Im Schatten der Titanen | Page 6

Lily Braun
schiffte er
sich mit ihr nach Portugal ein. Aber der Arm des Kaisers reichte bis
Lissabon; französische Agenten verweigerten der jungen Frau die
Landung, nur Jerome erhielt die Erlaubnis, den Weg nach Italien
einzuschlagen.
Wie anders fand er Europa, als da er es verließ. Die drei Jahre seiner
Abwesenheit, die ihn eingesponnen hatten in stilles Liebesglück, hatten
den Bruder, hatten Frankreich emporgeführt zum Gipfel des Weltruhms.
Konnte sein eigenes Geschick, sein Kampf um Anerkennung seiner
Liebe, jenem Manne, der die Geschicke der Völker in seinen Händen
hielt und um die Kronen Europas kämpfte, anders erscheinen als wie
das Spiel eines Kindes? Im Augenblick, da Napoleon sich zu Mailand
Italiens Krone aufs Haupt setzte und zum Gedächtnis der Schlacht von
Marengo die Böllerschüsse krachten, die Glocken läuteten, die Fahnen
wehten und Tausende und aber Tausende dem Rausch der Festesfreude
sich hingaben, betrat Jerome -- er, der den Säbel von Marengo trug!
--ein Unbekannter, ein Ausgeschlossener, den Boden Italiens. In
Alessandria empfing ihn der Kaiser. Weit mehr als der Zorn ihn
geschreckt haben würde, -- er hätte vielleicht nur seinen Stolz und
seinen Eigensinn geweckt --, mußte ihn die Zärtlichkeit Napoleons
erschüttern. Alle sah er wieder, die Brüder, die Freunde, geschmückt
mit dem immergrünen Lorbeer des Ruhms, während in seinen Händen
die welkenden Rosen der Liebe schon entblätterten. Er stand vor der
Wahl, -- denn unerbittlich blieb der Kaiser --, auf der einen Seite der
Weg empor zu den Höhen der Menschheit, zu höchsten Siegespreisen,
zur Königskrone, auf der anderen das Leben im Dämmerschein stillen

Familienglücks, ohne Zweck und Ziel. So sehr sich ihm auch das Herz
zusammenkrampfte, -- wie er Elisabeth liebte, dafür zeugen seine
Briefe aus jener Zeit --, er wählte den Ruhm, nicht die Liebe. Welch ein
Jüngling von 21 Jahren hätte anders zu wählen vermocht?![11]
Um die Stimme des Herzens zu übertönen und nachzuholen, was er
versäumt hatte, stürzte er sich mit Feuereifer in die Aufgabe, die ihm
gestellt wurde.
Im Sommer des Jahres 1806 kommandierte er in der Flotte des
Admirals Willaumez den "Veteran" und nahm mit ihm von Brest aus
neun englische Schiffe die zwei Kriegsschiffe eskortierten. Auf der
Höhe von Concarneau erreichte ihn die englische ihn verfolgende
Flotte; die Situation war verzweifelt; auf der einen Seite der überlegene
Feind, auf der andren Sandbänke und Riffe. Entschlossen, eher zu
sterben als sich zu ergeben, ergriff Jerome der Mut der Verzweiflung,
und unter den Augen der englischen Flotte vollzog sich jene Tat
unwahrscheinlicher Tollkühnheit, von der ein englisches Journal der
Zeit folgendes berichtete: "Jerome Napoleon hat allen unseren
Maßregeln zu trotzen gewußt und alle Anstrengungen unserer braven
Matrosen nutzlos gemacht; daß er den Hafen sicher und ohne Verluste
erreichte, ist ein neues Beispiel für das unglaubliche Glück, das sich an
die Schritte der Bonapartes zu heften scheint und alle ihre Operationen
begleitet."[12]
Nun erst verlieh Napoleon dem Heimkehrenden den Titel eines
französischen Prinzen, und als Anerkennung seiner Tapferkeit den
Rang eines Kontreadmirals. Als höhere Auszeichnung noch empfand es
Jerome, daß Napoleon ihm für den bevorstehenden preußischen
Feldzug die bayrische und württembergische Division anvertraute und
es ihm nun endlich vergönnt war, unter den Augen des bewunderten
kaiserlichen Bruders zu fechten. Jerome bewährte sich. Trotz seiner 24
Jahre wußte er sich den Respekt der Truppen und ihrer Führer zu
gewinnen, aber mehr noch das Herz der Soldaten durch seine Sorge für
ihr Wohl.[13] Am Tage, als die letzte schlesische Stadt vor ihm
kapitulierte, erreichte ihn die Nachricht vom Tilsiter Waffenstillstand.
Der Friede folgte. Napoleon hatte Preußen unterworfen und seinem

Bruder ein Königreich erobert. Mit ein paar Federstrichen warf er die
Länder links von der Elbe zu einem Staat zusammen und ernannte
Jerome zum König von Westfalen; mit ein paar gewechselten Briefen
gewann er ihm in Katharina, der Tochter des Souveräns von
Württemberg, die Königin. Das Herz der also durch kaiserliche
Allmacht Vereinigten wurde nicht gefragt, und als das blonde, rosige
Prinzeßlein aus altem Fürstenstamm dem dunkeln, blassen Jüngling aus
dem Geschlecht der korsischen Usurpatoren gegenübertrat, da wußte es
noch nicht, wie rasch, wie dauernd der Sieggewohnte es erobern würde.
Mit dem ganzen Prunk des kaiserlichen Hofes, in einer Gesellschaft, in
der Vertreter alter Dynastien sich mit den neugeschaffenen
Aristokraten, Fürsten und Königen von Napoleons Gnaden vereinigten,
wurde am 28. August 1807 die Hochzeit des jungen Paares gefeiert.
Aber die bunten Lichter, die ganz Paris am Abend erleuchten sollten,
verlöschten in strömendem Wolkenbruch, und die Raketen, die
bestimmt gewesen waren, prasselnd gen Himmel zu steigen,
verstummten vor dem Grollen des Donners ...
Inzwischen war die Organisation des jungen Königreichs erfolgt, mit
dem Code Napoléon die neue Administration im Lande eingeführt, zum
Empfang des Herrscherpaares alles vorbereitet. Mit einem Brief, der
dem Bruder die Prinzipien, nach denen er regieren sollte, nochmals
auseinandersetzte, entließ ihn Napoleon. "Schenke denen kein Gehör,
die Dir sagen werden, daß Deine Völker, an Sklaverei gewöhnt, unserer
Gesetze nicht würdig
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