Heidi kann brauchen, was es gelernt hat | Page 5

Johanna Spyri
Kopf zurück und stellte sich ganz
anständig hin, und das Schwänli hatte auch schon seinen Kopf in die
Höhe gereckt und machte eine vornehme Gebärde, so daß man deutlich
sehen konnte, es dachte bei sich: Das soll mir denn keiner nachsagen,
daß ich mich benehme wie der Türk. Denn das schneeweiße Schwänli
war noch ein wenig vornehmer als das braune Bärli.

Jetzt hörte man von unten herauf die Pfiffe des Peter ertönen, und bald
kamen sie heraufgesprungen, die lustigen Geißen alle, voran der flinke
Distelfink in hohen Sprüngen. Gleich war das Heidi wieder mitten in
dem Rudel drin, und vor lauter stürmischen Begrüßungen wurde es hin-
und hergeschoben, und dann schob es wieder ein wenig, denn es wollte
zu dem schüchternen Schneehöppli vordringen, das ja von den
größeren immer wieder weggedrängt wurde, wenn es dem Heidi
entgegenstrebte.
Nun kam der Peter heran und tat einen letzten, fürchterlichen Pfiff, der
sollte die Geißen aufscheuchen und der Weide zujagen, denn er wollte
Platz bekommen, um dem Heidi etwas zu sagen. Die Geißen sprangen
ein wenig auseinander auf den Pfiff hin; so konnte der Peter vorrücken
und sich nun vor das Heidi hinstellen.
»Du kannst einmal wieder mitkommen heut«, war seine etwas störrige
Anrede.
»Nein, das kann ich nicht, Peter«, entgegnete das Heidi. »Jeden
Augenblick können sie jetzt von Frankfurt kommen, und dann muß ich
daheim sein.«
»Das hast du schon manchmal gesagt«, brummte der Peter.
»Es gilt aber immer noch, und es gilt, bis sie kommen«, gab das Heidi
zurück. »Oder meinst du etwa, ich müsse nicht daheim sein, wenn sie
von Frankfurt zu mir kommen? Meinst du etwa so etwas, Peter?«
»Sie können zum Öhi kommen«, versetzte der Peter knurrend.
Jetzt ertönte von der Hütte her die kräftige Stimme des Großvaters:
»Warum geht's nicht vorwärts mit der Armee? Fehlt's am
Feldmarschall oder an den Truppen?«
Augenblicklich machte der Peter kehrum, schwang seine Rute in der
Luft, daß sie sauste und alle Geißen, die den Ton wohl kannten, auf und
davon rannten, der Peter hinter ihnen drein, alle miteinander in vollem
Trabe den Berg hinan.

Seit das Heidi wieder daheim beim Großvater war, kam ihm hier und
da etwas in den Sinn, woran es vorher nicht gedacht hatte. So machte es
jetzt alle Morgen mit großer Anstrengung sein Bett zurecht und strich
so lange daran herum, bis es ganz glatt aussah. Dann lief es in der Hütte
hin und her, stellte jeden Stuhl an seinen Ort, und was etwa da und dort
herumlag oder -hing, das kramte es alles in den Schrank hinein. Dann
holte es einen Lappen herbei, kletterte auf einen Stuhl hinauf und rieb
so lange mit seinem Lappen auf dem Tische herum, bis dieser ganz
blank war. Wenn dann der Großvater wieder hereinkam, schaute er
wohlgefällig um sich und sagte etwa: »Bei uns ist's jetzt immer wie
Sonntag, das Heidi ist nicht vergebens in der Fremde gewesen.«
Auch heute hatte Heidi, nachdem der Peter fortgetrabt war und es mit
dem Großvater gefrühstückt hatte, sich gleich an seine Geschäfte
gemacht, aber es wurde fast nicht fertig damit. Draußen war es heut
morgen gar so schön, und alle Augenblicke geschah wieder etwas, was
das Kind in seiner Tätigkeit unterbrach. Jetzt kam durch das offene
Fenster ein Sonnenstrahl so lustig hereingeschossen, und es war
geradezu, als riefe er: »Komm heraus, Heidi, komm heraus!« Da
konnte es nicht mehr drinnen bleiben, es rannte hinaus. Da lag der
funkelnde Sonnenschein um die ganze Hütte herum, und auf allen
Bergen glänzte er und weit, weit das Tal hinunter, und der Boden dort
am Abhang sah so goldig und trocken aus, es mußte ein wenig darauf
niedersetzen und umherschauen. Dann kam ihm auf einmal in den Sinn,
daß das Dreibeinstühlchen noch mitten in der Hütte stand und der Tisch
noch nicht geputzt war vom Morgenessen. Nun sprang es schnell auf
und lief in die Hütte zurück. Aber es währte gar nicht lange, so sauste
es draußen so mächtig durch die Tannen, daß es dem Heidi in alle
Glieder fuhr, es mußte schon wieder hinaus und ein wenig mithüpfen,
wenn alle Zweige da droben hin und her wogten und rollten. Der
Großvater hatte einstweilen hinten im Schopf allerlei Arbeit zu
verrichten; er trat von Zeit zu Zeit unter die Tür hinaus und schaute
lächelnd Heidis Sprüngen zu. Eben war er wieder zurückgetreten, als
mit einemmal das Heidi laut aufschrie:
»Großvater, Großvater! Komm, komm!«

Er trat rasch wieder heraus, fast erschrocken, was mit dem Kinde sei.
Da sah er, wie dieses dem Abhange zulief, laut schreiend: »Sie
kommen, sie kommen! Und voran der Herr Doktor!«
Das Heidi stürzte seinem alten Freunde entgegen. Dieser streckte
grüßend die Hand aus. Wie das Kind ihn erreicht hatte, umfaßte es
zärtlich den ausgestreckten Arm und rief in voller Herzensfreude:
»Guten Tag, Herr Doktor! Und ich danke auch noch vieltausendmal!«
»Grüß Gott, Heidi! Und wofür dankst
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