Hermann und Dorothea | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
Orte. Alle Leute waren,
spazierend in festlichen Kleidern, Auf den Dörfern verteilt und in den
Schenken und Mühlen. Und am Ende der Stadt begann das Feuer. Der
Brand lief Eilig die Straßen hindurch, erzeugend sich selber den
Zugwind. Und es brannten die Scheunen der reich gesammelten Ernte,
Und es brannten die Straßen bis zu dem Markt, und das Haus war
Meines Vaters hierneben verzehrt und dieses zugleich mit. Wenig
flüchteten wir. Ich saß, die traurige Nacht durch, Vor der Stadt auf dem
Anger, die Kasten und Betten bewahrend; Doch zuletzt befiel mich der
Schlaf, und als nun des Morgens Mich die Kühlung erweckte, die vor
der Sonne herabfällt, Sah ich den Rauch und die Glut und die hohlen
Mauern und Essen. Da war beklemmt mein Herz; allein die Sonne ging
wieder Herrlicher auf als je und flößte mir Mut in die Seele. Da erhob
ich mich eilend. Es trieb mich, die Stätte zu sehen, Wo die Wohnung
gestanden, und ob sich die Hühner gerettet, Die ich besonders geliebt;
denn kindisch war mein Gemüt noch. Als ich nun über die Trümmer
des Hauses und Hofes daherstieg, Die noch rauchten, und so die
Wohnung wüst und zerstört sah, Kamst du zur andern Seite herauf und
durchsuchtest die Stätte. Dir war ein Pferd in dem Stalle verschüttet;
die glimmenden Balken Lagen darüber und Schutt, und nichts zu sehn
war vom Tiere. Also standen wir gegeneinander, bedenklich und traurig:
Denn die Wand war gefallen, die unsere Höfe geschieden. Und du
faßtest darauf mich bei der Hand an und sagtest: "Lieschen, wie
kommst du hieher? Geh weg! du verbrennest die Sohlen; Denn der
Schutt ist heiß, er sengt mir die stärkeren Stiefeln." Und du hobest mich

auf und trugst mich herüber durch deinen Hof weg. Da stand noch das
Tor des Hauses mit seinem Gewölbe, Wie es jetzt steht; es war allein
von allem geblieben. Und du setztest mich nieder und küßtest mich und
ich verwehrt' es. Aber du sagtest darauf mit freundlich bedeutenden
Worten: "Siehe, das Haus liegt nieder. Bleib hier, und hilf mir es bauen,
Und ich helfe dagegen auch deinem Vater an seinem." Doch ich
verstand dich nicht, bis du zum Vater die Mutter Schicktest und schnell
das Gelübd' der fröhlichen Ehe vollbracht war. Noch erinnr' ich mich
heute des halbverbrannten Gebälkes Freudig und sehe die Sonne noch
immer so herrlich heraufgehn; Denn mir gab der Tag den Gemahl, es
haben die ersten Zeiten der wilden Zerstörung den Sohn mir der Jugend
gegeben. Darum lob ich dich, Hermann, daß du mit reinem Vertrauen
Auch ein Mädchen dir denkst in diesen traurigen Zeiten Und es wagtest
zu frein im Krieg und über den Trümmern."
Da versetzte sogleich der Vater lebhaft und sagte: "Die Gesinnung ist
löblich, und wahr ist auch die Geschichte, Mütterchen, die du erzählst;
denn so ist alles begegnet. Aber besser ist besser. Nicht einen jeden
betrifft es, Anzufangen von vorn sein ganzes Leben und Wesen; Nicht
soll jeder sich quälen, wie wir und andere taten, Oh, wie glücklich ist
der, dem Vater und Mutter das Haus schon Wohlbestellt übergeben und
der mit Gedeihen es ausziert! Aller Anfang ist schwer, am schwersten
der Anfang der Wirtschaft. Mancherlei Dinge bedarf der Mensch, und
alles wird täglich Teurer; da seh er sich vor, des Geldes mehr zu
erwerben. Und so hoff ich von dir, mein Hermann, daß du mir
nächstens In das Haus die Braut mit schöner Mitgift hereinführst; Denn
ein wackerer Mann verdient ein begütertes Mädchen, Und es behaget
so wohl, wenn mit dem gewünscheten Weibchen Auch in Körben und
Kasten die nützliche Gabe hereinkommt. Nicht umsonst bereitet durch
manche Jahre die Mutter Viele Leinwand der Tochter, von feinem und
starkem Gewebe; Nicht umsonst verehren die Paten ihr Silbergeräte,
Und der Vater sondert im Pulte das seltene Goldstück: Denn sie soll
dereinst mit ihren Gütern und Gaben Jenen Jüngling erfreun, der sie vor
allen erwählt hat. Ja, ich weiß, wie behaglich ein Weibchen im Hause
sich findet, Das ihr eignes Gerät in Küch' und Zimmern erkennet Und
das Bette sich selbst und den Tisch sich selber gedeckt hat. Nur wohl
ausgestattet möcht' ich im Hause die Braut sehn; Denn die Arme wird

doch nur zuletzt vom Manne verachtet, Und er hält sie als Magd, die als
Magd mit dem Bündel hereinkam. Ungerecht bleiben die Männer, und
die Zeiten der Liebe vergehen. Ja, mein Hermann, du würdest mein
Alter höchlich erfreuen, Wenn du mir bald ins Haus ein
Schwiegertöchterchen brächtest Aus der Nachbarschaft her, aus jenem
Hause, dem grünen. Reich ist der Mann fürwahr: sein Handel und seine
Fabriken Machen ihn täglich reicher: denn wo gewinnt nicht der
Kaufmann? Nur drei Töchter sind da; sie teilen allein das Vermögen.
Schon ist die ältste bestimmt, ich weiß es; aber die zweite Wie die
dritte sind noch, und vielleicht nicht lange, zu haben. Wär' ich an deiner
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