ein zu Tage tretendes Bestreben, sich
vordrängen zu wollen, mit einer Geschlossenheit und Sicherheit des
Wesens auftreten, als ob alle Geheim- und Weisheitsbücher der Welt
schon vor ihnen aufschlagen gewesen seien. Ein solcher Mensch war
der Doktor. Er gab sich Axel gegenüber sehr unbiegsam und nichts
weniger als zuvorkommend. Von seinem mit bürgerlichem Hochmut
gepaarten Selbstgefühl wurde Axel in solcher Weise abgestoßen, daß er
es sehr bald ablehnte, seinen Nachbar überhaupt noch zu beachten. Er
redete ihn nicht mehr an und hörte auch nicht mehr zu, wenn jener
sprach. Allerdings kehrte Prestö auch eine ziemlich unpersönliche Art
gegen Imgjor hervor. Er sprach zwar sehr viel mit ihr, aber über
Gegenstände, die sonst nur zwischen Männern erörtert werden. Er
machte ihr in keiner Weise den Hof, legte vielmehr an den Tag, daß ein
Prestö gerade so viel Beachtung in der Welt verdiene und dasselbe
Recht auf Selbstgefühl besitze, wie die Familie Lavard auf Schloß
Rankholm. Und Imgjor hörte ihm zu, als ob ein Evangelium von seinen
Lippen flösse; sie richtete ihre Augen und Gedanken so ausschließlich
auf ihn und wich Axel so geflissentlich aus, daß dieser zuletzt wie ein
Freitischschüler neben ihnen saß.
Allerdings hielt das nicht lange an. Graf Dehn verband mit Geist und
sehr großer Gewandtheit eine starke Initiative, und sie und seine
Menschenkenntnis gaben ihm stets die Mittel an die Hand, sich, wenn
er es wollte, zum Herrn der Situation zu machen. Und so geschah's
auch heute.
Im Nu wußte er an der anderen Seite des Tisches das Gespräch an sich
zu ziehen und entwickelte einen so anziehenden, von den
Beifallsbezeugungen jener begleiteten Redefluß, daß auch Prestö und
Imgjor zum Zuhören gezwungen wurden.
Er erzählte mit packendem Humor von einer Jagd in der Lausitz und
charakterisierte die Personen, die dabei zugegen gewesen, mit solcher
Meisterschaft, daß ihm Graf Lavard und Graf Knut unter lebhaftem
Gelächter und mit sehr beifälligen Mienen zutranken.
Aber Axel benutzte auch diese Gelegenheit, um dem Doktor Prestö
einen Denkzettel zu geben.
Indem er Prestö lediglich einen anderen Namen beilegte, entwarf er ein
so sprechendes Bild von dessen äußeren Erscheinung, seinem Auftreten
und Wesen und führte solche Kolbenschläge gegen dessen
Ueberhebung und Erziehungsmangel, daß die Hausdame, Fräulein
Merville, die offenbar Axels Abneigung gegen Prestö teilte, zunächst
mit einem Ausdruck höchsten Erschreckens, dann aber mit einem
solchen höchster Befriedigung die Lippen verzog.
Nicht weniger schien die Gräfin durch diese Abfertigung angemutet.
Nachdem sie anfangs mit einer Miene des Zweifels, ob die Betreibung
nur zufällig auf Prestö passe oder ob Axel jenen bewußt charakterisiere,
zugehört, erschien in der Folge etwas in ihren Zügen, das Axel nicht
nur über ihre Meinungen bezüglich Prestös belehrte, sondern die auch
sagten, daß sie ihm deshalb durchaus nicht gram sei.
Anders aber Imgjor, in der es sichtlich vor Aufregung kochte.
Ganz abweichend von ihrer bisherigen stummen Gleichgültigkeit gegen
die Vorgänge ihrer Umgebung, brach sie das Schweigen und mischte
sich in das Gespräch, indem sie nicht nur spöttisch Zweifel an der
Wahrscheinlichkeit der von Axel erzählten Vorgänge äußerte, sondern
auch zum offenen Angriff vorging. "Die Personen, die Sie uns
schilderten, Herr Graf, sind, wie ich es garnicht bezweifle, wirklich
lebende Menschen, und Sie erreichen Ihren Zweck, zu beweisen, daß
Sie scharf zu beobachten verstehen. Aber Sie beweisen auch, daß Sie
besser in fremde Spiegel zu schauen vermögen, als in den eigenen.
Letzterer schafft nachsichtige Urteile. Diejenigen, die sich anmaßen,
über andere den Stab zu brechen, vergessen allzu oft bei ihren
Vorträgen, daß sich den Zuhörern eine nicht zu ihrem Vorteil
ausfallende Betrachtung über ihre Einseitigkeit aufdrängt--"
"Sie haben vollkommen recht, gnädigste Komtesse--" entgegnete Axel
auf diese herausfordernde Rede mit vollendeter Höflichkeit. "Nur
glaube ich, daß ich diese Unvollkommenheit, oder, wie Sie
liebenswürdig äußern, diese Einseitigkeit, mit fast allen meinen
Mitbrüdern und Mitschwestern teile.--Nur eine Ausnahme giebt's--ich
spreche nicht, um Komplimente zu sagen, gnädigste Komtesse--und
diese fand ich hier auf Schloß Rankholm. Sie sind's! Sie geben jedem,
was ihm zukommt und gelangen sicher stets zu gerechten, wenn auch
nicht immer völlig milde klingenden Richtersprüchen!"
Der Eindruck dieser Rede war ein sehr verschiedener.
Imgjors Wangen bedeckten sich mit der Blässe des Zorns. Die
schwarzen Augen in ihrem bleichen Angesicht mit dem braunrötlichen
Haar funkelten unheimlich. Der Doktor aber, zugleich erregt an einem
Brotkügelchen knetend, riß den Mund jähzornig zur Seite. Die anderen
standen vorläufig noch unter dem Eindruck, daß es sich vielmehr um
eine scharf zugespitzte Neckerei handelte, als daß jene sich bekämpfen
wollten.
Der Graf äußerte sich auch in diesem Sinne, indem er hinwarf:
"So, Imgjor! Nun weißt du, aus welchen Himmelshöhen du zu uns
hinabgestiegen bist. Werde noch etwas milder und du kannst einst als
Heilige verehrt werden!"
Und die Gräfin warf Axel einen ihrer forschenden Blicke zu, einen
jener, durch den sie zugleich verriet, daß ihr Interesse für Axel sich
immer mehr steigerte.
Wie sehr übrigens diese Zurückweisung Imgjor getroffen hatte, bewies
ihr ferneres
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