Hinzelmeier | Page 5

Theodor W. Storm
Haar heraus. Das blies er durch die Finger;
da schwang es sich als Rabe in die Luft.
Nun schwenkte er den Stab im Kreise um sein Haupt und wie er
schwenkte, flog der Rabe; dann streckte er den Arm aus und der Vogel
setzte sich auf seine Faust. Hierauf hob er die grüne Brille von seiner
Nase; und während er sie auf des Raben Schnabel klemmte, sprach er:
"Wege sollst du weisen, Krahirius sollst du heißen!--
Da schrie der Rabe: "krahira! krahira!" und hüpfte mit ausgespreizten
Flügeln auf Hinzelmeiers Schulter. Der Meister aber sprach zu diesem:
"Wanderspruch und Wanderbuch Hast du nun; und nun genug!"
Dann wies er mit dem Finger in das Tal hinab, wo der unendliche Weg
über die Ebene lief und während Hinzelmeier, mit dem Reisehute
grüßend, in die Frühlingsnacht hinausging, schwang Krahirius sich auf
und flog zu seinen Häupten.

Der Eingang zum Rosengarten
Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Hinzelmeier hatte einen

Richtweg über ein Feld mit grüner Wintersaat eingeschlagen, das sich
unabsehbar vor ihm ausdehnte. Zu Ende desselben führte der Steig
durch eine Öffnung des Walles auf einen geräumigen Platz hinaus und
Hinzelmeier stand vor den Gebäuden eines großen Bauernhofes. Es
hatte zuvor geregnet; nun dampften die Strohdächer in der herben
Frühlingssonne. Er stieß seinen Wanderstab in den Boden und blickte
zum First des Wohnhauses hinauf, wo ein Volk von Sperlingen sein
Wesen trieb. Plötzlich sah er aus einem der beiden weißen Schornsteine
eine glänzende Scheibe in die Luft steigen, sich langsam im
Sonnenscheine wenden und darauf wieder in den Schornstein
hinabfallen.
Hinzelmeier zog seine Taschenuhr hervor. "Es ist Mittag!" sagte er,
"sie backen Eierkuchen."--Ein lieblicher Duft verbreitete sich; und
wieder stieg ein Eierkuchen in den Sonnenschein hinauf und sank nach
einer kurzen Weile in den Schornstein zurück.
Der Hunger meldete sich; Hinzelmeier trat ins Haus und gelangte über
einen breiten Flur in eine hohe, geräumige Küche, wie solche in
größeren Gehöften zu sein pflegen. Am Herde, auf dem ein helles
Reisigfeuer brannte, stand eine stämmige Bäuerin und tat den Teig in
die zischende Pfanne.
Krahirius, der lautlos hintendrein geflogen war, setzte sich auf den
Herdmantel, während Hinzelmeier fragte, ob er für Geld und gute
Worte eine Mahlzeit hier bekommen könne.
"Hier ist kein Wirtshaus!" sagte die Frau und schwang ihre Pfanne, daß
der Eierkuchen prasselnd in den schwarzen Schlot hinauffuhr und erst
nach einer ganzen Weile mit der Oberseite in die Pfanne
zurückklatschte.
Hinzelmeier griff nach seinem Stecken, den er beim Eintritt an die Tür
gestellt hatte; allein die Alte fuhr mit der Gabel in den Eierkuchen und
stülpte ihn rasch auf eine Schüssel. "Nun, nun!" sagte sie, "so war es
nicht gemeint; setz Er sich nur; hier ist just einer fertig." Dann schob
sie ihm einen hölzernen Stuhl an den Küchentisch und setzte den
dampfenden Kuchen nebst Brot und einem Kruge jungen Landweins

vor ihn hin.
Das ließ Hinzelmeier sich gefallen und hatte bald die derbe Speise und
ein gut Teil des festen Roggenbrots verzehrt. Dann setzte er den Krug
an den Mund und tat einen herzhaften Zug auf die Gesundheit der
Alten und dann zu seiner eigenen Gesundheit noch manchen anderen
hinterher. Das machte ihn so vergnügt, daß er ganz wie von selber zu
singen anhub. "Er ist ja ein lustiger Mensch!" rief die Alte von ihrem
Herde hinüber. Hinzelmeier nickte; ihm fielen auf einmal alle Lieder
wieder ein, die er vor Zeiten im elterlichen Hause von seiner schönen
Mutter gehört hatte. Nun sang er sie, eines nach dem andern:
"Das macht, es hat die Nachtigall Die ganze Nacht gesungen; Da sind
von ihrem süßen Schall,
Da sind von Hall und Widerhall Die Rosen aufgesprungen. Sie war
doch sonst ein wildes Blut, Nun geht sie tief in Sinnen; Trägt in der
Hand den Sommerhut Und duldet still der Sonne Glut, Und weiß nicht,
was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall Die ganze Nacht gesungen!"--
Da wurde in der Wand, dem Herde gegenüber, unter den Reihen der
blanken Zinnteller, ein Schiebefensterchen zurückgezogen und ein
schönes blondes Mädchen, es mochte des Hauswirts Tochter sein,
steckte neugierig den Kopf in die Küche.
Hinzelmeier, der das Klirren der Fensterscheiben vernommen hatte,
hörte auf zu singen und ließ seine Augen an den Wänden der Küche
umherwandern; über das Butterfaß und die blanken Käsekessel und
über den breiten Rücken der Alten bis an das offene
Schiebefensterchen, wo sie an zwei anderen jungen Augen hängen
blieben.
Das Mädchen wurde ganz rot.--"Er singt schön!" sagte sie endlich.
"Es kam mir nur so", erwiderte Hinzelmeier. "Ich singe sonst gar
nicht."

Dann schwiegen beide eine Weile und man hörte nur das Zischen der
Pfanne und das Prasseln der Eierkuchen. "Caspar singt auch schön!"
hub das Mädchen wieder an.
"Freilich wohl!" meinte Hinzelmeier.
"Ja", sagte das Mädchen, "aber so schön wie Er macht er's doch nicht.
Wo hat Er denn das schöne Lied
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