Huttens Letzte Tage | Page 5

Conrad Ferdinand Meyer

Jetzt mustert' er mein ausgedient Gewand,
Die hohlen Wangen auch,
die magre Hand.
"Eins bist du: Siech! Das redet dein Gesicht!"
Ich glaubte mich
geheilt und bin es nicht.
Da streckt' den Finger er und zog damit
Sich sauber um die Gurgel
einen Schnitt.
Du rätst...? Er nickte. Drob hab' ich gelacht.
Dann hab' ich der
Gebärde nachgedacht.
Unleidlich scheint dem frohen Kind der Welt
Dein Dasein,
Hutten--drum verbrauch's als Held!
Wovor des kühnsten Mannes Busen zagt,
Das sei von dir in freier
Lust gewagt!
XIX Mißverständnis
Der Vater sprach zu mir mit leisem Hohn:
"Verstehst du's, bau mir
eine Presse, Sohn!"
(Sie nennen Presse dort im Frankenland,
Was
andern Ortes Kelter wird genannt.)
Sprach's und verritt. Ich ohne viel Geschrei
Berief die Meister
schwarzer Kunst herbei.
Da ward gesetzt, gedruckt, gepreßt, gedreht,
Viel tausend Blätter
flogen rings verweht.
Auf einem ward dem Cajetan gedroht:
"Schlagt, fromme Leute, den
Legaten tot!"
Hier stand: "Und würd' ich drüber Lands verjagt,
Ich Hutten breche

durch, ich hab's gewagt!"
Und dort: "Die harsche Luft der Freiheit weht,
Ich Hutten sporn' und
stachle früh und spät."
Das war ein heißer und ein zorn'ger Wein,
Den ich gepreßt am
Steckelbergerrain.
XX Jacta est alea
Nachdem ich meinen großen Wurf getan,
Da hub der Vater mich zu
schelten an:
"Du trittst mit Rom in Fehde? Bist du toll?
Mich
wundert's, Ulrich, wie das enden soll!
Poet war schlimm und klingt erbärmlich schon,
Doch Ketzer ist noch
weit ein schlimmrer Ton!
Erlebt' ich's nicht! Ein Sohn in Bann und Acht,
Der meinen grauen
Haaren Schande macht!
So, Ulrich, mehrst du deines Stammes Glanz?
Jetzt gehst du halb
zerlumpt, bald bist du's ganz!
Was kümmert dich, ob unser Haus zerfällt?
Was kümmert irgend
noch dich auf der Welt?
Wenn nur in Holzschnitt du und Kupferstich
Den Lorbeer trägst--was
anders kümmert dich?
Du lächelst? Du verziehst den Mund zum Scherz?
Ich wußt' es nicht:
du hast ein schlechtes Herz."
Der Vater sprach's und blickte finster drein,
Mit Tränen bat das
fromme Mütterlein:
"Mein süßer Ulrich, laß das böse Spiel!"
Ich gab zur Antwort: Nein!
Der Würfel fiel.

Mein Mütterlein, behalt mich lieb und gern!
Bleib du mir milde wie
der Abendstern!
Du kränkst mich, Vater, nicht, so herb du bist!
Hier schlägt ein Herz,
das guter Meinung ist.
Beleidigt dich mein abgebraucht Gewand,
So laß mich treten aus des
Hauses Band!
Ich sei ein Fremdling dir! Du bleibst in Ruh,
Mein Gut, du teilst es
meinem Bruder zu.
Und ärgre, Vater, dich am Lorbeer nicht,
Der nur im Bildnis mir die
Stirn umflicht!
Ich selber trage sonder Prunk und Glanz
Im Leben einen schlichten
Dornenkranz.
Wozu der Lorbeer? Das hat keinen Sinn.
Ein jeder weiß, daß ich der
Hutten bin,
Den weder Zeit noch Tod noch Acht noch Bann
Vom Herzen seines
Volkes scheiden kann!
Burg Steckelberg, die von der Höhe schaut,
Von Frankens schönen
Hügeln rings umblaut,
Die Brücke nieder! Öffne mir dein Tor!
Ich reit' aus dir zum letzten
Mal hervor.
Blas, Türmer, blas mir noch ein tapfer Stück!
Ich fahr' in Kampf und
kehre nicht zurück.
XXI Der Edelstein
Als ich gen Zürich ritt im Abendschein,
Da rief ich aus: "Du
schmucker Edelstein!"
Bei Meister Zwingli lebte man nicht schlecht,


Er deckte mir den Tisch mit einem Hecht.
Den hab' ich auf der Brücke dann verdaut,
Lustwandelnd nahes
Schneegebirg geschaut--
Da sah ich einen unterm Volke gehn,
Von dessen Hute Geierfedern
wehn.
Dem bog ich fluchend aus dem Wege schnell,
Denn Herzog Ulrich
war's, der Mordgesell!
O blaue Flut, o freier Bergeshauch,
Gibst ein Asyl du dem Tyrannen
auch?
XXII Der Comtur
Als ich entlang das helle Seegestad
Nach Pfäffers ritt ins heiße
Felsenbad,
Wo man in Unterwelt und Wellenguß
An schwankem
Seile niederschweben muß,
Wo keck zur Hölle fahren Mann und Weib
Und wiederkehren mit
geheiltem Leib--
Fand ich in Küsnach gastlich Nachtquartier
Und scherzend sagte der
Comtur zu mir:
"Braucht Ihr Moneten? Tuet nicht verschämt!
Der Pächter brachte
zwanzig Gulden. Nehmt!
Werft keinen nieder! Hier ist's unerlaubt.
Nehmt! Und Ihr habet bloß
den Staat beraubt!
Mein teurer Ritter, nehmet ungeziert!
Wir werden morgen
säkularisiert
Und lieber als dem Staat, der alles frißt,
Gönn' Euch ich's, der ein
Mensch und Würfler ist."

Ich strich es ein und schwang mich in den Sitz
Und lachte: Herr
Comtur, Ihr habet Witz.
Und weiter oben, wo sich biegt der See
Und nah und näher tritt der
ew'ge Schnee,
Bespiegelt' in der Flut ein Eiland sich,
Daran ich leichten Sinns
vorüber strich.
Ich ließ es rechts im flücht'gen Wellenspiel
Und ahnte nicht mein
letztes Wanderziel.
Die Einsamkeit
XXIII Die Flut
In meine Kammer blickt das blaue Licht
Der nahen Flut. Ich
widerstehe nicht.
Die Mittagssonne rüstet mir das Bad,
Ich
schleiche mich verstohlen ans Gestad.
Ich hab' es eilig. Wär' mein Pfleger hier,
Mich hieß' er Waghals und
verwehrt' es mir.
Zum Strande nieder führt mich diese Schlucht
Und krause Wellchen
plätschern in der Bucht.
Hinaus! Hinaus! Du abgrundkühle Flut,
Wie tust du meinem heißen
Herzen gut.
Mit blauen Bannern ziehst du weit heran
Und immer neue Heere seh'
ich nahn.
Die Reihen schlagen mit gelindem Prall
Mir an die Brust und brechen
sich am Wall.
Noch lob' ich meiner Arme Schwung und Zug--
Nur etwas
sachter--eben Kraft
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