seine Heimat gereist. Aber schon nach Jahresfrist kam sie zurück, -- ohne Brasilianer, leider genau so arm wie zuvor.
In dieser Zeit n?herte ich mich ihr. Wir hatten uns ziemlich viel zu sagen. Faustina, so wurde sie meist kurzweg genannt, war geistreich, und, was mehr ist, ihr Geist hatte Fundamente. Sie war sch?n und sie war exzentrisch; nimmt man aber dies Wort in genauem Sinn, so hatte sie mehr Mittelpunkt als diejenigen, in deren Bezirk sie sich fremd erschien. Ob sie auch immer anziehend war, lasse ich dahingestellt; eine Fremde war sie durchaus, stets fremd, nie bürgerlich vertraut, h?chstens seelisch verwandt. Zur Abenteuerin fehlte ihr die Skrupellosigkeit, und um eine gro?e Dame zu sein, war sie zu ruhelos und zu voll von Opposition.
Wieder eines Tages war Faustina verschwunden. Sie verabschiedete sich nicht einmal von mir. Niemand wu?te, wohin sie gegangen war, und sie blieb verschollen. Man verga? sie, auch ich verlor sie beinahe aus dem Ged?chtnis. Da, wiederum nach Jahren, begegne ich ihr pl?tzlich auf der Stra?e. Sie gewahrt mich, sie z?gert, ich mache Miene, sie anzureden, sie grü?t und geht weiter. Kurz darauf erhielt ich ein Billett von ihr mit der Aufforderung, sie zu einer bestimmten Abendstunde zu besuchen.
Sie wohnte in einer Vorstadtpension. Ich trat in ein Zimmer, das die übliche Halbeleganz fliegender Quartiere aufwies. Faustina war noch immer sch?n, aber wie von einem sich entlaubenden Baum kann man auch von dem Herbst eines menschlichen Gesichts sprechen. Ohne Zweifel las sie in meinem Gebaren, da? ihre lakonische Einladung eher geeignet war, Neugier zu erregen als an freundliche Beziehungen zu erinnern. ?Die Sache ist die, da? ich ganz ausgehungert darnach bin, mit einem vernünftigen Menschen zu reden?, sagte sie. ?Ich habe berechnet, da? ich seit siebzehn Monaten blo? mit Kellnern, Kutschern, Zimmervermieterinnen, Hausmeistern und Ladenmamsellen gesprochen habe. Das hei?t doch leben, wie? Da? ich so viel Talent zur wandelnden Mumie besitze, wer h?tte das gedacht.?
?Sie haben immer zu überraschen verstanden, Faustina?, versetzte ich ablenkend.
?Als ich Sie auf der Stra?e sah,? fuhr sie fort, ?hatte ich ein Gefühl just wie Robinson, als er das erste Schiff vor seiner Insel gewahrte.?
?Und doch sind Sie davongelaufen, gar nicht wie Robinson, sondern wie Freitag, der scheue Wilde.?
?Ja; scheu bin ich geworden. Wenn ich wenigstens schreiben oder musizieren k?nnte! Den Kunstdilettanten bietet die Welt immer noch Lockungen, und von allem, was im Menschen abzut?ten ist, stirbt die Eitelkeit zuletzt. Aber leider, ich bin stumm geboren, und der blo?e Kunstgenu? qu?lt den Stummen manchmal mehr, als er ihn beruhigt.?
?Ich wundre mich, Faustina. Sie waren doch stets obenauf. Eine richtige, tüchtige Schwimmerin waren Sie. Haben Sie denn keine Arbeit, keine Bet?tigung mehr??
?Ich finde es langweilig, zu arbeiten. Was kommt dabei heraus? Eine Art von Trunkenheit und Selbstbetrug bestenfalls. Arbeiten, wie das klingt! Dem Leben mit Gewalt ein Versprechen abn?tigen! Ich brauche keine Versprechungen mehr, ich glaube an keine mehr. Vorl?ufig hab ich noch ein bi?chen Kapital, meine Eltern sind n?mlich gestorben, und man hat mir den Pflichtteil ausbezahlt. Aber von den Zinsen k?nnt ich nicht leben, das würde h?chstens für eine Büchse Kaviar im Monat reichen.?
?Also ist am Ende Ihre Einsamkeit ein ?konomisches Prinzip??
?Um Gottes willen, wer wird so philisterhaft denken!?
?Und da treiben Sie sich nun mutterseelenallein herum, ohne Genossin, ohne Freundin --??
?Ach was, Freundin! Ich habe keine Freundin, habe nie eine gehabt. Eine Frau hat niemals eine Freundin.?
?Aber die Freunde, Faustina! Sie lie?en mich einmal glauben, da? ich Ihr Freund sei.?
?So? Wirklich? Mag sein, doch ich ?rgerte mich, da? Ihnen keinen Augenblick lang der Einfall kam, etwas anderes sein zu wollen.?
Sie lachte über mein verdutztes Gesicht und fuhr fort: ?Spricht man hingegen nicht vom Freund, sondern von den Freunden, so mu? ich gestehen, da? ich für solche Beziehungen nicht viel übrig habe. Die Freunde, das sind Wesen von einer geradezu l?cherlichen Gefr??igkeit. Sie verdauen schneller als die Hühner, und sie bleiben immer mager, ihr Herz bleibt immer mager.?
?Dennoch, Faustina, mit Menschen verbunden zu sein, bleibt der sch?nste Vorzug des Menschen. Einen isolierten Zustand schadlos zu ertragen, dazu geh?rt schon eine ungew?hnliche Seelenst?rke.?
?Mag sein, mag sein?, erwiderte Faustina, und sie l?chelte unbestimmt vor sich hin.
?Offen gestanden, h?tte ich nicht erwartet, Sie so zu finden?, fuhr ich fort. ?Ich dachte Sie mir in gro?en Erlebnissen. Eine Gestrandete, oder wie Sie sagen, einen Robinson, nein, das hatte ich nicht erwartet. Faustina unentflammt, Faustina ohne Liebe, ohne Verliebtheit, Faustina einsam, was hat das zu bedeuten??
Sie sah mich lange schweigend an, bevor sie antwortete. ?Was kann es andres zu bedeuten haben, bester Freund, als da? für Faustina keine Liebe mehr da ist? Fertig, Freund, fertig! Abgewirtschaftet! Die Rahel Varnhagen, die ja eine grundgescheite Person war, hat es einmal als besondere Genialit?t Goethes gepriesen, da? er im Wilhelm Meister die drei Frauen, die lieben k?nnen, Marianne, Aurelie und Mignon, sterben l??t; denn, sagte sie, es ist noch keine Anstalt für solche da. Sehr
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