Gründe nicht; sein Blick dafür wurde durch den Ärger über die
Situation, die es ihm unmöglich machte, sich auszuzeichnen, noch
geschärft. Er kritisierte scharf die beiden Admirale, deren gegenseitige
Eifersüchteleien sie am Vorgehen hinderten. "Gibt es etwas
Jämmerlicheres," schrieb er, "als um lächerlicher Prätentionen willen
eine große Sache zu gefährden? ... Wie gefährlich, zwei Menschen
zusammenzuspannen, von denen der eine nicht zu befehlen, der andere
nicht zu gehorchen versteht."[8] Mag sein, daß diese freimütige Kritik
seiner Vorgesetzten, die eine Kritik seines Bruders in sich schloß,
diesem zu Ohren kam und, ihm selbst vielleicht unbewußt, dazu beitrug,
Jerome mit anderen Augen anzusehen. Die großen Tatmenschen haben
mit den Mondsüchtigen eins gemein: sie vertragen es auf ihrem
gefährlichen Wege nicht, angerufen, gestört oder gar gewarnt zu
werden.
Unter dem Admiral Villaret-Joyeuse hatte Jerome Gelegenheit, sich auf
St. Domingo und Haiti im Kampfe gegen Toussaint Louverture
auszuzeichnen. Das gelbe Fieber, das ihn mit äußerster Heftigkeit
packte, trieb ihn auf kurze Zeit nach Frankreich zurück, von wo aus er
dann im Jahre 1802 zur Vollendung seiner seemännischen Ausbildung
nach den Antillen ging. In Martinique war sein ehemaliger Chef,
Villaret-Joyeuse, Gouverneur, ein ehrgeiziger Schmeichler, der sich die
Gunst des ersten Konsuls am sichersten durch die Gunst seines jungen
Bruders zu gewinnen glaubte. Er ernannte Jerome, den
Achtzehnjährigen, der kaum ein Jahr des Seedienstes hinter sich hatte,
zum Kapitän des "Epervier".[9] Als selbständiger Führer des eigenen
Schiffes sollte er nach Frankreich zurückfahren. Aber war es aus
Leichtsinn, den brennender Ehrgeiz steigerte, aus Unverstand oder aus
Irrtum? bei der Begegnung mit einem englischen Kriegsschiff nötigte
er es, die Segel aufzubrassen und Zweck und Ziel der Fahrt anzugeben,
was einer Herausforderung fast gleichkam. Das Unglück, das er
dadurch heraufbeschwor, war um so größer, als es gerade nur eines
Zündstoffs bedurfte, um die kriegerische Stimmung zwischen England
und Frankreich zum Ausbruch kommen zu lassen.[10] Rasch genug sah
er ein, was er getan hatte; er meldete dem Gouverneur von St. Pierre
den Vorfall, als die Engländer bereits beschlossen hatten, ihm den Weg
nach Frankreich abzuschneiden und den Bruder Napoleons als
willkommene Geisel in Gefangenschaft zu nehmen. Jerome, der von
diesem Plan Kenntnis erhielt, blieb, wenn er Frankreich vor schweren
politischen Komplikationen, seinen Bruder vor den Folgen seiner
eigenen Schuld bewahren wollte, nichts anderes übrig, als auf
neutralem Schiff unerkannt die heimischen Gestade wiederzugewinnen.
Er wählte mit einem kleinen Gefolge Getreuer den Weg über Amerika,
wo er die Gelegenheit zur Überfahrt am leichtesten zu finden hoffte.
Seine Absicht, auch dort unerkannt zu bleiben, erfüllte sich nicht. Die
Liebedienerei der französischen Konsuln, die Sucht der Amerikaner,
Europäern von Rang ihre Huldigungen zu erweisen -- vielleicht ein
Zeichen, daß das Sklavenblut in den Adern vieler noch nicht
fortgeschwemmt ist -- zerrissen sein Inkognito schon wenige Stunden
nach seiner Ankunft. Wie ein Prinz von Geblüt wurde der Bruder
Bonapartes empfangen und umringt. In Washington und in Baltimore,
wo er die äußersten Anstrengungen machte, um seine Rückkehr nach
Frankreich zu beschleunigen, wurde er in einer Weise gefeiert, daß
seine Anwesenheit den Engländern nicht unbekannt bleiben konnte und
sie ihre Vorsichtsmaßregeln verdoppelten, um ihn nicht entkommen zu
lassen. Es bedurfte jedoch einer größeren Macht als der Englands, um
den jungen Brausekopf festzuhalten: der Augen Elisabeth Pattersons,
die ihm liebeglühend entgegenleuchteten, ihrer roten Lippen, die sich
glückverheißend ihm darboten. Sie schlugen ihn in Banden, ließen ihn
Vergangenheit und Zukunft vergessen und der seligen Gegenwart
junger Leidenschaft leben. Hat der eitle Vater des reizenden Mädchens
ihn mit schlauer Absicht gefesselt? Hat sie selbst dem Bruder des
großen Napoleon Schlingen der Koketterie gelegt? Müßige Fragen!
Ist's nicht genug der Erklärung, daß zwei junge schöne Menschen in
Liebe zueinander entbrennen? Mit dem Feuer seiner 19 Jahre liebte
Jerome, mit der Sicherheit des verwöhnten Lieblings der Seinen
rechnete er auf deren Zustimmung zu seiner Ehe mit Elisabeth. Er hatte
sich verrechnet. Wohl liebte Napoleon seine Brüder und Schwestern,
und diesen, den jüngsten, vor allen; aber in ihrer Mitte hatte nur ein
Wille zu gelten: der seine; wohl wollte er sie glücklich sehen, aber nur
das Glück aus seinen Händen galt ihm als solches. Die Nachricht, daß
Jerome eigenmächtig, ohne seine Zustimmung abzuwarten, die Ehe mit
Miß Patterson geschlossen habe, traf in dem Augenblick in Paris ein,
als Frankreich dem ersten Konsul die kaiserliche Würde verlieh und
seine Brüder und Schwestern zu Prinzen und Prinzessinnen erhob. Sie
war der bittere Tropfen in dem Kelch seines Ruhms, und da das
französische Gesetz die Rechtsgültigkeit der ohne Einwilligung der
Eltern geschlossenen Ehe Minorenner nicht anerkannte und Lätitia, die
stolze Mutter eines Geschlechts von Herrschern, auf der Seite
Napoleons stand, erklärte Napoleon die Ehe für null und nichtig und
schloß Jerome aus der kaiserlichen Familie aus. Jeromes Hoffnungen
waren damit noch nicht zerstört; der hinreißende Liebreiz seines
Weibes mußte, so glaubte er, auch den eisernen Willen eines Napoleon
brechen. Im März 1805, anderthalb Jahre nach seiner Heirat,
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