Gockel, Hinkel und Gackeleia | Page 8

Clemens Brentano
weinte, ward der alte Gockel von Hanau
unwillig, drehte sich um, stellte sich breit hin und sprach: "o mein
Hinkel von Hennegau! Du hast wohl Ursache zu weinen, daß unser
Kind Gackeleia ein so naschhafter Freßsack ist und an nichts als
Bretzeln, Kuchenhasen, Buttermänner und Pfefferkuchen denkt, was
soll daraus werden? Noth bricht Eisen, Hunger lehrt beißen. Sei
vernünftig, weine nicht, Gott, der die Raben füttert, welche nicht säen,
wird den Gockel von Hanau nicht verderben lassen, der säen kann. Gott,
der die Lilien kleidet, die nicht spinnen, wird die Frau Hinkel von
Hennegau nicht umkommen lassen, welche sehr schön spinnen kann,
und auch das Kind Gackeleia nicht, wenn es das Spinnen von seiner
Mutter lernt."
Diese Rede Gockels ward von einem gewaltigen Geklapper
unterbrochen, und sie sahen alle einen großen Klapperstorch, der aus
dem Gebüsche ihnen entgegentrat, sie sehr ernsthaft und ehrbar
anschaute, nochmals klapperte und dann hinwegflog. "Wohlan, sagte
Gockel, dieser Hausfreund hat uns willkommen geheißen, er wohnet

auf dem obersten Giebel von Gockelsruh, gleich werden wir da seyn;
damit wir aber nicht lange zu wählen brauchen, in welchen von den
weitläufigen Gemächern des Schlosses wir wohnen wollen, so will ich
unsere höchste Dienerschaft voraussenden, damit sie uns die
Wohnungen aussuche."
Nun nahm er den Stammhahn von der Schulter auf die rechte Hand und
die Stammhenne auf die linke, und redete sie mit ehrbarem Ernste
folgendermaßen an: "Alektryo und Gallina, ihr stehet im Begriff, wie
wir, in das Stammhaus eurer Vorältern einzuziehen, und ich sehe an
euren ernsthaften Mienen, daß ihr so gerührt seid als wir. Damit nun
dieses Ereigniß nicht ohne Feierlichkeit sey, so ernenne ich dich
Alektryo, edler Stammhahn, zu meinem Schloßhauptmann,
Haushofmeister, Hofmarschall, Astronomen, Propheten, Nachtwächter,
und hoffe, du wirst unbeschadet deiner Familienverhältnisse als Gatte
und Vater diesen Aemtern gut vorstehen; das Nämliche erwarte ich von
dir, Gallina, edles Stammhuhn; indem ich dich hiemit zur
Schlüsseldame und Oberbettmeisterin des Schlosses ernenne, zweifle
ich nicht, daß du diesen Aemtern trefflich vorstehen wirst, ohne
deßwegen deine Pflichten als Gattin und Mutter zu vernachlässigen. Ist
dieß euer Wille, so bestätigt es mir feierlich." Da erhob Alektryo seinen
Hals, blickte gegen Himmel, riß den Schnabel weit auf und krähete
feierlichst, und auch Gallina gab ihre Versicherung mit einem lauten
und rührenden Gacksen von sich, worauf sie Gockel beide an die Erde
setzte, und sprach: "nun, Herr Schloßhauptmann und Frau
Schlüsseldame, eilet voraus, suchet eine Wohnung für uns aus, zeiget
auch allen Bewohnern unsers Schlosses an, sie möchten sich durch kein
Geräusch in ihrem Abendgebete stören lassen, weil ich in der Nähe des
Schlosses, wo der englische Garten ein wenig ins Kraut geschossen
seyn mag, wahrscheinlich mit meinem Grafenschwert die Hecken
werde schneiden müssen, um mir und Frau Hinkel mit unsern hohen
Insignien durchzuhelfen; also thuet und bereitet uns einen würdigen
Empfang. "--Da eilte der Hahn und die Henne in vollem Laufe, was
giebst du, was hast du? In den Wald hinein nach dem Schlosse zu.
Nun ermahnte Gockel auch noch die Frau Hinkel und das Kind
Gackeleia zur Zufriedenheit, zum Vertrauen auf Gott und zu Fleiß und

Ordnung in dem neu bevorstehenden Aufenthalt auf eine so liebreiche
Art, daß Frau Hinkel und das Kind Gackeleia den guten Vater herzlich
umarmten und ihm alles Gute und Liebe versprachen; und so zogen sie
alle froh und heiter durch den schönen Wald, die Sonne sank hinter die
Bäume, es ward so recht stille und vertraulich, ein kühles Lüftchen
spielte mit den Blättern und Frau Hinkel von Hennegau sang folgendes
Liedchen mit freundlicher Stimme, wozu Gockel und Gackeleia leise
mitsangen.
Wie so leis die Blätter wehn In dem lieben, stillen Hain, Sonne will
schon schlafen gehn, Läßt ihr goldnes Hemdelein Sinken auf den
grünen Rasen, Wo die schlanken Hirsche grasen In dem rothen
Abendschein. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel, Hinkel und
Gackeleia. In der Quellen klarer Fluth Treibt kein Fischlein mehr sein
Spiel, Jedes suchet, wo es ruht, Sein gewöhnlich Ort und Ziel, Und
entschlummert überm Lauschen Auf der Wellen leises Rauschen
Zwischen bunten Kieseln kühl. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel,
Hinkel und Gackeleia. Schlank schaut auf der Felsenwand Sich die
Glockenblume um, Denn verspätet über Land Will ein Bienchen mit
Gesumm Sich zur Nachtherberge melden In den blauen zarten Zelten,
Schlüpft hinein und wird ganz stumm. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt
Gockel, Hinkel und Gackeleia. Vöglein, euer schwaches Nest, Ist das
Abendlied vollbracht, Wird wie eine Burg so fest; Fromme Vöglein
schützt zur Nacht Gegen Katz und Marderkrallen, Die im Schlaf sie
überfallen, Gott, der über alle wacht. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt
Gockel, Hinkel und Gackeleia. Treuer Gott, du bist nicht weit, Und so
ziehn wir ohne Harm In die wilde Einsamkeit Aus des Hofes eitelm
Schwarm. Du wirst uns die Hütte bauen, Daß wir fromm und voll
Vertrauen Sicher ruhn in deinem Arm. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt
Gockel, Hinkel und Gackeleia.
Als dieß Lied
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