommen, willkommen, Bruder Reinhard! Willkommen auf Gut Immensee!"
?Gott gr��?' dich, [Fu?note: Dieser Gru? wird besonders in Suddeutschland gebraucht.] Erich, und Dank f��r dein Willkommen!" rief ihm der andere entgegen.
Dann waren sie zu einander gekommen und reichten sich die H?nde.
?Bist du es denn aber auch?" sagte Erich, als er so nahe in das ernste Gesicht seines alten Schulkameraden sah.
?Freilich bin ich's, Erich, und du bist es auch; nur siehst du fast noch heiterer aus, als du schon sonst immer getan hast."
Ein frohes L?cheln machte Erichs einfache Z��ge bei diesen Worten noch um vieles heiterer.
?Ja, Bruder Reinhard," sagte er, diesem noch einmal seine Hand reichend, ?ich habe aber auch seitdem das gro?e Los gezogen; du wei?t es ja."
Dann rieb er sich die H?nde und rief vergn��gt: ?Das wird eine ��berraschung! Den erwartet sie nicht, in alle Ewigkeit nicht!"
?Eine ��berraschung?" fragte Reinhard. ?F��r wen denn?"
?F��r Elisabeth."
?Elisabeth! Du hast ihr nicht von meinem Besuch gesagt?"
?Kein Wort, Bruder Reinhard; sie denkt nicht an dich, die Mutter auch nicht. Ich hab' dich ganz im geheimen verschrieben, damit die Freude desto gr??er sei. Du wei?t, ich hatte immer so meine stillen Pl?nchen."
Reinhard wurde nachdenklich; der Atem schien ihm schwer
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