Heidi kann brauchen, was es gelernt hat | Page 7

Johanna Spyri
auch würde
er dann gern den Herrn noch auf allerlei Punkte führen, weiter hinauf in
die Berge, wo es ihm gefallen sollte. Diesem gefiel der ganze
Vorschlag sehr wohl, und es wurde festgesetzt, daß er ausgeführt
werden sollte.
Unterdessen war die Sonne in den Mittag gekommen; der Wind hatte
sich schon lange gelegt, und die Tannen waren ganz still geworden. Die
Luft war für die Höhe noch mild und lieblich und säuselte erfrischende
Kühle um die sonnenbeschienene Bank.
Jetzt stand der Almöhi auf und ging in die Hütte hinein, kam aber
gleich wieder und brachte einen Tisch heraus, den er vor die Bank
hinstellte.
»So, Heidi, nun hol herbei, was wir zum Essen brauchen«, sagte er.
»Der Herr muß nun vorlieb nehmen; ist unsere Küche auch einfach, so
ist das Eßzimmer doch anständig.«
»Das meine ich auch«, erwiderte der Herr Doktor, indem er auf das
sonnenbeleuchtete Tal hinunterschaute, »und die Einladung nehme ich
an, hier oben muß es schmecken.«

Das Heidi lief nun hin und her wie ein Wiesel und brachte herbei, was
es nur drinnen im Schranke finden konnte, denn daß es den Herrn
Doktor bewirten durfte, war ihm eine ungeheure Freude. Der Großvater
bereitete unterdessen das Mahl und trat nun heraus mit dem
dampfenden Milchkruge und dem goldig glänzenden Käsebraten. Dann
schnitt er schöne, durchsichtige Schnitten von dem rosigen Fleisch
herunter, das er hier oben an der reinen Luft getrocknet hatte. Dem
Herrn Doktor schmeckte sein Mittagsmahl so gut wie das ganze Jahr
durch noch kein einziges Mal.
»Ja, ja, hierhin muß unsere Klara kommen«, sagte er jetzt. »Da wird sie
zu ganz neuen Kräften gelangen, und wenn sie eine Zeitlang ißt wie ich
heute, so wird sie rund und fest werden, wie sie in ihrem Leben noch
nie war.«
Jetzt kam von unten herauf einer angestiegen, der hatte einen großen
Ballen auf dem Rücken. Wie er oben bei der Hütte ankam, warf er
seine Last auf den Boden hin und zog ein paar gute Züge von der
frischen Almluft ein.
»Ah, da kommt, was mit mir von Frankfurt hergereist ist«, sagte der
Herr Doktor aufstehend, und das Heidi mit sich ziehend, trat er an den
Ballen hin und fing an, ihn aufzulösen. Als die erste schwere Hülle weg
war, sagte er: »So, Kind, nun fahr weiter fort und hol dir deine Schätze
selbst heraus.«
Das Heidi tat so, und wie nun alles auseinanderrollte, schaute es mit
großen, verwunderten Augen auf die Dinge hin. Erst als der Herr
Doktor wieder herzutrat und von der großen Schachtel den Deckel
weghob, dem Heidi bedeutend: »Sieh, was die Großmutter zum Kaffee
bekommt«, da schrie es auf vor Freuden: »Oh! Oh! Jetzt kann die
Großmutter einmal schöne Kuchen essen!« und sprang rings um die
Schachtel herum und wollte gleich alles zusammenpacken und zur
Großmutter hinuntereilen. Aber der Großvater sagte, gegen Abend
wollten sie dann miteinander den Herrn Doktor begleiten und die
Sachen mitnehmen. Jetzt fand das Heidi auch das schöne Säckchen
Tabak und brachte es schnell dem Großvater herüber. Das gefiel ihm
sehr wohl. Er füllte gleich sein Pfeifchen damit, und die beiden Männer

sprachen nun, auf der Bank sitzend und große Rauchwolken von sich
blasend, über allerhand Dinge, während das Heidi hin und her sprang
von einem seiner Schätze zum andern. Auf einmal kam es wieder zu
der Bank zurück, stellte sich vor den Gast hin, und sowie die erste
Pause im Gespräch entstand, sagte es sehr bestimmt:
»Nein, das andere hat mir nicht mehr Freude gemacht als der alte Herr
Doktor.«
Die beiden Männer mußten ein wenig lachen, und der Herr Doktor
sagte, das hätte er nicht gedacht.
Als die Sonne halb hinter die Berge hinabsteigen wollte, stand der Gast
auf, um seine Rückreise nach dem Dörfli anzutreten und dort Quartier
zu nehmen. Der Großvater packte die Kuchenschachtel, die große
Wurst und das Tuch unter seinen Arm, der Herr Doktor nahm das Heidi
an die Hand, und so wanderten sie den Berg hinunter bis zur
Geißenpeter-Hütte. Hier mußte das Heidi Abschied nehmen. Es sollte
drinnen bei der Großmutter warten, bis es wieder abgeholt würde vom
Großvater, welcher seinen Gast nach dem Dörfli hinunter geleiten
wollte. Als der Herr Doktor dem Heidi die Hand zum Abschied bot,
fragte es: »Wollen Sie etwa gern morgen mit den Geißen auf die Weide
hinaufgehen?«, denn das war das Schönste, was es kannte.
»Es bleibt dabei, Heidi«, erwiderte er, »wir gehen zusammen.«
Nun gingen die Männer weiter, und das Heidi trat bei der Großmutter
ein. Erst schleppte es mit Anstrengung die Kuchenschachtel mit, dann
mußte es wieder hinaus, um die Wurst zu holen, denn der Großvater
hatte alles vor der Tür niedergelegt. Nachher mußte es erst noch einmal
hinaus, das große Tuch zu holen. Es brachte alles so nahe an die
Großmutter heran als nur möglich, damit sie recht alles berühren könne
und wisse, was es sei.
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