bedeckt, an den andern hingen Bilder von
Menschen und Gegenden; vor einem Tisch mit grüner Decke, auf dem
einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein schwerfälliger
Lehnstuhl mit rotem Samtkissen.
Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er
sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem
Spaziergange auszuruhen. Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler;
endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde
an der Wand, und wie der helle Streif langsam weiter rückte, folgten
die Augen des Mannes unwillkürlich.
Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem schwarzem Rahmen.
„Elisabeth!" sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war
die Zeit verwandelt: er war in seiner Jugend.
* * * * *
DIE KINDER
Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß
Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen, er selbst war doppelt so alt.
Um den Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch
zu den braunen Augen.
„Reinhard!" rief sie, „wir haben frei, frei! den ganzen Tag keine Schule,
und morgen auch nicht."
Reinhard stellte die Rechentafel, die er schon unterm Arm hatte, flink
hinter die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den
Garten und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wiese. Die
unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zustatten.
Reinhard hatte hier mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus Rasenstücken
aufgeführt; darin wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte
noch die Bank. Nun ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und
die nötigen Bretter waren schon bereit.
Während dessen ging Elisabeth an dem Wall entlang und sammelte den
ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze; davon wollte
sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhard endlich trotz
manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch zustande
gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging sie schon
weit davon am andern Ende der Wiese.
„Elisabeth!" rief er, „Elisabeth!" und da kam sie, und ihre Locken
flogen.
„Komm," sagte er, „nun ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz heiß
geworden; komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen. Ich
erzähl' dir etwas."
Dann gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank.
Elisabeth nahm ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange
Bindfäden; Reinhard fing an zu erzählen: „Es waren einmal drei
Spinnfrauen--" [Fußnote: So fängt ein wohlbekanntes Märchen von den
Gebrüdern Grimm an.]
„Ach," sagte Elisabeth, „das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht
immer dasselbe erzählen."
Da mußte Reinhard die Geschichte von den drei Spinnfrauen stecken
lassen, und statt dessen erzählte er die Geschichte von dem armen
Mann, der in die Löwengrube geworfen war.
„Nun war es Nacht," sagte er, „weißt du? ganz finstere, und die Löwen
schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten
Zungen aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen
komme. Da warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als
er aufsah, stand ein Engel vor ihm. Der winkte ihm mit der Hand und
ging dann gerade in die Felsen hinein."
Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. „Ein Engel?" sagte sie: „Hatte er
denn Flügel?"
„Es ist nur so eine Geschichte," antwortete Reinhard; „es gibt ja gar
keine Engel."
„O pfui, Reinhard!" sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht.
Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd: „Warum
sagen sie es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?"
„Das weiß ich nicht," antwortete er.
„Aber du," sagte Elisabeth, „gibt es denn auch keine Löwen?"
„Löwen? Ob es Löwen gibt? In Indien; da spannen die Götzenpriester
sie vor den Wagen und fahren mit ihnen durch die Wüste. Wenn ich
groß bin, will ich einmal selber hin. Da ist es viel tausendmal schöner
als hier bei uns; da gibt es gar keinen Winter. Du mußt auch mit mir.
Willst du?"
„Ja," sagte Elisabeth; „aber Mutter muß dann auch mit, und deine
Mutter auch."
„Nein," sagte Reinhard, „die sind dann zu alt, die können nicht mit."
„Ich darf aber nicht allein."
„Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann
haben die andern dir nichts zu befehlen."
„Aber meine Mutter wird weinen."
„Wir kommen ja wieder," sagte Reinhard heftig; „sag es nur gerade
heraus, willst du mit mir reisen? Sonst geh' ich allein, und dann komme
ich nimmer wieder."
Der Kleinen kam das Weinen nahe. „Mach nur nicht so böse Augen,"
sagte sie; „ich will ja mit nach Indien."
Reinhard faßte sie mit ausgelassener Freude bei beiden Händen und
zog sie hinaus auf die Wiese.
„Nach Indien, nach Indien!" sang er und schwenkte sich mit ihr im
Kreise, daß ihr das rote Tüchelchen vom Halse flog. Dann aber ließ er
sie plötzlich los und sagte ernst:
„Es wird doch nichts
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