Immensee | Page 6

Theodor W. Storm
dann leicht verdrie?lich.
?Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke! Du r?tst es nicht? Mich selber! Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm dreimal sitzen m��ssen, jedesmal eine ganze Stunde.
?Es war mir recht zuwider, da? der fremde Mensch mein Gesicht so auswendig lernte. Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; sie sagte, es w��rde der guten Frau Werner eine gar gro?e Freude machen.
?Aber Du h?ltst nicht Wort, Reinhard. Du hast keine M?rchen geschickt. Ich habe Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, Du habest jetzt mehr zu tun, als solche Kindereien. Ich glaub' es aber nicht; es ist wohl anders."
Nun las Reinhard auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe gelesen und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, ��berfiel ihn ein unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeitlang in seinem Zimmer auf und nieder: er sprach leise und dann halbverst?ndlich zu sich selbst:
Er w?re fast verirret Und wu?te nicht hinaus; Da stand das Kind am Wege Und winkte ihm nach Haus.
Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus und ging wieder auf die Stra?e hinab. Hier war es mittlerweile stiller geworden; die Weihnachtsb?ume waren ausgebrannt, die Umz��ge der Kinder hatten aufgeh?rt. Der Wind fegte durch die einsamen Stra?en; Alte und Junge sa?en in ihren H?usern familienweise zusammen; der zweite Abschnitt des Weihnachtsabends hatte begonnen.
Als Reinhard in die N?he des Ratskellers kam, h?rte er aus der Tiefe herauf Geigenstrich und den Gesang des Zitherm?dchens; nun klingelte unten die Kellert��r, und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt erleuchtete Treppe herauf.
Reinhard trat in den H?userschatten und ging dann rasch vor��ber. Nach einer Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers, und nachdem er hier ein kleines Kreuz mit roten Korallen eingehandelt hatte, ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder zur��ck.
Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in kl?gliche Lumpen geh��lltes M?dchen an einer hohen Haust��r stehen, in vergeblicher Bem��hung, sie zu ?ffnen.
?Soll ich dir helfen?" sagte er.
Das Kind erwiderte nichts, lie? aber die schwere T��rklinke fahren. Reinhard hatte schon die T��r ge?ffnet.
?Nein," sagte er, ?sie k?nnten dich hinausjagen; komm mit mir! ich will dir Weihnachtskuchen geben."
Dann machte er die T��r wieder zu und fa?te das kleine M?dchen an der Hand, das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging.
Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen.
?Hier hast du Kuchen," sagte er und gab ihr die H?lfte seines ganzen Schatzes in ihre Sch��rze, nur keine mit den Zuckerbuchstaben.
?Nun geh nach Haus und gib deiner Mutter auch davon."
Das Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf; es schien solcher Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern zu k?nnen. Reinhard machte die T��r auf und leuchtete ihr, und nun flog die Kleine wie ein Vogel mit ihrem Kuchen die Treppe hinab und zum Hause hinaus.
Reinhard sch��rte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte Tintenfa? auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb und schrieb die ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth.
Der Rest der Weihnachtskuchen lag unber��hrt neben ihm; aber die Manschetten von Elisabeth hatte er angekn?pft, was sich gar wunderlich zu seinem wei?en Flausrock ausnahm. So sa? er noch, als die Wintersonne auf die gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm gegen��ber im Spiegel ein blasses, ernstes Antlitz zeigte.
* * * * *
DAHEIM
Als es Ostern geworden war, reiste Reinhard in die Heimat. Am Morgen nach seiner Ankunft ging er zu Elisabeth.
?Wie gro? du geworden bist," sagte er, als das sch?ne, schm?chtige M?dchen ihm l?chelnd entgegenkam. Sie err?tete, aber sie erwiderte nichts; ihre Hand, die er beim Willkommen in die seine genommen, suchte sie ihm sanft zu entziehen. Er sah sie zweifelnd an, das hatte sie fr��her nicht getan; nun war es, als trete etwas Fremdes zwischen sie.
Das blieb auch, als er schon l?nger dagewesen, und als er Tag f��r Tag immer wiedergekommen war. Wenn sie allein zusammensa?en, entstanden Pausen, die ihm peinlich waren, und denen er dann ?ngstlich zuvorzukommen suchte. Um w?hrend der Ferienzeit eine bestimmte Unterhaltung zu haben, fing er an, Elisabeth in der Botanik zu unterrichten, womit er sich in den ersten Monaten seines Universit?tslebens angelegentlich besch?ftigt hatte.
Elisabeth, die ihm in allem zu folgen gewohnt und ��berdies lehrhaft war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden mehrere Male in der Woche Exkursionen ins Feld oder in die Heide gemacht, und hatten sie dann mittags die gr��ne Botanisierkapsel voll Kraut und Blumen nach Hause gebracht, so kam Reinhard einige Stunden sp?ter wieder, um mit Elisabeth den gemeinschaftlichen Fund zu teilen.
In solcher Absicht trat er eines Nachmittags ins Zimmer, als Elisabeth am Fenster stand und ein vergoldetes Vogelbauer, das er sonst dort nicht gesehen, mit frischem H��hnerschwarm besteckte. Im Bauer sa? ein Kanarienvogel, der mit den Fl��geln schlug und kreischend nach Elisabeths Finger pickte. Sonst hatte Reinhards Vogel an dieser Stelle gehangen.
?Hat mein armer H?nfling
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