Hinzelmeier | Page 4

Theodor W. Storm
der viele Meilen von hier in
einer großen Stadt wohnt; da magst du dir selbst eine Kunst erwählen."
Da war Hinzelmeier zufrieden.
Einige Tage darauf packte Frau Abel einen großen Koffer mit unzählig
vielen Kleidern und Hinzelmeier selber legte noch ein Rasierzeug
hinein, damit er den Bart, wenn er käme, sogleich wieder abschneiden
könne. Dann fuhr eines Tages der Wagen vor die Tür und als die
Mutter ihren Sohn zum Abschied umarmte, sagte sie unter Tränen zu
ihm: "Vergiß die Rose nicht!"

Krahirius
Als Hinzelmeier ein Jahr bei dem weisen Meister gewesen war, schrieb
er seinen Eltern, er habe sich nun eine Kunst erwählt, er wolle den?
Stein der Weisen? suchen; nach zwei Jahren werde der Meister ihn
lossprechen, dann wolle er auf die Wanderschaft und nicht eher
zurückkehren, als bis er den Stein gefunden habe. Dies sei eine Kunst,
welche noch von Niemandem erlernt worden; denn auch der Meister
sei eigentlich nur ein Altgesell, da der Stein noch keineswegs von ihm
gefunden sei.
Als die schöne Frau Abel diesen Brief gelesen hatte, faltete sie ihre
Finger ineinander und rief: "Ach, er wird nimmer in den Rosengarten
kommen! Es wird ihm gehen wie unseres Nachbarn Kasperle, der vor
zwanzig Jahren ausgezogen und nimmer wieder nach Hause gekommen
ist!"
Herr Hinzelmeier aber küßte die schöne Frau und sagte: "Er mußte
seinen Weg gehen! Ich wollte auch einmal den? Stein der Weisen?
suchen und habe statt dessen die Rose gefunden."
So blieb denn Hinzelmeier bei dem weisen Meister; und allmählich
ging die Zeit herum.-Es war schon tief in der Nacht. Hinzelmeier saß
vor einer qualmenden Lampe über einen Folianten gebückt. Aber es
wollte ihm heute nicht gelingen; er fühlte es in seinen Adern klopfen
und gären, es überfiel ihn eine Angst, als könne ihm auf immer das
Verständnis für die tiefe Weisheit der Formeln und Sprüche verloren
gehen, welche das alte Buch bewahrte.
Mitunter wandte er sein blasse Gesicht ins Zimmer zurück und starrte
gedankenlos in den Winkel, wo die grämliche Gestalt seines Meisters
vor einem niedrigen Herde zwischen glühenden Kolben und Tiegeln
hantierte; mitunter, wenn die Fledermäuse an den Scheiben
vorüberstrichen, sah er verlangend in die Mondnacht hinaus, die wie
ein Zauber draußen über den Feldern lag. Neben dem Meister kauerte
die Kräuterfrau am Boden. Sie hatte den grauen Hauskater auf dem

Schoß und stäubte ihm sanft die Funken aus dem Pelz. Manchmal,
wenn es so recht behaglich knisterte und das Tier vor angenehmem
Grausen maunzte, langte der Meister liebkosend nach ihm zurück und
sagte hustend: "Die Katze ist die Genossin des Weisen!"
Plötzlich schon von außen her, von der First des Daches, das unter dem
Fenster lag, ein langgezogener, sehnsüchtiger Laut, wie dessen von
allen Tieren nur die Katze und nur im Lenze mächtig ist. Der Kater
richtete sich auf und krallte seine Klauen in die Schürze des alten
Weibes. Noch einmal rief es draußen. Da sprang das Tier mit einem
derben Satz auf den Fußboden und über Hinzelmeiers Schultern durch
die Scheiben ins Freie, daß die Glasscherben klingend hinterdrein
stoben.
Ein süßer Primelduft strich mit dem Zug ins Zimmer. Hinzelmeier
sprang empor. "Es ist Frühling, Meister!" rief er und warf seinen Stuhl
zurück.
Der Alte senkte seine Nase noch tiefer in den Tiegel. Hinzelmeier ging
auf ihn zu und packte ihn an der Schulter. "Hört Ihr's nicht, Meister?"
Der Meister griff sich in den graugemischten Bart und stierte den
Jungen- blöd durch seine grüne Brille an.
"Das Eis birst!" rief Hinzelmeier, "es läutet in der Luft!"
Der Meister faßte ihn ums Handgelenk und begann die Pulsschläge zu
zählen. "Sechsundneunzig!" sagte er bedenklich.--Aber Hinzelmeier
achtete dessen nicht, sondern verlangte seinen Abschied; und noch in
selber Stunde. Da hieß der Meister ihn Stab und Ranzen nehmen und
trat mit ihm vor die Haustür, von wo sie weit ins Land hineingehen
konnten. Die unabsehbare Ebene lag in klarem Mondenlicht zu ihren
Füßen. Hier standen sie still; das Antlitz des Meisters war gefurcht von
tausend Runzeln, sein Rücken war gebeugt, sein Bart hing tief über
seinen braunen Talar hinab; er sah unsäglich alt aus. Auch
Hinzelmeiers Gesicht war bloß, aber seine Augen leuchteten.
"Deine Zeit ist um", sprach der Meister zu ihm. "Knie nieder, damit du

losgesprochen werdest!" Dann zog er ein weißes Stäbchen aus dem
Ärmel und dem Knieenden dreimal damit den Nacken berührend,
sprach er:
"Das Wort ist gegeben Unter die Geister; Ruf es ins Leben, So bist du
der Meister.
Vorhanden ist es in keinem Reich. Es ist ein Name, ein Dunst; Finden
und schaffen zugleich, Das ist die Kunst!"
Dann hieß er ihn aufstehen. Ein Frösteln durchfuhr den Jüngling, als er
in das greise, feierliche Angesicht des Meisters blickte. Er nahm Stab
und Ranzen vom Boden und wollte von dannen gehen, aber der Meister
rief: "Vergiß den Raben nicht!" Er griff mit der hageren Faust in seinen
Bart und riß ein schwarzes
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