daraus werden; du hast keine Courage."
„Elisabeth! Reinhard!" rief es jetzt von der Gartenpforte. „Hier! Hier!"
antworteten die Kinder und sprangen Hand in Hand nach Hause.
* * * * *
IM WALDE
So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft
zu heftig, aber sie ließen deshalb nicht von einander; fast alle
Freistunden teilten sie: winters in den beschränkten Zimmern ihrer
Mütter, sommers in Busch und Feld.
Als Elisabeth einmal in Reinhards Gegenwart von dem Schullehrer
gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den
Eifer des Mannes auf sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt.
Aber Reinhard verlor alle Aufmerksamkeit an den geographischen
Vorträgen; statt dessen verfaßte er ein langes Gedicht; darin verglich er
sich selbst mit einem jungen Adler, den Schulmeister mit einer grauen
Krähe, Elisabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte an der grauen
Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein
würden.
Dem jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich sehr
erhaben vor. Als er nach Hause gekommen war, wußte er sich einen
kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf
die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht.
Bald darauf kam er in eine andere Schule; hier schloß er manche neue
Kameradschaft mit Knaben seines Alters, aber sein Verkehr mit
Elisabeth wurde dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr
sonst erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr
am besten gefallen hatten, aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die
Lust an, etwas von seinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er
wußte nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen.
So schrieb er sie genau auf, wie er sie selber gehört hatte. Dann gab er
die Blätter an Elisabeth, die sie in einem Schubfach ihrer Schatulle
sorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige
Befriedigung, wenn er sie mitunter abends diese Geschichtchen in
seiner Gegenwart aus den von ihm geschriebenen Heften ihrer Mutter
vorlesen hörte.
Sieben Jahre waren vorüber. Reinhard sollte zu seiner weitern
Ausbildung die Stadt verlassen. Elisabeth konnte sich nicht in den
Gedanken finden, daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhard geben
werde. Es freute sie, als er ihr eines Tages sagte, er werde, wie sonst,
Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit den Briefen an seine
Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie sie ihr
gefallen hätten.
Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher Reim in den
Pergamentband. Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis, obgleich
sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten Liedern
war, welche nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter gefüllt
hatten.
Es war im Juni; Reinhard sollte am andern Tage reisen. Nun wollte
man noch einmal einen festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde
eine Landpartie nach einer der nahe gelegenen Holzungen in größerer
Gesellschaft veranstaltet.
Der stundenlange Weg bis an den Saum des Waldes wurde zu Wagen
zurückgelegt; dann nahm man die Proviantkörbe herunter und
marschierte weiter. Ein Tannengehölz mußte zuerst durchwandert
werden; es war kühl und dämmerig und der Boden überall mit feinen
Nadeln bestreut.
Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem Tannendunkel in eine
frische Buchenwaldung; hier war alles licht und grün; mitunter brach
ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; ein Eichkätzchen
sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast.
Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu
einem durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die
Gesellschaft Halt. Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter
Herr warf sich zum Proviantmeister auf.
„Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!" rief er, „und merket genau,
was ich euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein jeder von
euch zwei trockene Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben; die
Zukost muß sich ein jeder selber suchen. Es stehen genug Erdbeeren im
Walde, das heißt, für den, der sie zu finden weiß. Wer ungeschickt ist,
muß sein Brot trocken essen; so geht es überall im Leben. Habt ihr
meine Rede begriffen?"
„Ja wohl!" riefen die Jungen.
„Ja, seht," sagte der Alte, „sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten
haben uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir
jetzt zu Haus, das heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen
die Kartoffeln und machen Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die
Uhr zwölf ist, so sollen auch die Eier gekocht werden.
„Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir
auch einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und
West und seid ehrlich."
Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter.
„Halt!" rief der alte Herr noch einmal. „Das brauche ich euch wohl
nicht zu sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber
das schreibt euch wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten
bekommt er
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