Hinzelmeier | Page 6

Theodor W. Storm
her?"
Hinzelmeier antwortete nicht darauf, sondern trat auf einen
umgestürzten Zuber, der unter dem Schiebefenster stand und sah an
dem Mädchen vorbei in die Kammer. Drinnen war voller Sonnenschein.
Auf den roten Fliesen der Diele lagen die Schatten von Nelken- und
Rosenstöcken, welche seitwärts vor einem Fenster stehen mochten.
Plötzlich wurde im Hintergrund der Kammer eine Tür aufgerissen. Der
Frühlingswind brauste herein und riß dem Mädchen ein blauseidenes
Band von der Riegelhaube; dann fahr er durchs Schiebefenster und
trieb seine Beute kreiselnd in der Küche umher. Hinzelmeier aber warf
seinen Hut danach und fing es wie einen Sommervogel.
Das Fenster war ein wenig hoch. Er wollte es dem Mädchen
hinauflangen, sie bückte sich zu ihm heraus; da fahren beide mit den
Köpfen aneinander, daß es krachte. Das Mädchen schrie; die Zinnteller
klirrten, Hinzelmeier wurde ganz konfus.
"Er hat einen gar wackeren Kopf!" sagte das Mädchen und wischte sich
mit ihrer Hand die Tränen von den Wangen. Als aber Hinzelmeier sich
das Haar aus der Stirn strich und ihr herzhaft ins Gesicht schaute, da
schlug sie die Augen nieder und fragte: "Er hat sich doch kein Leid's
getan?"
Hinzelmeier lachte. "Nein, Jungfer!" rief er--er wußte selbst nicht, wie
es ihm auf einmal einfallen mußte--"nehm Sie mir's nicht übel, aber Sie
hat gewiß schon einen Schatz?"
Sie setzte die Faust unters Kinn und wollte ihn trotzig ansehen, aber
ihre Augen blieben an den seinen hängen. "Er faselt wohl", sagte sie
leise.

Hinzelmeier schüttelte den Kopf; es wurde ganz still zwischen den
Beiden.
"Jungfer!" sagte nach einer Weile Hinzelmeier, "ich möchte Ihr das
Band in die Kammer bringen!"
Das Mädchen nickte.
"Wo geht denn aber der Weg?"
Es klang ihm in den Ohren: "Mitunter auch durchs Fenster!"--Das war
die Stimme seiner Mutter. Er sah sie an seinem Bette sitzen; er sah sie
lächeln; es war ihm plötzlich, als stehe er in einem rosenroten Nebel,
der aus dem offenen Schiebefenster in die Küche hereinzog. Er trat
wieder auf den Zuber und legte seine Hände um den Nacken des
Mädchens. Da sah er durch die offene Kammertür in einen Garten,
darinnen standen die blühenden Rosenbüsche wie ein rotes Meer und in
der Ferne sangen kristallne Mädchenstimmen:
"Rinke, ranke, Rosenschein, Tu dich auf und schließ uns ein!"--
Hinzelmeier drängte das Mädchen sanft in die Kammer zurück und
stemmte die Hände auf das Fensterbrett, um sich mit einem Satz
hineinzuschwingen; da hÖrte er es: "krahira, krahira!" über seinem
Kopfe schwirren; und ehe er sich's versah, ließ der Rabe die grüne
Brille aus der Luft und gerade auf seine Nase fallen. Nur wie im
Traume sah er noch das Mädchen die Arme nach ihm ausstrecken; dann
war auf einmal alles vor seinen Augen verschwunden; aber in weiter
Ferne sah er durch die grünen Gläser eine dunkle Gestalt in einem
tiefen Felsenkessel sitzen, welche mit einem Stemmeisen eifrig in den
Grund zu bohren schien.

Ein Meisterschuß
"Der sucht den Stein der Weisen!" dachte Hinzelmeier; und seine
Wangen begannen zu brennen; er schritt wacker auf die Erscheinung
los; aber es war weiter, als es durch die Brillengläser aussah; er rief

dem Raben, der mußte mit seinen Flügeln ihm die Schläfe fächeln. Erst
nach Stunden hatte er den Grund der Schlucht erreicht. Nun sah er eine
schwarze, rauhe Gestalt vor sich, die hatte zwei Hörner an der Stirn und
einen langen Schwanz, den ließ sie hinter sich über das Gestein
hinabhängen. Bei Hinzelmeiers Ankunft nahm sie das Stemmeisen
zwischen die Zähne und begrüßte ihn mit dem verbindlichsten
Kopfnicken, während sie mit der Schwanzquaste den Bohrstaub
zusammenfegte. Hinzelmeier wurde fast um die Anrede verlegen,
deshalb nickte er jedesmal mit gleicher Verbindlichkeit wieder, so daß
also diese Komplimente von beiden Seiten eine Zeitlang fortdauerten.
Endlich sagte der Andere: "Sie kennen mich wohl nicht?"
"Nein", sagte Hinzelmeier. "Sind Sie vielleicht ein Pumpenmeister?"
"Ja", sagte der Andere, "so etwas ähnliches; ich bin der Teufel."
Das wollte Hinzelmeier nicht glauben; aber der Teufel sah ihn mit zwei
solchen Eulenaugen an, daß er am Ende gründlich überzeugt wurde und
ganz bescheiden sagte: "Dürfte ich mir die Frage erlauben, ob Sie mit
diesem ungeheueren Loche ein physikalisches Experiment
beabsichtigen?"
"Kennen Sie die ultima ratio regum?" fragte der Teufel.
"Nein", sagte Hinzelmeier. "Die ratio regum hat nichts mit meiner
Kunst zu schaffen."
Der Teufel kratzte sich mit dem Pferdehuf hinter den Ohren und sagte
dann, einen überlegenen Ton annehmend: "Mein Kind, weißt du, was
eine Kanone ist?"
"Freilich", sagte Hinzelmeier lächelnd; denn das ganze hölzerne
Arsenal aus seiner Knabenzeit sah er plötzlich im Geiste vor sich
aufgepflanzt.
Der Teufel klatschte vor Vergnügen mit seinem Schwanze auf den
Felsen. "Drei Pfund Schießpulver, ein Fünkchen Höllenfeuer dazu;
dann--!" Hier steckte er die eine Tatze in das Bohrloch und indem er

die andere auf Hinzelmeiers Schulter legte, sagte er vertraulich: "Die
Welt ist unregierbar geworden. Ich will sie in die Luft sprengen."
"Alle Wetter!"
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