Gockel, Hinkel und Gackeleia | Page 7

Clemens Brentano
etwas tragen wollte, steckte sie der Vater in einen
Korb, wie man sie über die jungen Hühnchen stellt, und befestigte ihr
denselben über die Schultern mit Bändern, so daß sie wie in einem
lustigen Reifrock mitspazierte. In der einen Hand hielt sie ihr
ABC-Buch, worauf ein Hahn abgebildet war, und in der andern einen
Eierweck von gestern, man nennt sie dort Bubenschenkel. Das Kind
war sehr lustig, und schrie. "Kikeriki, ich bin schon lang fertig."
Nun blies Gockel die Hühnerministerial-Lampe aus, und sie giengen zu
der Thüre hinaus. Gockel gab dem Nachtwächter den Hausschlüssel,
und dann verließen sie still durch die hintere Gartenthüre, die durch die
Stadtmauer führte, das undankbare Gelnhausen. Kaum waren sie auf
einer nahen kleinen Anhöhe, welche die Stadt überschaut, als Alektryo
sich hoch aufrichtete und mit einem trotzigen kühnen Krähen allen
Hahnen von Gelnhausen Hohn sprach, die erwachend von Haus zu
Haus, von Thurm zu Thurm sich wieder zukrähten, so daß die
Gockelsche Familie wo nicht unter dem Geläute aller Glocken, doch
unter dem Krähen aller Hahnen die Stadt verließ.
Als Alektryo gekräht hatte, schauten sie alle noch einmal schweigend
nach Gelnhausen zurück. Es lag eine weiße Nebelwolke über der
herrlichen Stadt, die Sonne schoß mit ihren ersten Strahlen nach den
blinkenden Wetterhahnen auf den Thurmspitzen, welche aus dem
Nebel hervorblitzten; hie und da drang ein dunkler dichter Bäckerrauch
wie eine dicke braune Schlange durch den Nebel hervor. Frau Hinkel
war betrübt. Gackeleia fieng laut an zu weinen; ihr Eierweck war ihr
gefallen und sie konnte ihn von dem Hühnerkorb, in dem sie steckte,

gehindert nicht aufheben.--Gockel hob sie aus dem Korbe heraus und
hängte sich denselben noch hinten auf die Trage, denn Gackeleia wäre
mit diesem Reifrocke an allen Büschen des wilden Waldes hängen
geblieben, durch welchen jetzt ihr Weg führte.
Frau Hinkel durch das Krähen aller Hahnen in Gelnhausen und durch
den aufsteigenden Rauch von neuem sehr betrübt, folgte ihrem Manne
mit manchem Seufzer durch den Wald. Sie gedachte an die Herrlichkeit
von Gelnhausen, wo immer das eine Haus ein Bäckerladen, das andre
ein Fleischerladen ist;--ach, dachte sie, jetzt ist die Stunde, jetzt öffnen
die Fleischer ihre Laden, jetzt hängen sie die fetten Kälber, Hämmel
und Schweine auf und breiten in deren aufgeschlitzten Leibern
reinliche schneeweiße Tücher aus!--Ach jetzt ist die Stunde, jetzt
öffnen die Bäcker ihre Laden und stellen auf weißen Bänken die
braunglänzenden Brode, die gelben Semmeln und schön lakirten
Eierwecke, Bubenschenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die
sie an der Hand führte, weckte mit ihren Reden ihre Betrübniß oft von
neuem wieder auf, denn sie fragte ein um das anderemal: "Mutter, giebt
es auch Bretzeln, wo wir hingehen?" Da seufzte Frau Hinkel; Gockel
aber, der ernsthaft und freudig voranschritt, sagte: "nein, mein Kind
Gackeleia, Bretzeln giebt es dort nicht, sie sind auch nicht gesund und
verderben den Magen; aber Erdbeeren, schöne rothe Waldbeeren giebt
es die Menge," und somit zeigte er mit seinem Stocke auf einige, die
am Wege standen, welche Gackeleia mit vielem Vergnügen verzehrte.
Hierauf fragte Gackeleia wieder:
"Mutter, giebt es auch so schöne braune Kuchenhäschen, wo wir
hingehen?" Da seufzte Frau Hinkel abermals und die Thränen traten ihr
in die Augen; Gockel aber sagte freundlich zu dem Kinde: "Nein, mein
Kind Gackeleia, Kuchenhäschen giebt es da nicht, sie sind auch nicht
gesund und verderben den Magen, aber es giebt da lebendige
Seidenhäschen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter
auf ihren Geburtstag Strümpfe stricken kannst, wenn du fleißig bist.
Sieh, sieh, da lauft eines!" und somit zeigte er mit seinem Stocke auf
ein vorüberlaufendes Kaninchen. Da riß sich Gackeleia von der Mutter
los, und sprang dem Hasen mit dem Geschrei nach: "gieb mir die
Strümpfe, gieb mir die Strümpfe!" aber fort war er, und sie fiel über

eine Baumwurzel und weinte sehr.
Der Vater verwies ihr ihre Heftigkeit und tröstete sie mit Himbeeren,
welche neben der Stelle wuchsen, wo sie gefallen war. Nach einiger
Zeit fragte Gackeleia wieder: "liebe Mutter, giebt es denn auch da, wo
wir hingehen, so schöne gebackene Männer von Kuchenteig, mit
Augen von Wachholderbeeren und einer Nase von Mandelkern, und
einem Mund von einer Rosine?" Da konnte die Mutter ihre Thränen
nicht zurückhalten und weinte; Gockel aber sagte:
"nein, mein Kind Gackeleia, solche Kuchenmänner giebt es da nicht,
die sind auch gar nicht gesund und verderben den Magen. Aber es giebt
da schöne bunte Vögel die Menge, welche allerliebst singen und
Nestchen bauen, und Eier legen und ihre Jungen füttern. Die kannst du
sehen und lieben und ihnen zuschauen, und die süßen wilden Kirschen
mit ihnen theilen." Da brach er ihr ein Zweiglein voll Kirschen von
einem Baum und das Kind ward ruhig. Als Gackeleia aber nach einer
Weile wieder fragte: "liebe Mutter, giebt es denn dort, wo wir hingehen,
auch so wunderschöne Pfefferkuchen, wie in Gelnhausen?" und die
Frau Hinkel immer mehr
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