besitzen goldene Schlüssel, lieber
Graf. Sie öffnen, ich glaube es, die verschlossensten Herzen. Hoffen
wir also--"
"Ich danke Ihnen, Frau Gräfin, und ich bitte, entwerfen Sie mir ein Bild
von ihrer Tochter. Ich möchte es mit demjenigen vergleichen, das sich
in mir gebildet hat, ich möchte mich berichtigen, sofern es nötig. Ich
werde leichter den Kampf aufnehmen, wenn ich weiß, mit welchem
Gegner ich zu thun habe."
Die Gräfin nickte, beugte sich ein wenig vor und sagte stark betonend:
"Sie ist ein besonderer Mensch. Sie ist absolut wahr, besitzt sehr viel
Charakter, ein trotziges Unabhängigkeitsgefühl und eine seltene
Objektivität. Jedem Adligen begegnet sie mit Mißtrauen, obschon sie
stolzer ist als irgend ein Lavard und ein Verdeuil, die je lebten. Wo sie
einmal liebt, besitzt sie die Treue eines Kindes und die
Opferfreudigkeit eines Engels."
"Also ist sie wirklich das, was ich vermutete--" stieß Graf Axel erfreut
heraus.
"Ich danke Ihnen, Frau Gräfin. Wahrlich, also ein Kleinod, nicht nur
schöner als fast irgend ein Weib, sondern innerlich von edelster Art, ein
nur der Glätte bedürfender Diamant--"
"Sie finden Imgjor so schön?" fiel die Gräfin ein.
"Ja, gnädige Gräfin! Ich sah nie etwas gleiches, weder auf Bildern,
noch im Leben, und ich glaube auch, einem schöneren weiblichen
Wesen kaum je wieder begegnen zu können--"
"Dann müssen Sie Lucile kennen lernen! Nun, sie kommt ja nächstens.
Da können Sie sich entscheiden!"
Axel machte eine Verneigung, dann sagte er:
"Können, wollen Sie mir also--ich bitte, noch einmal auf Komtesse
Imgjor zurückkommen zu dürfen--bei meiner Werbung behilflich sein,
Frau Gräfin?"
"Natürlich! Doch auf meine Weise und erst, wenn Sie sich wirklich
entschieden haben. Es muß die Bekanntschaft mit Lucile vorangehen.
Und eins ist gleich zu sagen, da ich Sie bereits als einen
vertrauenswerten Freund betrachte: direkt kann ich Ihnen bei Imgjor
nicht helfen!"
"Darf ich den Grund wissen?"
Der Gräfin Züge veränderten sich durch einen Ausdruck von düsterem
Ernst. Dann sprach sie in einem sanft gekränkten Ton:
"Mich--mich--meidet sie eher, denn daß sie mich sucht--"
"Wie, Frau Gräfin? Imgjor--Sie--Ich bitte--erklären Sie--?"
Aber was er noch sagen und was sie ihm vielleicht erwidern wollte,
wurde nicht gesprochen, weil sich gerade der Graf näherte und ihnen
schon aus der Ferne in dänischer Sprache einige Worte hinüberrief.
"Hesterne staae beredt!" (Die Pferde stehen bereit!)
Und da es sich um einen Reitausflug nach dem Gehölz von Mönkegjor
handelte, verabschiedeten sie sich sehr bald von der Gräfin und nahmen
den Weg vorn vors Schloß, woselbst der Reitknecht mit den beiden
weißen Hengsten ihrer wartete.--
* * * * *
Der Rest der Woche und die Hälfte der folgenden verliefen Graf Axel
sehr rasch, ja, die Tage flogen förmlich dahin. Bald nahm ihn die
Gräfin gefangen, indem sie mit ihm in langen Gesprächen auf
weitausgedehnten Spaziergängen philosophierte oder ihn zu einer
Partie Schach heranzog. Zu anderer Zeit mußte er dem Grafen in seine
mit vielen interessanten Dingen angefüllten Gemächer folgen oder
Wagen und Reitausflüge mit ihm und dem Grafen Knut unternehmen.
Dazwischen lagen die Mahlzeiten mit ihren Leckerbissen, Weinen und
anregenden Gesprächen.
Graf Knut--ein früherer dänischer Reiteroberst--besaß im Dorf, abseits,
ein höchst malerisch belegenes Herrenhaus mit Garten und Park, das er
nebst einem nicht unbedeutenden Kapital von einer verstorbenen Tante
geerbt hatte.
Er führte ein sorgenfreies, äußerst behagliches Leben und gehörte zu
jenen Menschen, die schon durch ihre bloße Anwesenheit eine
angenehme Atmosphäre um sich verbreiten. Er war ein sehr
konzilianter, maßvoll veranlagter Mann, der in allen die Menschheit
beschäftigenden Fragen jederzeit einen vermittelnden Standpunkt
einnahm und zudem stets aufgelegt war, sich an den Abwechslungen,
die ihm dargeboten wurden, zu beteiligen.
Nicht nur das zu der ungeheuren Herrschaft gehörende Gebiet: die
Vorwerke, die Fischteiche, die Waldungen und die Förstereien wurden
während dieser Woche durchmessen und in Augenschein genommen,
sondern auch das eigentliche Gut mit all' seinen Einzelheiten und das
zu dessen Füßen hingelagerte Kneedeholm.
Dem Prediger, dem Ortsvorsteher und Apotheker, aber auch, aus
Gründen kluger Ueberlegung, dem Doktor Prestö, stattete Axel
Besuche ab, und wenn der Abend kam, wurde geplaudert, musiziert,
etwas vorgelesen oder eine Partie gemacht.
An all' diesem nahm Imgjor garnicht teil oder sie gab nur die Zuhörerin
ab. Entweder hielt sie sich für sich auf ihrem Zimmer auf oder sie
durchschweifte, allein oder von einem Reitknecht gefolgt, zu Pferde die
Umgegend. Auch machte sie viele Spaziergänge ins Dorf, besuchte hier
die Bauern und fühlte sich unter ihnen offenbar am glücklichsten.
Und daß sie sich so absonderte, ward von ihrer Umgebung als so
selbstverständlich angesehen, daß sie auch jetzt bei des Grafen
Anwesenheit zu einer Aenderung ihres Verhaltens garnicht angefordert
wurde.
Der Graf schien auf demselben Standpunkt wie seine Gemahlin zu
stehen.
Eine Annäherung zwischen ihr und Axel mußte sich nach und nach
ergeben. Jeder Zwang war von Uebel.
Am Freitag der folgenden Woche traf endlich Lucile ein.
Alle fuhren ihr in einem mit zwei schwarzen und zwei weißen Rennern
bespannten, offenen
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