mein
Hut!«
»Wer hat denn aber hier im Wagen geschossen?« rief der Conducteur
jetzt mit strengerer Amtsmiene, während die Dame entsetzt über ihre
Hutschachtel herfiel, den erlittenen Schaden zu besichtigen, »ich werde
Sie im nächsten Postamte anzeigen. Sie da, was thun Sie mit einem
geladenen Pistol in der königlichen Post?«
»Postamt anzeigen?« rief der Commerzienrath in tödtlichem Schreck,
»und des vermaledeiten Pistols wegen, gegen das ich mich aus
Leibeskräften gesträubt?«
»Sie dürfen hier im Wagen gar kein Pistol haben«, sagte der Schaffner
streng.
»Ich wollte ich hätte es nie gesehen«, rief der Commerzienrath in
ausbrechendem Grauen; »da«, fügte er dann hinzu und schleuderte die
Waffe, gar nicht an das aufgezogene Fenster denkend, mitten durch die
Scheibe hinaus auf die Straße, daß die Scherben im Wagen
herumflogen und auf die harte Chaussée draußen niederklirrten.
»Jesus Maria«, rief die Dame, »mein Hut!«
»Herr, die Scheibe kostet 1 Gulden 25 Kreuzer!« rief der Schaffner.
Die Frau zog in diesem Augenblick den zu Atomen geschossenen,
wunderschön verzierten und früher einmal mit Bändern und Blumen
geschmückten Strohhut aus dem durchschossenen Futteral; die ganze
gewaltige Ladung war schräg hindurchgegangen und hatte ihn
vollständig vernichtet, daß die Stücken darumhingen, und jetzt zum
ersten male wurde auch der andere Passagier in der Wagenecke laut,
der plötzlich herausplatzte, als ob ihm irgendein inneres Gefäß
gesprungen sei, in demselben Moment aber auch fast einhielt und nun
so heftig zu nießen und zu husten anfing, daß er ganz blau im Gesicht
wurde und der Commerzienrath wirklich für einen Augenblick sein
eigenes Elend vergaß, nach dem Manne hinüberzuschauen.
»Und hier das ganze Polster ist zerschossen!« rief jetzt der Postbeamte,
der die Hutschachtel fortgerissen hatte, nach dem zugefügten Schaden
zu sehen, »Herr, Sie werden eine Heidenrechnung bekommen.«
»Mein Hut, du lieber Gott, mein Hut!« jammerte dabei die Dame, »was
setz' ich jetzt auf, was setz' ich auf?«
»Ich will ja gern Alles bezahlen«, stöhnte der Commerzienrath in
völliger Verzweiflung, »wenn Sie mir nur sagen wollen was es kostet.«
»Schockschwerenoth«, rief der Schaffner plötzlich nach seiner Uhr
sehend, »jetzt haben wir hier schon sieben und eine halbe Minute
getändelt und ich komme zu spät auf die Station -- nehmen Sie Ihren
Rock dahinein, Madamchen -- werfen Sie den Bettel auf die Straße, er
ist doch nicht mehr zu brauchen; so«, sagte er dann, die Thür
zuschlagend und seinen alten Platz wiedereinnehmend, »fahr zu,
Schwager!«
»Da unten liegt das Schießeisen noch«, sagte dieser, mit einem
schmunzelnden Seitenblick und dem linken Daumen über die Achsel
deutend, »sollen wir's liegen lassen?«
»Was geht dich der Quark an? fahr zu!« lautete die barsche Antwort
des verantwortlichen Postführers, die Peitsche fuhr aus und auf das
Handpferd nieder, und dahinrasselte das Geschirr wieder in scharfem
Trab, das Versäumte nachzuholen.
Der Commerzienrath hatte indessen einen schweren Stand im Wagen,
die erzürnte und unglückliche Dame zu beruhigen, die
wunderbarerweise an dem Hute zu hängen schien, als ob es ein Stück
ihrer selbst gewesen wäre. Sie weinte und zankte und betrug sich etwa
wie ein unartiges Kind, dem man irgendein Spielzeug zerbrochen, und
das sich nun weder will trösten noch beruhigen lassen. Zuletzt und kurz
vorher ehe sie die nächste Station erreichten, verstand sie sich endlich
dazu, den höchstmöglichen Satz für Hut und Schachtel anzunehmen,
was ihr der Commerzienrath, froh, so gut wegzukommen, gleich an Ort
und Stelle auszahlte, aber auch dann noch keinen Frieden hatte, denn,
damit in Ordnung, fielen ihr plötzlich wieder ihre bis dahin ganz außer
Acht gelassenen Zahnschmerzen ein, gegen die das zerbrochene
Fenster nicht mehr geschlossen werden konnte, und es zeigte sich jetzt,
daß das unglückselige Pistol nach allen Seiten hin Zerstörung und
Verwirrung angerichtet hatte.
Der andere Passagier dagegen saß so ruhig und regungslos wie immer
in dieser Confusion und sagte kein Wort; er mußte jedenfalls stumm,
vielleicht gar taubstumm sein, oder wenigstens keine Silbe von ihrer
Sprache verstehen.
Aber dem Commerzienrath gingen andere Dinge im Kopfe herum, als
sich um den geheimnißvollen Fremden zu kümmern. Glücklicherweise
kannte ihn Niemand, denn mit der Post war er früher nie in Berührung
gekommen und eingetragen nur unter dem anspruchlosen Namen
Mahlhuber. Die paar Thaler, die es ihm gekostet hatte, betrachtete er
als Lehrgeld für spätere Zeit, und pries sich immer noch glücklich so
billig davongekommen zu sein. Auf der nächsten Station bezahlte er
auch die Scheibe mit 1 Gulden 25 Kreuzer und Polster und sonstige
Beschädigung des königlichen Postwagens mit 3 Gulden 30 Kreuzer,
dem er natürlich ein nicht unbedeutendes Geschenk für Conducteur und
Postillon beifügte, dieser Schweigen zu erkaufen. Er dankte auch
seinem Gott, als er endlich Gelegenheit bekam, auf seinem schon
früher bestimmten Anhalteplatz einige Minuten vor 9 Uhr Abends
aussteigen zu dürfen, der Gesellschaft, in der er sich nicht mehr getraut
hatte ein Wort zu sagen, wie der unangenehmen Erinnerung enthoben
zu sein. Was für ein Glück, daß er Dorothee's Vetter nicht
mitgenommen hatte.
An Ort und Stelle angelangt
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