Verhalten bei Tisch. Sie hörte zwar auch ferner dem zu,
was ihr der Doktor vortrug, aber ihre Gedanken waren offenbar nur
halb oder gar nicht bei der Sache. Sie sann sichtlich über einen
Racheakt nach und mußte doch ihren heißen Drang bezähmen, weil sie
Axel auf diese höfliche Abfertigung nicht beizukommen vermochte.
Aber nicht ein einziges Mal richtete sie das Antlitz ihm zu, und ebenso
verharrte der Doktor in einer feindselig stummen Abwehr. Axel wußte
sich auch in der Folge lediglich den übrigen zuzuwenden, blieb bis zum
Tafelschluß in einer lebhaften Konversation mit jenen und entging
dadurch der Pflicht, Höflichkeitsakte gegen Imgjor zu üben, und irgend
welche Notiz von seinem Gegenüber zu nehmen.
Nach Tisch empfahl sich der Doktor, indem er Krankenbesuche
vorschützte, und auch Imgjor verschwand. Erst beim Thee, den sie zu
bereiten hatte, erschien sie wieder.
Sie hatte aus irgend einer Laune nunmehr wieder ein schwarzes Kleid
angelegt und sah in diesem mit ihrem bleichen, kaltstummen Gesicht
wie eine trotzige Büßerin aus.
"Wo warst du, Imgjor?" forschte die Gräfin, die mit den drei Herren
nach Tisch einen Spaziergang im Park unternommen, später eine Partie
Boston gespielt und diese jetzt eben beendigt hatte.
"Ich bin nach Mönkegjor durch den Wald geritten--" gab Imgjor kurz
zurück.
Als sich Axel noch vor dem Schlafengehen und allgemeinen Aufbruch
Imgjor näherte--sie saß mit einem Buch für sich in einer durch eine
Hängelampe erleuchteten Ecke des Kabinetts--und sie fragte, welche
Lektüre sie so sehr beschäftige, entgegnete sie tonlos und ohne seinen
auf das Buch gerichteten Bewegungen zu entsprechen und es ihm zur
Prüfung anzubieten:
"Ich lese Geist in der Natur von Oersted--"
"Und eine so schwere Lektüre fesselt Sie?"
"Mich fesselt alles, was mich über die einseitige Enge des Daseins zu
erheben vermag!"
"Sie betonen Ihre Worte so stark! Haben Sie bereits so unerfreuliche
Erfahrungen gemacht, Komtesse?"
Aber sie gab auf diese Frage keine Antwort. Sie zuckte nur die
Achseln.--Aber deshalb trieb's ihn, die Schranke gewaltsam zu
durchbrechen, die sie trennte.
Sanft sprechend, sagte er:
"Ich würde gern Ihre Freundschaft erringen, Komtesse! Aber Sie
weichen mir schroff aus, Sie gebrauchen sogar Waffen gegen mich. Ich
sinne über die Gründe nach, die Sie so handeln lassen. Giebt's keinen
Weg, der uns zusammenführen könnte?"
Aber was er erhoffte, ward ihm nicht.
Indem sie ihn kalt und unbeugsam anblickte, sagte sie kurz und hart im
Ton:
"Nein, keinen, Graf Dehn!"
Nach diesen Worten benutzte sie einen Anruf von Fräulein Merville,
machte eine kühl entschuldigende Geste, stand auf und entfernte sich
rasch.
Er aber schaute ihr nach, umfing mit seinen Blicken ihre Psychegestalt,
seufzte auf und trat zu den übrigen zurück.
Die Herren waren eben im Nebenzimmer beschäftigt, die Gräfin aber,
die zu einer Handarbeit gegriffen, erhob bei seiner Annäherung den
Kopf und sagte mit liebenswürdiger Milde:
"Ja, leicht ist, lieber Graf, diese Festung nicht zu nehmen. Wären wir
beide in gleichem Alter, wäre es Ihnen bequemer geworden!"
"Ich besitze also Ihr Wohlwollen, verehrteste Frau Gräfin? Darf ich
Ihre Worte so deuten?" stieß Axel heraus.
"Ja, Graf Dehn!" Sie sprachs und streckte ihm gütig die Hand entgegen.
Und Axel ergriff sie und drückte einen festen Kuß auf die weiße,
weiche Fläche, die unter der Berührung seiner Lippen leicht zu beben
schien.
* * * * *
Als Axel am nächsten Vormittage der Gräfin nach dem zweiten
Frühstück im Park Gesellschaft leistete, erklärte er ihr nach einer
vorsichtigen Einleitung, daß Imgjor einen unauslöschlichen Eindruck
auf ihn hervorgerufen habe, daß er aber eine Werbung als gänzlich
aussichtslos ansehen müsse.
Mit größter Offenherzigkeit erzählte er ihr von dem, was ihm begegnet
war, und was er dabei empfunden hatte, auch verschwieg er ihr nicht,
daß er bereits am gestrigen Abend einen Anlauf genommen und dabei
eine Antwort empfangen, der an schroffer Deutlichkeit nichts gefehlt
habe.
Die Gräfin hatte seinem Bericht wohl mit steigendem Interesse, aber
doch ohne Befremden, zugehört.
Nachdem er den letzten Satz gesprochen, sagte sie:
"Ah, das war schade! Das ist übel. Hätten wir uns früher gesprochen!
Ich durfte, ich konnte ja nicht reden, durfte Ihnen keinen Wink geben,
ohne mich eines Mangels an Zartgefühl schuldig zu machen. Nachdem
Sie aber die Initiative ergriffen, mir erklärt haben, daß Sie sich für
Imgjor interessieren, möchte ich Ihnen folgendes sagen:
Sie wäre von selbst gekommen, wenn Sie die Taktik, die Sie gestern
bei Tische beobachteten, fortgesetzt hätten. Man muß sie gar nicht
beachten. Sie kommt schließlich immer, wenn es sich um wertvolle
Menschen handelt. Aber ihr Mißtrauen, daß man sie um ihres Geldes
willen umwirbt, ist so groß, daß sie von vornherein gegen alle jungen
Leute die schroffste Seite hervorkehrt. Erst nach Wochen, vielleicht
nach Monaten, hätten Sie ihr ein warmes Wort sagen müssen, dann
wäre es nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher auf einen fruchtbaren
Boden gefallen."
"Und Sie fürchten, daß ich nun keine Aussichten mehr habe, Frau
Gräfin?"
"Ich traue Ihnen sehr viel zu. Sie
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