Heimatlos | Page 6

Johanna Spyri
auf das Geigenspiel, solange du zur Schule gehst, so kannst du's zu etwas bringen, und in zw?lf bis vierzehn Jahren wird die Zeit da sein, da du auch eine Geige anschaffen kannst. Jetzt kannst du gehen.?
Rico warf noch einen Blick auf die Geige, dann ging er mit der allertiefsten Betr��bnis im Herzen.
Stineli kam hinter dem Holzsto? hervorgerannt: ?Diesmal bist du aber lang geblieben, hast du gefragt??
?Es ist alles verloren?, sagte Rico, und seine Augenbrauen kamen vor Leid so nah zusammen, da? ein dicker, schwarzer Strich war ��ber die Augen hin. ?Eine Geige kostet sechshundert Blutzger, und in vierzehn Jahren kann ich eine kaufen, wenn schon lange alles tot ist; wer wollte noch am Leben sein in vierzehn Jahren. Da, das kannst du haben, ich will's nicht.? Damit dr��ckte er den halben Gulden in Stinelis Hand.
?Sechshundert Blutzger!? wiederholte Stineli voller Entsetzen. ?Aber woher hast du das viele Geld hier??
Rico erz?hlte nun alles, wie es gegangen war bei dem Lehrer, und endete wieder mit dem Worte des gr??ten Leides: ?Jetzt ist alles verloren.?
Stineli wollte ihm wenigstens seinen halben Gulden aufdringen als einen ganz kleinen Trost; aber er war ganz ergrimmt ��ber den unschuldigen halben Gulden und wollte ihn nicht ansehen.
Da sagte Stineli: ?So will ich ihn zu meinen Blutzgern tun und dann wollen wir das Geld alles miteinander teilen und alles geh?rt uns zusammen.?
Diesmal war auch Stineli sehr niedergeschlagen; als es aber mit Rico um die Ecke kam, wo es ins Feld hineinging, lag der schmale Fu?weg so sch?n trocken in der Sonne bis zur Haust��r hin, und dort flimmerte das Pl?tzchen davor auch ganz wei? und trocken, und Stineli rief:
?Sieh, sieh, nun wird's Sommer, Rico, und wir k?nnen wieder in den Wald hinauf; dann freut's dich auch wieder. Wollen wir schon am Sonntag gehen??
?Es freut mich gar nichts mehr?, sagte Rico; ?aber wenn du gehen willst, so will ich schon mitkommen.?
An der T��r wurde es noch ganz ausgemacht, am Sonntag wollten sie hin��bergehen auf die Waldh?he, und dem Stineli kam schon wieder die Freude obenauf. Es tat auch noch die Woche durch, was es nur vermochte, und es gab viel zu tun; der Peterli und der Sami und das Urschli hatten die R?teln, und im Stall war eine Gei? krank, der mu?te man ?fter hei?es Wasser bringen, und Stineli mu?te da- und dorthin laufen und ��berall Hand anlegen, sobald es nur aus der Schule kam, und am Samstag den ganzen Tag lang, bis sp?t am Abend, da mu?te es noch den Stalleimer fegen. Da sagte aber auch der Vater am Abend: ?Das Stineli ist ein handliches.?

Viertes Kapitel.
Der ferne, sch?ne See ohne Namen.
Als am Sonntagmorgen Stineli die Augen aufmachte, hatte es eine gro?e Freude im Herzen und wu?te zuerst gar nicht warum, bis es sich besann, da? es Sonntag war und die Gro?mutter noch am Abend sp?t gesagt hatte: ?Morgen mu?t du Sonntag haben, den ganzen Nachmittag; er geh?rt dir!?
Als das Mittagessen vorbei war und Stineli alle Teller weggetragen und den Tisch abgewaschen hatte, rief der Peterli: ?Komm zu mir, Stineli?, und die zwei anderen im Bett schrieen: ?Nein, zu mir!? Und der Vater sagte: ?Das Stineli mu? nach der Gei? sehen.?
Aber nun ging die Gro?mutter in die K��che hinaus und winkte dem Stineli nach. ?Geh du jetzt in Frieden?, sagte sie, ?der Gei? und den Kindern will ich schon nachgehen, und wenn's Betglocke l?utet, kommt ordentlich heim.? Die Gro?mutter wu?te schon, da? ihrer zwei waren.
Jetzt scho? Stineli davon wie ein Vogel, dem man die K?figt��r aufgemacht hat, und dr��ben stand Rico, der hatte lange schon gewartet. Nun zogen sie aus ��ber die Wiese hin, der Waldh?he zu. Die Sonne schien an allen Bergen und der Himmel lag blau dar��ber. Auf der Schattenseite mu?ten sie noch ein wenig im Schnee gehen bis hinauf, aber da kam die Sonne von vorn und flimmerte ��ber den See, und da waren sch?ne, trockene Pl?tzchen am Abhang, steil ��ber dem Wasser. Da sa?en die Kinder hin; es pfiff ein scharfer Wind ��ber die H?he und sauste ihnen um die Ohren. Stineli war lauter Freude und Genu?. Ein Mal ��ber das andere rief es aus:
?Sieh, sieh, Rico, die Sonne, wie sch?n! Jetzt wird's Sommer; sieh, wie es glitzert auf dem See. Es kann gar keinen sch?neren See geben, als der ist?, sagte es jetzt zuversichtlich.
?Ja, ja, Stineli, du solltest nur einmal den See sehen, den ich meine!? und Rico schaute so verloren ��ber den See hin, als finge, was er ansehen wollte, erst dort an, wo man nichts mehr sah.
?Siehst du, dort stehen nicht so schwarze Tannen mit Nadeln, da sind so gl?nzende, gr��ne Bl?tter und gro?e, rote Blumen, und die Berge stehen nicht so hoch und schwarz und so nah, nur weit dr��ben liegen sie ganz violett, und am Himmel und auf dem See ist alles golden und so still und warm; da tut der Wind
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