Goetz von Berlichingen | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
Bewußtsein Eurer Tapferkeit und Stärke, der keine Müdigkeit
etwas anhaben kann, Euch zum erstenmal nach langer Zeit, sicher vor
feindlichem überfall, entwaffnet auf Euer Bette streckt und Euch nach
dem Schlaf dehnt, der Euch besser schmeckt als mir der Trunk nach
langem Durst: da könnt Ihr von Glück sagen!
Götz. Dafür kommt's auch selten.
Martin (feuriger). Und ist, wenn's kommt, ein Vorschmack des
Himmels. --Wenn Ihr zurückkehrt, mit der Beute Eurer Feinde beladen,
und Euch erinnert: den stach ich vom Pferd, eh er schießen konnte, und
den rannt ich samt dem Pferde nieder, und dann reitet Ihr zu Euerm
Schloß hinauf, und-Götz. Was meint Ihr?
Martin. Und Eure Weiber! (Er schenkt ein.) Auf Gesundheit Eurer Frau!
(Er wischt sich die Augen.) Ihr habt doch eine?
Götz. Ein edles vortreffliches Weib!
Martin. Wohl dem, der ein tugendsam Weib hat! des lebt er noch eins
so lange. Ich kenne keine Weiber, und doch war die Frau die Krone der
Schöpfung!
Götz (vor sich). Er dauert mich! Das Gefühl seines Standes frißt ihm
das Herz.
Georg (gesprungen). Herr! ich höre Pferde im Galopp! Zwei! Es sind
sie gewiß.
Götz. Führ mein Pferd heraus! Hans soll aufsitzen.--Lebt wohl, teurer
Bruder, Gott geleit Euch! Seid mutig und geduldig. Gott wird Euch
Raum geben.
Martin. Ich bitt um Euern Namen.
Götz. Verzeiht mir. Lebt wohl! (Er reicht ihm die linke Hand.)
Martin. Warum reicht Ihr mir die Linke? Bin ich die ritterliche Rechte
nicht wert?

Götz. Und wenn Ihr der Kaiser wärt, Ihr müßtet mit dieser
vorliebnehmen. Meine Rechte, obgleich im Kriege nicht unbrauchbar,
ist gegen den Druck der Liebe unempfindlich: sie ist eins mit ihrem
Handschuh; Ihr seht, er ist Eisen.
Martin. So seid Ihr Götz von Berlichingen! Ich danke dir, Gott, daß du
mich ihn hast sehen lassen, diesen Mann, den die Fürsten hassen und zu
dem die Bedrängten sich wenden! (Er nimmt ihm die rechte Hand.)
Laßt mir diese Hand, laßt mich sie küssen!
Götz. Ihr sollt nicht.
Martin. Laßt mich! Du, mehr wert als Reliquienhand, durch die das
heiligste Blut geflossen ist, totes Werkzeug, belebt durch des edelsten
Geistes Vertrauen auf Gott!
Götz (setzt den Helm auf und nimmt die Lanze).
Martin. Es war ein Mönch bei uns vor Jahr und Tag, der Euch besuchte,
wie sie Euch abgeschossen ward vor Landshut. Wie er uns erzählte,
was Ihr littet, und wie sehr es Euch schmerzte, zu Eurem Beruf
verstümmelt zu sein, und wie Euch einfiel, von einem gehört zu haben,
der auch nur eine Hand hatte und als tapferer Reitersmann doch noch
lange diente--ich werde das nie vergessen.
(Die zwei Knechte kommen.)
Götz (zu ihnen. Sie reden heimlich).
Martin (fährt inzwischen fort). Ich werde das nie vergessen, wie er im
edelsten einfältigsten Vertrauen auf Gott sprach: "Und wenn ich zwölf
Händ hätte und deine Gnad wollt mir nicht, was würden sie mir
fruchten? So kann ich mit einer"-Götz. In den Haslacher Wald also.
(Kehrt sich zu Martin.) Lebt wohl, werter Bruder Martin. (Küßt ihn.)
Martin. Vergeßt mich nicht, wie ich Euer nicht vergesse.
(Götz ab.)
Martin. Wie mir's so eng ums Herz ward, da ich ihn sah. Er redete
nichts, und mein Geist konnte doch den seinigen unterscheiden. Es ist
eine Wollust, einen großen Mann zu sehn.
Georg. Ehrwürdiger Herr, Ihr schlaft doch bei uns?
Martin. Kann ich ein Bett haben?
Georg. Nein, Herr! ich kenne Betten nur vom Hörensagen, in unsrer
Herberg ist nichts als Stroh.
Martin. Auch gut. Wie heißt du?
Georg. Georg, ehrwürdiger Herr!

Martin. Georg! da hast du einen tapfern Patron.
Georg. Sie sagen, er sei ein Reiter gewesen; das will ich auch sein.
Martin. Warte! (Zieht ein Gebetbuch hervor und gibt dem Buben einen
Heiligen.) Da hast du ihn. Folge seinem Beispiel, sei brav und fürchte
Gott! (Martin geht.)
Georg. Ach ein schöner Schimmel! wenn ich einmal so einen
hätte!--und die goldene Rüstung!--Das ist ein garstiger Drach--Jetzt
schieß ich nach Sperlingen--Heiliger Georg! mach mich groß und stark,
gib mir so eine Lanze, Rüstung und Pferd, dann laß mir die Drachen
kommen!

I. Akt, Szene 2

Jagsthausen. Götzens Burg
Elisabeth. Maria. Karl, sein Söhnchen.
Karl. Ich bitte dich, liebe Tante, erzähl mir das noch einmal vom
frommen Kind, 's is gar zu schön.
Maria. Erzähl du mir's, kleiner Schelm, da will ich hören, ob du
achtgibst.
Karl. Wart e bis, ich will mich bedenken.--Es war einmal--ja--es war
einmal ein Kind, und sein Mutter war krank, da ging das Kind
hin-Maria. Nicht doch. Da sagte die Mutter: "Liebes Kind"-Karl. "Ich
bin krank"-Maria. "Und kann nicht ausgehn"-Karl. Und gab ihm Geld
und sagte. "Geh hin, und hol dir ein Frühstück." Da kam ein armer
Mann-Maria. Das Kind ging, da begegnet' ihm ein alter Mann, der
war--nun Karl!
Karl. Der war--alt-Maria. Freilich! der kaum mehr gehen konnte, und
sagte. "Liebes Kind"-Karl. "Schenk mir was, ich habe kein Brot gessen
gestern und
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