Helden | Page 7

George Bernard Shaw
und
prachtvollem Schnurrbart, der sein Hurra brüllte und angriff wie Don
Quijote die Windmühlen. Wir haben uns über ihn halbtot gelacht! Als
aber der Feldwebel gelaufen kam, bleich wie der Tod, und uns sagte,
daß wir aus Versehen die falschen Patronen bekommen hätten und daß
wir für die nächsten zehn Minuten keinen Schuß abgeben könnten, da
ist uns das Lachen vergangen! Mir war nie so schlecht in meinem
ganzen Leben, obwohl ich schon in mancher bösen Lage gewesen bin.
Ich hatte nicht einmal eine Revolverpatrone, nichts als Schokolade,
nicht einmal Bajonette hatten wir--nichts. Natürlich haben sie uns in
Stücke gehauen, und da kam dieser Don Quijote wie ein Tambourmajor
herangestürmt und glaubte, das Klügste von der Welt getan zu haben,

statt dessen verdiente er, dafür vor das Kriegsgericht gestellt zu werden.
Von allen Narren, die jemals auf einem Schlachtfelde losgelassen
worden sind, muß das der schlimmste sein! Er und sein Regiment
begingen einfach einen Selbstmord, nur ging die Pistole nicht los, das
war alles.
Raina [aufs tiefste verletzt, doch standhaft ihren Idealen treu]:
Wahrhaftig! Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?
Der Flüchtling: Werde ich ihn je vergessen können! [Sie geht wieder
zur Kommode, er beobachtet sie mit schüchternen Hoffnungen, daß sie
vielleicht noch etwas für ihn zu essen habe. Sie nimmt das Bild von der
Kommode und bringt es ihm.]
Raina: Das ist die Photographie jenes Reiters--des Patrioten und
Helden, dem ich verlobt bin.
Der Flüchtling [das Bild mit Entsetzen erkennend]: Es tut mir wirklich
sehr leid,,, [Sieht sie an.] War das recht, mich so aufs Glatteis zu führen?
[Blickt wieder auf das Bild.] Ja, das ist er ohne Zweifel. [Er unterdrückt
ein Lachen.]
Raina [rasch]: Warum lachen Sie?
Der Flüchtling [beschämt, aber immer noch sehr belustigt]: Ich
versichere Ihnen--ich habe nicht gelacht--, zumindest hatte ich nicht die
Absicht. Aber wenn ich an ihn denke, wie er die Windmühlen stürmte
und dabei glaubte, die schönste Tat von der Welt zu vollbringen! [Er
schüttelt sich vor unterdrücktem Lachen.]
Raina [strenge]: Geben Sie mir das Bild zurück!
Der Flüchtling [mit aufrichtiger Reue]: Hier, bitte. Verzeihen Sie! Es
tut mir wirklich furchtbar leid. [Sie küßt das Bild bedachtsam und sieht
dem Flüchtling gerade ins Gesicht, bevor sie es auf die Kommode
zurückstellt. Er folgt ihr, sich entschuldigend]: Wissen Sie, ich tu' ihm
vielleicht sehr unrecht, sogar ganz gewiß. Höchstwahrscheinlich hat er
von der Munitionsgeschichte irgendwo Wind bekommen und wußte,
daß es eine gefahrlose Sache war.
Raina: Das soll heißen, daß er ein Aufschneider und ein Feigling ist.
Vorhin haben Sie das wenigstens nicht zu sagen gewagt.
Der Flüchtling [mit einer komiscben Verzweiflungsgeste]: Ich bemühe
mich umsonst, verehrtes Fräulein, es gelingt mir nicht, Ihnen die Sache
vom berufsmäßigen Standpunkt aus zu zeigen. [Als er sich umwendet,
um zur Ottomane zu geben, wird neuerdings aus der Ferne

Gewehrfeuer vernehmbar]:
Raina [strenge, als sie bemerkt, wie er auf die Schüsse horcht]: Desto
besser für Sie.
Der Flüchtling [sich umwendend]: Wie meinen Sie das?
Raina: Sie sind mein Feind und in meiner Gewalt--was würde ich zu
tun haben vom berufsmäßigen Standpunkt aus?
Der Flüchtling: Ah, das ist wahr! Verehrtes Fräulein, Sie haben immer
recht. Ich weiß, was Sie für mich getan haben und was ich Ihnen
verdanke. Bis zu meiner letzten Stunde werde ich der drei Pralinés
gedenken. Es war unmilitärisch, aber wie engelsgut von Ihnen!
Raina [kalt]: Ich danke Ihnen, aber nun will ich mich militärisch
benehmen. Sie können nicht hierbleiben, nach dem, was Sie über
meinen zukünftigen Gatten gesagt haben, aber ich will auf den Balkon
gehen und nachsehen, ob Sie jetzt vollkommen gefahrlos auf die Straße
hinunterklettern können. [Sie geht an das Fenster.]
Der Flüchtling [seine Miene verändert sich]: Diese Wasserrinne
hinunter? Halten Sie ein, das kann ich nicht, das mag ich nicht! --der
bloße Gedanke daran macht mich schon schwindlig. Ich kam leicht
genug herauf mit dem Tode auf den Fersen, aber das jetzt kalten Blutes
riskieren...! [Er sinkt auf die Ottomane.] Es ist umsonst, ich bin besiegt,
ich gebe den Kampf auf, ich bin verloren--Sie können jetzt Lärm
schlagen! [Er stützt den Kopf todestraurig in die Hände.]
Raina [von Mitleid entwaffnet]: Gehen Sie, verlieren Sie nicht den Mut.
[Sie beugt sich beinahe mütterlich über ihn, er schüttelt den Kopf.] Oh,
Sie sind ein recht kläglicher Krieger, ein Pralinésoldat. Gehen Sie,
fassen Sie sich. Es gehört weniger Mut dazu, da hinunterzuklettern als
der Gefangenschaft ins Auge zu sehen--bedenken Sie das.
Der Flüchtling [schläfrig, von ihrer Stimme eingewiegt]: Nein,
Gefangenschaft bedeutet nur Tod, und Tod ist Schlaf.--Oh schlafen,
schlafen, schlafen, ungestört schlafen...Die Dachrinne hinabklettern
heißt, etwas unternehmen, sich anstrengen, denken! Zehnmal lieber den
Tod!
Raina [leise und verwundert, in seinen schläfrigen Ton verfallend]:
Sind Sie so schläfrig?
Der Flüchtling: Ich habe keine zwei Stunden ungestört geschlafen, seit
ich zur Truppe eingerückt bin. Ich war im Generalstab. Sie wissen nicht,
was das heißt: ich habe
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