Hansi | Page 5

Ida Frohnmeyer
armen Menschen worden
gleich. O Jesulein süß! O Jesulein mild!«
Die blonde Elise lehnte unter der Türe. In ihre guten Augen, die schon
so mütterlich schauen konnten, traten heiße Tränen, die langsam über
ihr Gesicht rollten. Sie achtete es nicht. Hier in dem kleinen

Dachkämmerchen, als sie das Kind so einsam sitzen sah, war plötzlich
eine große Freude in ihr aufgewacht... Der brauchte sie und ihre Liebe!
Der war ja auch ganz allein. Es tat ihm gewiß not, daß ihn jemand mit
großer, warmer Liebe umfasse. Ach, und sie war ja froh, wenn sie
Liebe schenken durfte ...
»Hansi,« sagte Elise, »komm, Bubele, wir haben dich gesucht, weil
man zur Bescherung geht. Du kannst jetzt nicht dableiben, aber dein
schönes Bäumle zünden wir morgen wieder an, gelt?«
»Nicht wahr, es ist wunderschön?« Hansi kletterte von seiner Kiste
herunter. Dann faßte er mit seinem kalten Händchen die braune,
warme Hand des Mädchens, und als er in ihr gutes Gesicht schaute,
kam auch über ihn eine große, helle Freude.
[Illustration]

[Illustration]
Die alte Bodenkammer
Wohl jeder trägt in sich verborgen die Erinnerung an einen Ort, über
dem der Stern der Kindheit mit besonders hellem Glanze leuchtet.
Vielleicht ist es ein Garten, ein weltfremder, drin prunkende
Pfingstrosen und hohe Malvenstauden stehen; oder ein trauliches
Zimmerchen mit herabgelassenen Vorhängen, und man sieht sich selbst
klein und schmal an Mutters Knie lehnen und ihren Geschichten
lauschen. Wieder zaubert die Erinnerung schneeige Berge, leuchtende
Seen oder auch einen alten Hof, eine Scheuer -- eine Bodenkammer.
Sie lag nicht in unserm Haus. Bei uns war alles hell und neu und
sauber, sogar auf dem Boden. Aber im Nachbarhaus, schräg über der
Straße, war eine richtige alte Bodenkammer, durch deren halbblindes
Fenster das Licht nur spärlich eindringen konnte. Gegen Abend wurde
es daher düster und schön gruselig. Man hockte so nahe wie möglich
zusammen auf der riesigen alten Kiste und erzählte sich

Geistergeschichten, bis einem vor Angst beinahe die Stimme versagte.
Ich hatte an unserer Köchin eine sehr ergiebige Quelle und wußte u. a.
von »den Mädchen, die noch Erbsen einlegen wollten« und von dem
fürchterlichen Telegramm »Habe acht auf den Sarg« zu erzählen.
Anni, die Älteste unserer kleinen Schar, behandelte Hauffs
»Gespensterschiff«. Wir kannten ja die Geschichte längst auswendig,
aber Anni sorgte für Variationen, so daß wir immer neuen Grund zum
Kreischen fanden.
Die andern zwei erzählten nie. Dem dicken Gretchen fiel nichts ein und
das kleine Elschen zählte noch gar nicht recht mit. Sie mußte sich
überhaupt geschmeichelt fühlen, daß wir großen acht- und
neunjährigen Mädels sie mittun ließen. Wenn man erst fünf Jahre alt ist
und noch nicht einmal lesen kann!
Sie, Klein-Elschen, war übrigens manchmal recht angenehm. Wenn
man statt der Puppen gerne ein lebendiges Kindchen gehabt hätte, ließ
sie sich geduldig in einen großen Schal wickeln und herumschleppen.
Ja, sie nahm sogar mit sichtlichem Vergnügen den Schnuller in den
Mund, den wir dem richtigen Baby entwendet hatten. Mit unserer
Moral war es überhaupt etwas lax bestellt. Wurde in unserm Haushalt
irgend ein Mangel entdeckt, so unternahm das für die Sache am
meisten Befähigte einen Beutezug nach unten, wir nannten es einen
Ausgang in die Stadt.
[Illustration]
Die Bodenkammer war sehr geräumig. Wir hatten uns in einer Ecke ein
ganz behagliches Wohnzimmerchen eingerichtet, dessen Hauptstolz ein
dreibeiniges Sofa -- an Stelle des vierten Beines stand eine Kiste -- und
eine wacklige Kinderbettlade bildete. Wir waren auch im Besitz einer
Truhe, deren Deckel so schwer war, daß wir ihn nur mit Lebensgefahr
aufheben konnten. Lange war es uns überhaupt nicht gelungen, und wir
hatten uns schon darein ergeben, nie etwas von den darin verborgenen
Schätzen zu Gesicht zu bekommen. Aber einmal packte uns die
Neugierde so mächtig, daß sie uns wahre Riesenkräfte zu verleihen
schien; unter Stöhnen und Ächzen gelang es uns, den Deckel

zurückzuschlagen. Eine dicke Staubdecke war das erste, was sich den
vier neugierig gesenkten Kinderköpfen darbot. Sie lag über einer
Menge Bücher und vergilbter Blätter und hatte sich auf einem
rundlichen, mit einem Tuch bedeckten Gegenstand, der in der untersten
Tiefe sichtbar ward, angesammelt. Was stak wohl unter dem Tuch?
»Ein Ball!« riet das kleine Elschen. »Ein Goldklumpen!« meinte
Gretchen mit bedächtiger Stimme.
»Wir wollen es herausholen,« schlug Anni vor. »Steig' du hinein, Mixi,
du bist die Dünnste.«
Dagegen ließ sich nichts einwenden. Ich hockte zwischen den staubigen
Büchern nieder und fing an, das runde Ding aus seiner Umhüllung zu
schälen. Ich versuchte dabei mit Kopf und Schultern den andern die
Aussicht zu verdecken. Mußte ich in die staubige Kiste kriechen, so
wollte ich wenigstens die Entdeckerfreude erst allein genießen.
[Illustration]
Die letzte Hülle fiel und -- -- ein Totenschädel grinste mich an aus
leeren Augenhöhlen ... in dem Oberkiefer staken noch ein paar
gelbliche Zähne.
Ein eisiges Grauen packte mich, aber ich ließ den Schädel nicht fallen.
Langsam, wie von einer unsichtbaren Hand
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