IMAGINÄRE BRÜCKEN | Page 3

Jakob Wasserman
Besitz des andern Menschen angeboren.
Am Recht des fremden Besitzes zu zweifeln, ist bereits eine anarchische Seelenstimmung, die unmittelbar in die Verzweiflung mündet. Ehe solcher Zweifel Wurzel fa?t, mu? der Glaube an die eigene Kraft verschwunden sein; es kann keine Idee mehr vorhanden sein, die der Brutalit?t der Wirklichkeit entgegentritt und sie unter sich l??t; das pers?nliche Wertgefühl ist ert?tet.
Fremder Besitz: das ist in diesem Zusammenhang Idee. Nicht das, was mir vorenthalten wird, ist der fremde Besitz, sondern das, was mir unerreichbar ist; nicht das, worum ich durch Fügung oder Tücke betrogen worden bin, sondern das, was au?erhalb meiner Sph?re liegt.
Recht und Unrecht kommt gar nicht in Frage. Die Norm der sittlichen Verfassung vorausgesetzt, kommt es nicht in Frage, ob der Nachbar, der Freund, der beliebige Andere Vorrat und Anh?ufung von Dingen hat, an denen ich Mangel leide. Auch seine Würdigkeit kommt nicht in Frage, sein Wagnis nicht, seine Leistung nicht. Nichts, was ihn betrifft, den Andern, sondern nur, was mich betrifft.
Dein und Mein ist so verschieden wie Welt und Ich. Was ich von der Welt erringe, um meinen leiblichen oder geistigen Bezirk zu erweitern, ist Besitz. Besitz ist Ware, Gegenstand, Anschaubares, Fa?bares, Brauchbares; Besitz ist Ding, das durch das Medium meiner Person und innerhalb ihres Wirkungskreises irgend Leben erh?lt.
Geld ist nicht Besitz. Geld ist Symbol, Fiktion von Besitz, ein Unschaubares, Unfa?bares, Unbrauchbares, das Unding schlechthin. Deshalb entsteht T?uschung und Lüge, wo es für Besitz genommen wird, Ha? und Gier, Leere und Stagnation. Verwandelt es sich nicht in das Ding, gibt es seinen Charakter als Vorwand nicht auf, bleibt es als h??liche Illusion, als Irrbild bestehen, lediglich Begriff, ganz und gar Gespenst von Besitz, so ist es verzeihlich und logisch, da? unter denen, die von seinem widrig-geheimnisvollen Zauberring ausgeschlossen sind, die in Not verkommen, weil sie sich eines Wesenlosen, eines Schattens, einer Formel nicht bem?chtigen k?nnen, eine Gereiztheit und Unruhe entsteht, eine finstere Erbitterung, schlie?lich ein Wahnsinn, Massenwahnsinn, der genau das Bild unserer Tage malt.
Es ist der am Unding entfesselte Wahnsinn. Und das Unding ist eines mit dem Ungeist.
Das Ding hat stets eine Art von Heiligkeit, mindestens die Würde seines Seins. Am Ding kann ich mich messen, ich kann mich ihm stellen, ich kann es mir inkarnieren, es kann mich n?hren, kleiden, schützen, tragen, f?rdern; es ist, je nachdem, Schmuck oder Lehre, Lohn oder Geschenk, Waffe oder Troph?e, Beute oder Erwerb.
Die ursprüngliche, unverbildete Haltung jedes Menschen dem Ding gegenüber ist die Ehrfurcht vor seiner Bestimmung. Und davon ging ich aus. Es knüpft sich hieran von selbst der Glaube an die pers?nliche Leistung des Besitzers und die Bejahung dieser Leistung. Das qu?lende Mi?verh?ltnis in der sozialen Wirtschaft, die unüberbrückbare Kluft zwischen den aufs ?u?erste gesteigerten Extremen f?llt allein dem D?mon zur Last, dem Unding, das Scheinwerte aufstapelt, denen trotzdem Tauschgeltung eignet, das den Sinn des Besitzes verdunkelt, die Leistung entwertet und infolgedessen Verwirrung, Verzweiflung und Zersetzung der sozialen Kr?fte herbeiführt.
Besitz in seiner reinen Form ist etwas zugleich Einmaliges und Individuelles. Wie es ein Grad- und Artmesser ist für den, der besitzt, kennzeichnet es auch die Beschaffenheit dessen, der darnach strebt. Es sind dies, tiefer betrachtet, zwei v?llig verschiedene Gattungen von Menschen und demgem?? zwei v?llig verschiedene Eigenschaftsgruppen, die zu betrachten sind.
Es ist ein seltsames und oft wahrzunehmendes Ph?nomen, da? zwischen dem Verlangenden und dem verlangten Gegenstand eine ganz bestimmte Beziehung herrscht, eine mehr oder minder heftige Affinit?t, die auf die Schnelligkeit der Erfüllung Einflu? hat, ein seelisches Fluidum, das mit gr??erer oder geringerer Gewalt das Zueinandergeh?rige zueinander bringt. Wie vom Schicksal zwischen Mensch und Mensch, kann man auch vom Schicksal zwischen Mensch und Ding sprechen.
Ob im Ding ein hinstrebender Wille vorhanden ist, das zu entscheiden, ist nicht einfach. Das Erw?gen solcher M?glichkeit freilich fordert bereits die Entrüstung der Rationalisten heraus, und ich m?chte in diesem Punkt nicht weiter gehen. Die Existenz und Wirkung eines Magnetismus dürfte auch von Grobnervigen nicht geleugnet werden; er kommt ja in allt?glichen und trivialen Vorg?ngen oft genug zur Erscheinung. Bemerkbar ist natürlich das Verhalten des Menschen, der zum Ding steht.
Um zum Besitz zu gelangen, hat er Kraft einzusetzen, F?higkeit, überlegung, Ausdauer, Arbeit. Der vorgestellte Wert, der Wert im Bewu?tsein der andern und die Weite des trennenden Wegs bringen die Summe des Müheaufwandes hervor und ergeben die moralische Sch?tzung für ihn. Ehrgeiz entfaltet sich; Pl?ne werden erdacht; Anstrengungen wiederholen sich best?ndig; der Geist wird gebunden und auf ein Ziel gerichtet; Wetteifernde tauchen auf, die besiegt werden müssen; Hindernisse erheben sich au?en, Zweifel innen: die Geduld erlahmt, der Wunsch trübt sich, erglüht wieder; alles dies in niedriger wie in hoher Form, bei der Jagd nach einem Wild wie bei dem Ringen um ein kostbares Gut. Das Bild dessen, was errungen werden soll, ist das fortw?hrend verjüngende und erneuernde Movens, der Kr?ftespeicher, der Feuerspender; es diktiert den Rhythmus, die Flugh?he, schafft die Züge und die Gestalt des Lebens, es ist
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