Heimatlos | Page 5

Johanna Spyri
wieder nachdenklich und zaghaft an der T��r stand, ging diese pl?tzlich auf, und der Lehrer trat eilig heraus und stie? so gewaltig gegen den Rico an, da? das federleichte B��blein ein gutes St��ck r��ckw?rts flog. In gro?em Erstaunen und ziemlichem Unwillen stand der Lehrer da. ?Was ist das, Rico?? fragte er jetzt, als der Kleine wieder am Platze stand. ?Warum kommst du an eine T��r und klopfest nicht an, wenn du da etwas zu verrichten hast; wenn du aber nichts da zu verrichten hast, warum entfernst du dich nicht? Solltest du mir aber etwas zu berichten haben, so kannst du's gleich hier sagen. Was wolltest du??
?Was kostet eine Geige?? st��rzte Rico vor lauter Angst in voller Hast heraus.
Des Lehrers mi?billigendes Erstaunen wuchs sichtlich. ?Rico, was mu? ich von dir denken?? fragte er mit gestrenger Miene; ?kommst du extra an die T��r deines Lehrers, um unn��tze Fragen an ihn zu tun? oder hast du eine Absicht? Was hast du damit sagen wollen??
?Ich habe nichts sagen wollen?, entgegnete Rico sch��chtern, ?nur fragen, was eine Geige kostet.?
?Du hast mich nicht verstanden, Rico; pa? jetzt auf, was ich dir sage: ein Mensch spricht etwas aus und denkt sich dabei einen Zweck; oder er denkt sich nichts dabei, das sind unn��tze Worte. Nun pa? auf, Rico: hast du soeben diese Frage getan aus gar keinem Grunde, oder aus Neugierde, oder hat dich jemand geschickt, der gern eine Geige anschaffen wollte??
?Ich wollte gern eine kaufen?, sagte Rico ein wenig herzhafter; aber er erschrak sehr, als der Lehrer mit einem Male in hellem Zorn ihn anfuhr: ?Was? Was sagst du da? So ein -- verlorenes, unvern��nftiges, welsches B��blein, wie du eins bist, eine Geige kaufen? Wei?t du denn, was eine Geige ist? Wei?t du, wie alt ich war und was ich gelernt hatte, eh' ich eine Geige anschaffen konnte? Lehrer war ich, fertiger Lehrer, zweiundzwanzig Jahre alt und stand in meinem Beruf! Und dann so ein B��blein, wie du eins bist! Und jetzt will ich dir sagen, was eine Geige kostet, so kannst du deinen Unverstand bemessen. Sechs harte Gulden habe ich bezahlt daf��r; kannst du dir die Summe vergegenw?rtigen? Wir wollen sie gleich einmal in Blutzger aufl?sen: Enth?lt ein Gulden 100 Blutzger, so enthalten sechs Gulden 6 x 100 gleich? -- gleich? -- Nun Rico, du bist sonst keiner von den Ungeschickten, -- gleich??
?Gleich 600 Blutzger?, erg?nzte Rico leise, denn der Schrecken versagte ihm die Stimme, nun er die Summe ��berschaute und Stinelis zw?lf Blutzger damit verglich.
?Und dann, B��blein?, fuhr der Lehrer im Zuge weiter fort, ?was meinst du? Meinst du, es nimmt einer eine Geige nur in die Hand und spielt? Da mu? einer anders dran, bis er so weit ist. Komm gleich einmal da herein? -- und der Lehrer machte die T��r auf und nahm die Geige von der Wand --; ?da, nimm sie einmal in den Arm und den Bogen in die Hand; so, B��blein, und wenn du mir nun #c d e f# herausbringst, so geb' ich dir gleich einen halben Gulden.? Rico hatte wirklich die Geige im Arm; seine Augen leuchteten auf wie Feuer. #c d e f# -- spielte er fest und v?llig korrekt. ?Du Erzblitzbub?, rief der Lehrer vor Bewunderung aus, ?woher kannst du das? Wer hat dich's gelehrt? Wie kannst du die T?ne finden??
[Illustration: Jetzt spielte Rico mit aller Sicherheit und freudestrahlenden Augen]
?Ich kann noch etwas, wenn ich's spielen darf?, sagte Rico und schaute mit Verlangen auf das Instrument in seinem Arm.
?Spiel's!? bedeutete der Lehrer. Jetzt spielte Rico mit aller Sicherheit und freudestrahlenden Augen:
?Ihr Sch?flein hinunter Von sonniger H?h', Der Tag ging schon unter, F��r heute ade!?
Der Lehrer hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und die Brille aufgesetzt. Er schaute mit ernster Pr��fung jetzt auf Ricos Finger, dann auf seine funkelnden Augen, dann wieder auf die Finger. Rico hatte fertig gespielt.
?Komm hier zu mir her, Rico!?
Der Lehrer r��ckte seinen Stuhl ins Licht, und Rico mu?te sich gerade vor ihm aufstellen. ?So, nun mu? ich ein Wort mit dir reden. Dein Vater ist ein Welscher, Rico, und siehst du, dort unten gehen allerhand Dinge, von denen wir hier in den Bergen nichts wissen. Nun sieh mir in die Augen und sag mir aufrichtig und der Wahrheit gem??: Wie bist du dazu gekommen, diese Melodie ohne Fehler auf meiner Geige zu spielen??
Rico schaute den Lehrer mit ganz ehrlichen Augen an und sagte: ?Ich habe sie Euch abgelernt in der Singschule, wo wir sie so viel singen.?
Diese Worte gaben der Sache eine ganz andere Wendung. Der Lehrer stand auf und ging einige Male hin und her. So war er selbst der Urheber dieser wunderbaren Erscheinung; da waren also keine Schwarzk��nste dabei im Spiel. Mit vers?hntem Gem��te zog er jetzt seinen Beutel hervor: ?Da ist ein halber Gulden, Rico, er geh?rt dir mit Recht. Nun fahr so fort und sei recht aufmerksam
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