Hansi | Page 3

Ida Frohnmeyer
mit und frohe, blanke Augen, in denen
sich viel Liebes gespiegelt hatte. Das war deutlich zu sehen. Und
ebenso deutlich war zu sehen, wie die Augen allmählich den frohen
Glanz verloren und wieder den alten suchenden, verträumten Ausdruck
gewannen.
Und doch war eigentlich niemand unfreundlich mit dem Kleinen. Nur ...
es hatte niemand Zeit für ihn. Das war es. Die Hausmutter und die
Mägde hatten alle Hände voll mit dem großen Haushalt. Der
Hausvater und die Lehrer beschäftigten sich wohl auch außer den
Stunden mit den Buben, aber Hansi war meist zu klein, um bei den
verschiedenen Unternehmungen mittun zu können. Nur der Singlehrer
gab sich hie und da mit ihm ab. Der hatte ihn einmal ein Lied, das ihn
seine Ayah gelehrt, singen hören, und seither durfte Hansi in der
Singstunde der Kleinen mitsingen. Ja, und manchmal durfte er auch
noch nach der Stunde eine Weile bei dem freundlichen Herrn bleiben,

der ihm auf dem Klavier allerlei vorspielte.
Gleich nach Vater und Mutter und den Blumen liebte Hansi die Musik.
Aber es mußte schöne sein. Die Übungsstücke der Buben waren ihm
zuwider. Auch der Lehrer spielte nicht immer schön nach Hansis
Meinung. »Schön« waren nur die feinen, zarten Töne, die einen wie
liebe Hände streichelten. -- --
Der Herbst brachte eine große Freude für Hansi. Bei Vater und Mutter
war ein Kindchen angekommen, ein kleines Schwesterlein, das mit
ebenso erstaunten Blauaugen in die Welt gucke, wie es Hansi getan.
Als das kleine Ding ein paar Wochen alt war, wurde es photographiert,
und Hansi erhielt ein Bildchen.
Er betrachtete es mit strahlenden Augen, dann lief er zur Hausmutter.
»Nicht wahr, Tante, einmal hat der liebe Gott gedacht: Nun will ich
mal ein süßes, kleines Mädchen machen, und da hat er Käthe
gemacht.«
[Illustration]
»Ja, ja, das wird wohl so sein,« lächelte die Tante. Dabei setzte sie den
großen Wäschekorb, den sie eben auf den Boden tragen wollte, wieder
ab, um Hansi einen Kuß zu geben.
Hansi trug das Bildchen immer bei sich in der Tasche seiner
Matrosenbluse. Wenn er sich sehr klein und verlassen vorkam, zog er
es hervor und setzte sich damit in die Nähe der Gärtchen, um den
Blumen von der kleinen Schwester zu erzählen. Sie verstanden ihn sehr
gut, besonders die Dahlien, die mit ihren dicken Köpfen so vergnügt
und wohlgenährt dreinsahen. Sie erinnerten Hansi immer an einen
Buben des Hauses, der rote Pausbacken hatte und immer zufrieden war.
Die Blumen waren überhaupt wie die Menschen. Sie hatten ihre
eigenen Gesichter und ihr eigenes Wesen. Die Stiefmütterchen waren
wie liebe, freundliche Kinderchen, aber die Rosen trugen sich stolz und
hatten wundervolle Seidenkleider, daß man sie gar nicht anzufassen
wagte. Noch schlimmer waren die Lilien, die so steif und gerade
standen, nie sich hin und her wiegten und flüsterten wie die bunten

Nelken. Doch die Liebste von allen war die Sonnenblume. Sie war die
Mutter aller Blumen. Es konnte nicht anders sein. Sie glich ganz und
gar einer freundlichen, liebespendenden Mutter.
[Illustration]
Aber nun waren die Sonnenblumenmutter und alle ihre Sommerkinder
verblüht. In den Gärten standen außer Dahlien nur noch
Chrysanthemen. Der große Ernst hatte sein ganzes Stückchen Land
damit bepflanzt. Da waren violette und bronzefarbene, blaßgelbe und
weiße. Hansi liebte die weißen am meisten, denn sie sahen drein wie
Sterne, und er mußte bei ihrem Anblick immer an den Stern von
Bethlehem, an Weihnachten denken.
[Illustration]
Und Hansi freute sich auf Weihnachten! Ganz weh tat ihm oft das Herz,
weil es so voller Freude und Erwartung war. Zwar war es traurig, daß
auch die bunten Herbstblumen verblühen mußten, und daß der weiße
Schnee, der so naß und kalt war, alles zudeckte. Hansi konnte nicht
verstehen, daß er die Blumen warm halte, wenn es ihm die andern auch
noch so oft vorsagten. Nein, die Blumen waren alle tot und konnten
sich nie mehr durch den dicken Schnee hinausfinden.
Das war furchtbar traurig. Aber Hansi wollte nicht daran, sondern an
das wunderschöne Christfest denken. Er lernte viele Weihnachtslieder.
Ja, der Lehrer ließ ihn ganz allein ein altes Lied singen, das fing an:
»O Jesulein süß, o Jesulein mild.« Es waren ein paar Worte drin, die
Hansi nicht verstand. Aber das schadete nichts. Die Melodie war süß
und zart, gerade wie ein Lied sein muß, das man dem Jesuskindlein in
der Krippe singen darf.
Hansi sang es oft. Wenn er allein in dem großen Kinderzimmer saß und
mit dem alten Baukasten spielte, baute er einen wunderschönen Stall
mit vielen Türmchen und Erkern. Dann legte er den blonden Kopf auf
die Tischplatte, um durch das winzige Fensterchen in das dämmrige
Innere zu sehen. Dazu sang er mit lieber, feiner Stimme, und seine
Augen gewannen dabei einen Ausdruck, als wachse das winzige

Ställchen zu einem großen, als stehe die Tür weit offen und das
Hänschen wandere hinein in den seligen Glanz, der von dem Kindlein
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