gewachsen. Der Langsamste, der sein Ziel nur nicht aus den Augen verlieret, geht noch immer geschwinder, als der ohne Ziel herumirret.
Diese Dramaturgie soll ein kritisches Register von allen aufzuführenden Stücken halten und jeden Schritt begleiten, den die Kunst, sowohl des Dichters, als des Schauspielers, hier tun wird. Die Wahl der Stücke ist keine Kleinigkeit: aber Wahl setzt Menge voraus; und wenn nicht immer Meisterstücke aufgeführet werden sollten, so sieht man wohl, woran die Schuld liegt. Indes ist es gut, wenn das Mittelm??ige für nichts mehr ausgegeben wird, als es ist; und der unbefriedigte Zuschauer wenigstens daran urteilen lernt. Einem Menschen von gesundem Verstande, wenn man ihm Geschmack beibringen will, braucht man es nur auseinanderzusetzen, warum ihm etwas nicht gefallen hat. Gewisse mittelm??ige Stücke müssen auch schon darum beibehalten werden, weil sie gewisse vorzügliche Rollen haben, in welchen der oder jener Akteur seine ganze St?rke zeigen kann. So verwirft man nicht gleich eine musikalische Komposition, weil der Text dazu elend ist.
Die gr??te Feinheit eines dramatischen Richters zeiget sich darin, wenn er in jedem Falle des Vergnügens und Mi?vergnügens unfehlbar zu unterscheiden wei?, was und wieviel davon auf die Rechnung des Dichters, oder des Schauspielers, zu setzen sei. Den einen um etwas tadeln, was der andere versehen hat, hei?t beide verderben. Jenem wird der Mut benommen, und dieser wird sicher gemacht.
Besonders darf es der Schauspieler verlangen, da? man hierin die gr??te Strenge und Unparteilichkeit beobachte. Die Rechtfertigung des Dichters kann jederzeit angetreten werden; sein Werk bleibt da und kann uns immer wieder vor die Augen gelegt werden. Aber die Kunst des Schauspielers ist in ihren Werken transitorisch. Sein Gutes und Schlimmes rauschet gleich schnell vorbei; und nicht selten ist die heutige Laune des Zuschauers mehr Ursache, als er selbst, warum das eine oder das andere einen lebhafteren Eindruck auf jenen gemacht hat.
Eine sch?ne Figur, eine bezaubernde Miene, ein sprechendes Auge, ein reizender Tritt, ein lieblicher Ton, eine melodische Stimme: sind Dinge, die sich nicht wohl mit Worten ausdrücken lassen. Doch sind es auch weder die einzigen noch gr??ten Vollkommenheiten des Schauspielers. Sch?tzbare Gaben der Natur, zu seinem Berufe sehr n?tig, aber noch lange nicht seinen Beruf erfüllend! Er mu? überall mit dem Dichter denken; er mu? da, wo dem Dichter etwas Menschliches widerfahren ist, für ihn denken.
Man hat allen Grund, h?ufige Beispiele hiervon sich von unsern Schauspielern zu versprechen.--Doch ich will die Erwartung des Publikums nicht h?her stimmen. Beide schaden sich selbst: der zu viel verspricht, und der zu viel erwartet.
Heute geschieht die Er?ffnung der Bühne. Sie wird viel entscheiden; sie mu? aber nicht alles entscheiden sollen. In den ersten Tagen werden sich die Urteile ziemlich durchkreuzen. Es würde Mühe kosten, ein ruhiges Geh?r zu erlangen.--Das erste Blatt dieser Schrift soll daher nicht eher als mit dem Anfange des künftigen Monats erscheinen.
Hamburg, den 22. April 1767.
----Fu?note
[1] "Werke", dritter Teil, S. 252."
----Fu?note
Erster Band
Erstes Stück Den 1. Mai 1767
Das Theater ist den 22. vorigen Monats mit dem Trauerspiele: "Olint und Sophronia" glücklich er?ffnet worden. Ohne Zweifel wollte man gern mit einem deutschen Originale anfangen, welches hier noch den Reiz der Neuheit habe. Der innere Wert dieses Stückes konnte auf eine solche Ehre keinen Anspruch machen. Die Wahl w?re zu tadeln, wenn sich zeigen lie?e, da? man eine viel bessere h?tte treffen k?nnen.
"Olint und Sophronia" ist das Werk eines jungen Dichters, und sein unvollendet hinterlassenes Werk. Cronegk starb allerdings für unsere Bühne zu früh; aber eigentlich gründet sich sein Ruhm mehr auf das was er, nach dem Urteile seiner Freunde, für dieselbe noch h?tte leisten k?nnen, als was er wirklich geleistet hat. Und welcher dramatische Dichter, aus allen Zeiten und Nationen, h?tte in seinem sechsundzwanzigsten Jahre sterben k?nnen, ohne die Kritik über seine wahren Talente nicht ebenso zweifelhaft zu lassen?
Der Stoff ist die bekannte Episode beim Tasso. Eine kleine rührende Erz?hlung in ein rührendes Drama umzuschaffen, ist so leicht nicht. Zwar kostet es wenig Mühe, neue Verwickelungen zu erdenken und einzelne Empfindungen in Szenen auszudehnen. Aber zu verhüten wissen, da? diese neue Verwickelungen weder das Interesse schw?chen, noch der Wahrscheinlichkeit Eintrag tun; sich aus dem Gesichtspunkte des Erz?hlers in den wahren Standort einer jeden Person versetzen k?nnen; die Leidenschaften nicht beschreiben, sondern vor den Augen des Zuschauers entstehen und ohne Sprung in einer so illusorischen Stetigkeit wachsen zu lassen, da? dieser sympathisieren mu?, er mag wollen oder nicht: das ist es, was dazu n?tig ist; was das Genie, ohne es zu wissen, ohne es sich langweilig zu erkl?ren, tut, und was der blo? witzige Kopf nachzumachen, vergebens sich martert.
Tasso scheinet in seinem Olint und Sophronia den Virgil in seinem Nisus und Euryalus vor Augen gehabt zu haben. So wie Virgil in diesen die St?rke der Freundschaft geschildert hatte, wollte Tasso in jenen die St?rke der Liebe schildern. Dort war es heldenmütiger Diensteifer, der die Probe der Freundschaft veranla?te: hier ist es die Religion, welche der
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