Hamburgische Dramaturgie | Page 3

Gotthold Ephraim Lessing
Liebe Gelegenheit gibt, sich in aller ihrer Kraft zu zeigen. Aber die Religion, welche bei dem Tasso nur das Mittel ist, wodurch er die Liebe so wirksam zeiget, ist in Cronegks Bearbeitung das Hauptwerk geworden. Er wollte den Triumph dieser in den Triumph jener veredeln. Gewi?, eine fromme Verbesserung--weiter aber auch nichts, als fromm! Denn sie hat ihn verleitet, was bei dem Tasso so simpel und natürlich, so wahr und menschlich ist, so verwickelt und romanenhaft, so wunderbar und himmlisch zu machen, da? nichts darüber!
Beim Tasso ist es ein Zauberer, ein Kerl, der weder Christ noch Mahomedaner ist, sondern sich aus beiden Religionen einen eigenen Aberglauben zusammengesponnen hat, welcher dem Aladin den Rat gibt, das wundert?tige Marienbild aus dem Tempel in die Moschee zu bringen. Warum machte Cronegk aus diesem Zauberer einen mahomedanischen Priester? Wenn dieser Priester in seiner Religion nicht ebenso unwissend war, als es der Dichter zu sein scheinet, so konnte er einen solchen Rat unm?glich geben. Sie duldet durchaus keine Bilder in ihren Moscheen. Cronegk verr?t sich in mehrern Stücken, da? ihm eine sehr unrichtige Vorstellung von dem mahomedanischen Glauben beigewohnet. Der gr?bste Fehler aber ist, da? er eine Religion überall des Polytheismus schuldig macht, die fast mehr als jede andere auf die Einheit Gottes dringet. Die Moschee hei?t ihm "ein Sitz der falschen G?tter", und den Priester selbst l??t er ausrufen:
"So wollt ihr euch noch nicht mit Rach' und Strafe rüsten, Ihr G?tter? Blitzt, vertilgt das freche Volk der Christen!"
Der sorgsame Schauspieler hat in seiner Tracht das Kostüm, vom Scheitel bis zur Zehe, genau zu beobachten gesucht; und er mu? solche Ungereimtheiten sagen!
Beim Tasso k?mmt das Marienbild aus der Moschee weg, ohne da? man eigentlich wei?, ob es von Menschenh?nden entwendet worden, oder ob eine h?here Macht dabei im Spiele gewesen. Cronegk macht den Olint zum T?ter. Zwar verwandelt er das Marienbild in "ein Bild des Herrn am Kreuz"; aber Bild ist Bild, und dieser armselige Aberglaube gibt dem Olint eine sehr ver?chtliche Seite. Man kann ihm unm?glich wieder gut werden, da? er es wagen k?nnen, durch eine so kleine Tat sein Volk an den Rand des Verderbens zu stellen. Wenn er sich hernach freiwillig dazu bekennet: so ist es nichts mehr als Schuldigkeit, und keine Gro?mut. Beim Tasso l??t ihn blo? die Liebe diesen Schritt tun; er will Sophronien retten, oder mit ihr sterben; mit ihr sterben, blo? um mit ihr zu sterben; kann er mit ihr nicht ein Bette besteigen, so sei es ein Scheiterhaufen; an ihrer Seite, an den n?mlichen Pfahl gebunden, bestimmt, von dem n?mlichen Feuer verzehret zu werden, empfindet er blo? das Glück einer so sü?en Nachbarschaft, denket an nichts, was er jenseit dem Grabe zu hoffen habe, und wünschet nichts, als da? diese Nachbarschaft noch enger und vertrauter sein m?ge, da? er Brust gegen Brust drücken und auf ihren Lippen seinen Geist verhauchen dürfe.
Dieser vortreffliche Kontrast zwischen einer lieben, ruhigen, ganz geistigen Schw?rmerin und einem hitzigen, begierigen Jünglinge ist beim Cronegk v?llig verloren. Sie sind beide von der k?ltesten Einf?rmigkeit; beide haben nichts als das M?rtertum im Kopfe; und nicht genug, da? er, da? sie für die Religion sterben wollen; auch Evander wollte, auch Serena h?tte nicht übel Lust dazu.
Ich will hier eine doppelte Anmerkung machen, welche, wohl behalten, einen angehenden tragischen Dichter vor gro?en Fehltritten bewahren kann. Die eine betrifft das Trauerspiel überhaupt. Wenn heldenmütige Gesinnungen Bewunderung erregen sollen: so mu? der Dichter nicht zu verschwenderisch damit umgehen; denn was man ?fters, was man an mehrern sieht, h?ret man auf zu bewundern. Hierwider hatte sich Cronegk schon in seinem "Kodrus" sehr versündiget. Die Liebe des Vaterlandes, bis zum freiwilligen Tode für dasselbe, h?tte den Kodrus allein auszeichnen sollen: er h?tte als ein einzelnes Wesen einer ganz besondern Art dastehen müssen, um den Eindruck zu machen, welchen der Dichter mit ihm im Sinne hatte. Aber Elesinde und Philaide, und Medon, und wer nicht? sind alle gleich bereit, ihr Leben dem Vaterlande aufzuopfern; unsere Bewunderung wird geteilt, und Kodrus verlieret sich unter der Menge. So auch hier. Was in "Olint und Sophronia" Christ ist, das alles h?lt gemartert werden und sterben für ein Glas Wasser trinken. Wir h?ren diese frommen Bravaden so oft, aus so verschiedenem Munde, da? sie alle Wirkung verlieren.
Die zweite Anmerkung betrifft das christliche Trauerspiel insbesondere. Die Helden desselben sind mehrenteils M?rtyrer. Nun leben wir zu einer Zeit, in welcher die Stimme der gesunden Vernunft zu laut erschallet, als da? jeder Rasender, der sich mutwillig, ohne alle Not, mit Verachtung aller seiner bürgerlichen Obliegenheiten in den Tod stürzet, den Titel eines M?rtyrers sich anma?en dürfte. Wir wissen itzt zu wohl die falschen M?rtyrer von den wahren zu unterscheiden; wir verachten jene ebensosehr, als wir diese verehren, und h?chstens k?nnen sie uns eine melancholische Tr?ne über die Blindheit und den Unsinn auspressen, deren wir die Menschheit überhaupt in ihnen
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