IMAGINÄRE BRÜCKEN | Page 8

Jakob Wasserman
tiefsinnig: es ist noch keine Anstalt für solche da! Sie schweigen? Sie meinen, ich lebe ja. Gewi?, ich lebe, aber wie, das sehen Sie doch. Ehemals, da spürte ich nur mein eigenes Feuer, jetzt empfinde ich die ganze K?lte des Zeitalters. Vielleicht ist es mein Mi?geschick, für eine Epoche geboren zu sein, in der die Liebe nur ein artistischer Begriff ist.?
?Verallgemeinerungen sind t?richt. Man mu? sich, Faustina, vor der Manier der Malkontenten hüten. Der Malkontente n?mlich, das ist ein Mensch, der aus seiner pers?nlichen Unf?higkeit eine Weltanschauung macht.?
?Sie sind sehr deutlich, mein Lieber. Ich bin aber keine Malkontente. Malkontente opfern sich nicht.?
?Haben Sie sich denn geopfert??
?Wenn es opfern hei?t, zu lieben, wahrhaft zu lieben, sich wegzuwerfen --?
?Sich wegzuwerfen, das hei?t nicht lieben und das hei?t nicht sich opfern. Doch wir verstimmen uns im Wesenlosen. Erz?hlen Sie mir. Erz?hlen Sie mir von Ihrem bisherigen Leben. Es gibt nichts überzeugenderes als das Erlebnis, Faustina, nichts Unbedingteres als die Art, wie ein Mensch von Erlebnissen sie vorzutragen wei?.?
?Um keinen Preis. Ich kann nicht von mir sprechen, solang Sie argw?hnen, da? ich meine pers?nlichen Entt?uschungen gewisserma?en an der Zeit r?chen m?chte.?
?Es ist schwer, liebe Freundin, und nicht einmal dem Glücklichen gelingt es, Zeit und Schicksal auseinanderzuhalten.?
?Was w?re auch zu erz?hlen?, versetzte Faustina. ?Eine Geschichte wie hundert andere. Wenn ich Ihre Erwartungen in bezug auf meine Person betrüge, so ist das Ihre Schuld.?
?Sie sagen, Sie h?tten geliebt und sich weggeworfen. Darin liegt mehr Schuld, als Sie glauben.?
?Ich habe keine Schuld. Oder sind übertriebene Hoffnungen eine Schuld? Bin ich dafür verantwortlich, da? eure Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, Liebe nicht mehr gew?hrt, da? für die Liebe kein Platz mehr in ihr ist? Sie schütteln den Kopf, und doch ist es so. Gibt es heutzutage noch eine Gestalt, in der Dichtung oder im Leben, deren Existenz in der Liebe wurzelt? Der Politiker, der Staatsmann, der Forscher, der Erfinder, der Soldat, der Fabrikant, der B?rseaner, im Notfall sogar der Künstler, sie alle k?nnen ein modernes Lebensideal bilden, der Liebende nicht. Man bewundert eine Figur wie die des Casanova, man findet eine Frau wie Julie de Lespinasse ?u?erst rührend, man erstaunt über Ninon de l'Enclos, aber sie sind im Grunde nichts weiter als Legenden und Rarit?ten, man hat für sie das Interesse des Orientalisten, der babylonische Ruinen ausgr?bt. Wenn Casanova heute erschiene, würde er wahrscheinlich als Hochstapler ins Gef?ngnis gesteckt werden, und auch bei Don Juan würde schlie?lich anstatt des steinernen Gastes ein Polizeiagent vorsprechen. Der Staatsmann, der Soldat, der Forscher, der Künstler, sie sind heute nichts weiter; Staatsmann, Soldat, Forscher und Künstler, basta; darauf sind sie gestellt, darin sind sie spezialisiert. Liest man jedoch die Briefe Diderots an Sophie Voland oder die Briefe Mirabeaus an Mademoiselle de Monnier, so zeigt sich, da? da über den Geist hinaus, über ein allgemeines, ja welthistorisches Wirken hinaus noch Leidenschaften blühten, zwecklos wie die Blumen in einem Garten. Heutzutage ist die Liebe das Gesch?ft der Poeten, ob sie nun schreiben oder blo? tr?umen, und nicht einmal der berufensten, denn die stellen sich würdigere Aufgaben, sie müssen Probleme l?sen. So sagt man doch: Probleme l?sen. Nu?knacker der Zeit, die sie sind.?
?Zu viel Bitterkeit, Faustina. Sie vergessen, da? die menschliche Natur immer dieselbe bleibt. Die Wandlungen der Zeit bringen nur eine oberfl?chliche H?utung mit sich. Es sind Wandlungen des Geschmacks, der Mode, der Manier, der Geb?rde. Herz und Blut verwandeln sich nicht. Die Leute des achtzehnten Jahrhunderts gefielen sich in schwungvollen Episteln; das war eben der Geist der Epoche. Sie m?gen uns überlegen gewesen sein in der F?higkeit, über ihre Empfindungen zu reden und sich darin zu spiegeln, darum aber waren die Empfindungen selbst nicht tiefer. Sie hatten auch die Gabe, allt?gliche wie besondere Ereignisse ihres Daseins in der Konversation auf das anmutigste zu behandeln. Ich gebe zu, da? damit eine Kunst der Geselligkeit verbunden war, deren Verlust wir beklagen müssen --?
?Ja, sehr, sehr! Das ist es eben, was ich behaupte. Unsere Form der Geselligkeit macht das Entstehen der Liebe fast unm?glich. Bringen Sie einmal ein Dutzend Menschen aus derselben Bildungssph?re zusammen, die einander halbwegs fremd sind. Abgesehen davon, da? Sie Gespr?che h?ren werden, bei denen Ihnen die Haut schaudert, wird auch der einzelne mit dem Wunsch nach Ann?herung die gr??ten Schwierigkeiten finden.?
?Wir sind eben schweigsam geworden.?
?Nur schweigsam? nicht auch zerstreut, nicht auch müde? nicht auch faul??
?Nur schweigsam. Unsere Altvordern, die hatten viele Heimlichkeiten, aber Geheimnisse hatten sie eigentlich keine. Für uns spielen Heimlichkeiten keine Rolle mehr, dagegen sind wir voll von Geheimnis. Ehemals kannte man in der Chemie nur vier Elemente, heute hat sich alles Elementare in Atome gel?st. ?hnlich ist es der Gesellschaft ergangen. Wir haben keine Gesellschaft mehr, weil jedes Individuum als eine Welt für sich und mit dem ganzen Geheimnis seiner Welt auftritt.?
?Auch mit der ganzen Anma?ung seiner Welt.?
?Gut. Natürlich war es bei geschlossenen Gesellschaftskomplexen, wo jeder gleichsam das
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