Hansi | Page 2

Ida Frohnmeyer
Hansi aber gehörte noch zu
den »Nullten«. So nannte man die Bürschchen unter sechs Jahren, die
noch nicht zur Schule gingen. Manchmal waren deren zwei, drei, oder
noch mehr beisammen, aber als Hansi ins Haus gekommen, waren
eben alle Nullten stolze »Erstklässler« geworden, und Hansi war die

einzige kleine Null. Das war dem guten Mutterchen gar hart erschienen.
Sie hatte wohl vorausgesehen, wie verloren die kleine Null in dem
großen Hause herumwandern werde. Den ganzen Vormittag hindurch
waren Lektionen; für Hansi war niemand da, und so ging er mit seinen
kleinen, immer noch ein bißchen trippelnden Schritten treppauf,
treppab. Oft blieb er vor einem Klassenzimmer stehen und hörte ein
Weilchen zu. Es freute ihn, wenn er die verschiedenen Stimmen
unterscheiden konnte. »Das ist Gerhard und das Karl und das Fritz.«
Er konnte sich beinahe einbilden, mit im Klassenzimmer zu sein wie ein
richtiger großer Junge. Ach, wenn doch das Frühjahr bald kommen
wollte!
Aber vorerst war es Juni. Im Juli und August waren lange Ferien, das
wußte Hansi. Alle Jungen sprachen von diesen Ferien. Jeder war
irgendwohin eingeladen, zu Verwandten oder guten Freunden, und
jeder hatte etwas Schönes von den kommenden Wochen zu erzählen.
Nur Hansi nicht. Er wußte nicht, daß ihn eine Tante längst eingeladen,
und niemand dachte daran, ihm etwas davon mitzuteilen. Da überkam
ihn nach und nach eine große Traurigkeit. »Alle werden sie fortgehen,
dann bin ich ganz allein,« dachte das Hänschen, und in Gedanken
durchwanderte er das große Haus und horchte vergeblich an den
totenstillen Klassenzimmern. Mit einem Mal hatte er die vielen wilden
Buben lieb. Er konnte es ihnen nicht sagen, er schaute sie nur an mit
bittenden Augen, die so deutlich sagten: »Geh nicht fort! Weißt du denn
nicht, daß ich dann ganz allein bin?«
Aber frische, lebenslustige Buben verstehen eine leise Augensprache
schlecht. Hansi mußte deutlicher reden, und das tat er auch eines
Tages. Der Größte der ganzen Schar, der schon beinahe wie ein Herr
dreinsah, hatte Hansi erlaubt, sein Gärtchen zu begießen. Eifrig
trippelte der Kleine hin und her. Das Wasser lief aus der Kanne nicht
nur auf die Blumen hinab, sondern auch auf Hansis Schürze und
Schuhe. Ängstlich beschaute er den Schaden aber der Große wußte
Rat.
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»Komm, die Schürze hängen wir an die Mauer, da scheint noch Sonne
hin. Die trocknet bald.«
Er tätschelte bei diesen Worten Hansis Haarschopf -- das tat wohl bis
tief ins kleine Herz hinein. Hansi faßte plötzlich Mut.
»Du, Ernst, kann ich nicht mit dir in die Ferien gehen? Weißt du, ich
muß sonst allein dableiben.«
Noch ehe Ernst antworten konnte, erklang ein unbändiges Gelächter.
Hinter den beiden stand Hansis schlimmster Quälgeist, ein lang
aufgeschossener Junge mit schlenkrigen Gliedern. »Nun meint das
Kindle, es bleibe allein zu Hause! Ha, ha, das ist ja rein zum Totlachen!
Aber halt!« -- der lustige Ton schlug plötzlich in einen ernsthaften um
-- »du hast ganz recht. Du mußt freilich allein dableiben. Ganz allein ...
Die Hauseltern gehen weg, und die Mägde gehen weg, und die Lehrer
gehen weg, und natürlich alle Buben -- nur du allein mußt dableiben
und das Haus hüten.«
Hansi starrte den Sprechenden an mit weit aufgerissenen, entsetzten
Augen, und nun geschah etwas völlig Unerwartetes. Er schrie auf, so
jammervoll, daß es sogar dem dummen Buben ins Herz drang, und
dann stürzte er, immer den gleichen schmerzlichen Schrei ausstoßend,
aufs Haus zu.
[Illustration]
»Du Esel!« knurrte der große Ernst und gab dem Quälgeist einen
Rippenstoß. Dann rannte er in großen Sprüngen dem kleinen
Kameraden nach. Drinnen im Haus fand er ihn. Die Hausmutter, eine
rüstige Frau, mit einem freundlichen, tüchtigen[TN1] Gesicht, hielt
Hansi auf dem Schoß und strich ihm beruhigend über die tränennassen
Bäckchen.
»Nun weine nur nicht mehr! Hat es denn gar so weh getan? Wo bist du
denn gefallen? Komm, jetzt machen wir: Heile, heile Segen! Drei Tag'
Regen, drei Tag' Schnee -- tut dem Kindchen nimmer weh!«

In ihrer Stimme lag etwas so Beruhigendes, daß Hansis wildes
Schluchzen allmählich verstummte. Da stellte ihn die Frau wieder auf
die Erde, putzte ihm das Näschen und ging eilig, um in der Küche ihre
Befehle für das Abendbrot zu geben.
Der große Ernst stand etwas verlegen neben dem kleinen Kameraden.
»Hansi,« sagte er, »nun paß einmal auf: du mußt nicht allein dableiben.
Du bist auch eingeladen, zu deiner Tante in den Schwarzwald. Dort
ist's schön, freu' dich nur! Auf Karl brauchst du nicht zu hören, der
schwatzt nur dummes Zeug.«
Hansi sagte nur das eine Wörtchen »O«, aber seine Augen sahen dabei
so glücklich und dankbar drein, daß es dem großen Ernst ganz
merkwürdig warm ums Herz wurde. Zärtlichkeiten waren unter den
Jungen verpönt. Aber nun konnte er nicht anders: er bückte sich und
küßte das strahlende Gesichtchen vorsichtig und rasch.
[Illustration]
[Illustration]
Ende August rückte Hansi wieder in die Anstalt ein. Er brachte ein
sonnenverbranntes Gesichtchen
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